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Gedenkpredigt zum 100.Jahrestag der Einahme von Chadshibej

Durch einen dummen Unfall konnte ich lange Zeit nicht wie versprochen, an dieser Webseite arbeiten.

Jetzt habe ich einen vor längerer Zeit gefundenen interessanten Text eingefügt, der in neuerer Zeit, soviel ich weiß, nicht veröffentlicht worden ist.

Er beinhaltet die Predigt eines orthodoxen Bischofs, die deshalb für uns interessant ist, weil sich darin etliche Passagen mit den deutschen Dörfern und den Kolonisten befassen die darin in den höchsten Tönen gegenüber den russischen Dörfern gelobt werden

Gedenkpredigt zum 100.Jahrestag der Einahme von Chadshibej als PDF Datei 

 

Gemeindeberichte Über die Entstehung und Gründung der deutschen Kolonien in Neurußland
Mißernte 1833

1833 war ein schreckliches Mißjahr. Ein trockener Herbst und ein besonders kalter Winter sorgten 1832 dafür, dass die Wintersaat nicht aufging und für die folgende Ernte verloren war. Zudem waren das Frühjahr und der Sommer 1833 trocken und mit außergewöhnlichen Temperaturen gesegnet. Wie hilfreich waren jetzt wieder die Kornspeicher, die in früheren Jahren angelegt werden mussten und die für die notwendigste Versorgung und Ernährung dienen konnten.

Einem Bericht in der Odessaer Zeitung „über das Notjahr 1833 bei den Molotschnaer Mennoniten“ zufolge muss es schlimm gewesen sein.

„Die Pferde waren auf die große, weite Steppe, näher am Schwarzen Meer, zur Winterweide gebracht worden, wo die armen Tiere die langen, kalten Winternächte bei ungestümem Wetter in den Hocks* auf freiem Felde eingesperrt stehen mussten und sich vor Hunger einander Schweif und Mähne abnagten, ja die Bretter der Umzäunung nicht verschonten, wo sie denselben nahe kommen konnten. Infolge der Kälte drangen sie sich in dichten Haufen zusammen, wobei nicht selten die schwächeren Tiere von den stärkeren in den Schlamm und Kot getreten und erstickt wurden.“

Als die Kunde von der schrecklichen Lagen der Tiere in den Gemeinden eintraf, beschloß man, sie zurück zu holen. Doch die übriggebliebenen Pferde waren zu schwach, um den bis zu 130 Werst langen Weg zu bewältigen. Man musste für teures Geld Hafer und Heu von den dort ansässigen Russen kaufen und an den Tagesetappen bereitstellen. Von 7 346 Pferden blieben nur 4 986 übrig. Der Verlust wäre noch größer gewesen, wenn nicht jede Wirtschaft zwei Pferde als Zugtiere zurück behalten hätte.

Im Sommer 1833 kam alles nur noch schlimmer. Die Wintersaat war verloren, die trotz des trockenen Bodens ausgesäte Sommersaat ging ebenfalls nicht auf. Ende Mai war die Steppe kahl, die Weide war vertrocknet und das Vieh litt unsäglich. Wieder musste es auf weit entferntes, gepachtetes Weideland getrieben werden, um es vor dem Hungertod zu retten. Die zurückbehaltenen Milchkühe und Zugpferde „kamen am Abend vor Hunger brüllend heim, begehrend zerrte es an dem alten Dachstroh der Schuppen, wo es nur rankommen konnte. Es fraß den alten Strohdünger und wurde nicht satt.

... An eine Heumahd war sowieso nicht zu denken. Was an ausgetrockneten Bächen und Tümpeln an Kraut, Rohr und Binsen gewachsen war und sonst niemals beachtet war, wurde jetzt mit größter Sorgfalt eingesammelt und als Winterfutter eingelagert.“

Viehseuchen blieben nicht aus und dezimierten den Viehbestand zusätzlich.

„... Tausende, besonders Nogaier und Bewohner der Russendörfer, zogen bis in die weiteste Ferne hinaus, um von Almosen jämmerlich ihr Leben zu fristen.

Mehrere Hundert, darunter ganz Haufen Kinder, zogen in den Kolonien umher und baten um Nahrung. Dadurch wurden besonders die Kleinen an das Betteln gewöhnt, dass sie auch noch in späteren Jahren, als bereits wieder bessere Zeiten eingetreten waren, nicht mehr von diesem Gewerbe lassen wollten und geradezu zur Plage wurden.“

Zu allem Unglück erwies sich dann noch der für die Wintersaat angekaufte Roggen im folgenden Frühjahr als nicht keimfähig und ging nicht auf.

Soweit in gekürzter Form der Bericht „aus vergilbten Papieren“, wie der Untertitel der Odessaer Zeitung zu diesem Bericht lautete.

Es soll diese Arbeit ein erster Versuch sein, die schwere Zeit des Anfangs der deutschen Kolonien anhand von einigen wenigen Beispielen aus der Fülle von authentischen Berichten einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die bisher nur einem begrenzten Kreis von Interessierten und Fachleuten bekannt waren. Das vorliegende Material erlaubt noch weitere Arbeiten dieser Art.

Der nächste Eintrag an dieser Stelle erfolgt am 1. November 08

*Pferch

 

Freudenthal

I.

Im Jahre 1806 begann die Niederlassung der ausländischen Ansiedler zur Gründung der Kolonie Freudenthal und wurde im Jahre 1807 durch eine zweite Einwanderung beendigt.

II.

Die Kolonie wurde auf der nördlichen Seite des Baraboiflusses und längs desselben angelegt. Die Entfernung des Dorfes von der Kreisstadt Odessa beträgt 30 Werst. Die zur Gründung dieser Kolonie angewiesene Steppe war bei der Ansiedlung ein mit Rasen bewachsenes sehr ergiebiges Land, dessen Oberfläche gegen 8 Werschock tief aus schwarzer Erde besteht, dem dann meist gelber Lehm mit Salpeter und Kalkmergel vermischt, folgt. Das südliche an manchen Stellen sehr hohe Ufer des Baraboiflusses bietet der Kolonie ganz in der Nähe ungemein vorteilhafte Sägsteinbrüche dar. Da aber im Laufe von 42 Jahren die Seelenzahl mehr als noch einmal so groß geworden ist, so daß die zweite Generation der Ansiedler bereits schon eingetreten, so wird das Feld auch häufiger umgeackert und der Rasen durch die große Viehanzahl meistens kahl abgeweidet, und die Sonnenhitze wirkt deshalb weit nachteiliger auf die Erde als früher und so entspricht das Wachstum nicht mehr dem der früheren Jahren. Das über dem südlichen Ufer des Flusses gelegene kiesige Land ist zum Fruchtbau und Heuwachs ungünstig, die Kolonisten haben aber dem Dorfe entlang mit nützlichen Wein - und Baumanlagen verziert. Da aber vor der Ansiedlung keine Spur von Bäumen oder sonstigen Anlagen war, so haben die Kolonisten das mittägliche Ufer des Baraboiflusses, wo die Steinbrüche es nicht hinderten, teilweise mit Waldbäumen bepflanzt, welche auch ziemlich gedeihen und mit der Zeit zur Verschönerung Freudenthals beitragen können.

III.

Die Kolonie Freudenthal hat ihre Benennung von einem der ersten Ansiedler, Heinrich Herth, dadurch erhalten, daß er nach einer schwierigen Reise seinen längst ersehnten Niederlassungsort auf einer der Gesundheit sehr zuträglichen Anhöhe des Baraboitales glücklich erreicht hat.

IV.

Ursprünglich haben sich in der Kolonie Freudenthal nur 35 aus dem Königreich Ungarn eingewanderte Familien niedergelassen. Da aber zur Gründung dieser Kolonie von der Hohen Krone auf 78 Ansiedler 5830 Desjatinen Land vorgesehen waren, so langten nach erhaltener Kunde von diesem in Bereitschaft liegenden Lande im Jahre 1807 noch 42 Familien aus Ungarn ein. Die damalige Landesquantität der Kolonie Freudenthal übertraf die der anderen Kolonien des Liebenthaler Bezirks. Deshalb kamen die Kolonisten der Kolonie Großliebenthal bei der Obrigkeit klagbar ein und vermittelst einer in Großliebenthal stattgehabten Amtsversammlung wurde der Kolonie Freudenthal so viel Land abgeschnitten, daß jetzt nur noch 3829 Desjatinen gezählt werden.

V.

Die damaligen Auswanderer sind in keinem Kolonnenzuge wie die meisten Ansiedler, sondern nach eigener Willkür ohne Anführer nach Russland gekommen.

VI.

Die von dem damaligen Gouverneur, Herzog Richelieu diesen Einwanderern zur Niederlassung angewiesene Steppe war bei ihrer Ankunft von niemand besetzt, sondern war meistens ein rohes Hirtenfeld, welches die Tataren früher als Weideland benutzt und nur einen unbedeutenden Teil desselben zu ihrer Nahrung angebaut haben. Die Kolonisten fanden für ihre Aufnahme 20 angefangene Häuser ohne Dach, bestehend aus 4 hölzernen Wänden vor.

VII.

Die Kolonisten der Kolonie Freudenthal, sowie die der anderen Kolonien, wurden mit einer 20jährigen Freiheit von Abgabenzahlungen von der Hohen Krone begünstigt und außerdem zur Einrichtung ihrer Wirtschaften, samt dem auf jede damalige Seele gezahlten Nahrungsgelde, nach durchschnittlicher Berech-nung mit einem unverzinslichen Anleihen von 41 885 Rbl. unterstützt. Ihre vom Ausland mitgebrachten Geldmittel betrugen ungefähr 31 200 Rbl. Weil aber in schon früher angesiedelten Kolonien Kirchen, Pastorate, Windmühlen und dergl. auf Rechnung der Hohen Krone gebaut und von diesen Ausgaben auch auf die Gemeinde Freudenthal, obschon sie ihr Bethaus, Pastorat und Schule und andere gemeinschaftliche Gebäude und Einrichtungen auf eigene Kosten bestritten hatten, 41 886 Rbl. verbaut worden waren, so ist sie auf diese Weise eine Summe von 83 771 Rbl. schuldig geworden.

VII.

Die Ereignisse, welche auf das Schicksal dieser Gemeinde größtenteils einen nachteiligen Einfluß hatten, waren folgende:

•  Mehrere Feuersbrünste seit dem Bestehen der Kolonie, wodurch außer dem Abbrennen von 10 Häusern ein bedeutender Schaden entstand.

•  Der starke Eisgang im Baraboitale im Jahre 1831, welcher laut vorhandener Listen in Freudenthal einen Schaden von 1 527 Rbl. verursachte.

•  Die Überschwemmung desselben Tales im Jahre 1845, wodurch ein Schaden von 262 Rbl. entstand und wobei ein Mann namens Nikolaus Kappel das Leben einbüßte.

•  Zweimalige Erdbeben. Das erstere im November 1828, das zweite, stärker, im Jahre 1838, welche aber von keinem Nachteil für die Gemeinde waren.

•  Erkrankte an der Cholera im Jahre 1831 allhier 103 Personen, von denen aber nur zwei gestorben sind.

•  Mehrere Viehseuchen, Mißernten, Heuschrecken, Käfer und dergleichen Ungeziefer brachten dieser Kolonie manchen bitteren Verlust

IX.

Doch aller solcher Nachteiler Ereignisse ungeachtet, wurde der Wohlstand der Gemeinde in ökonomischer und physischer Hinsicht allmählich immer besser, welche die hiesige Gemeinde nächst Gott, dem höchsten Wohltäter S. Maj. Dem Kaiser Alexander glorreichen Angedenkens und seiner Maj. dem gegenwärtig regierenden Kaiser Nikolai, sowie S. Exz. weiland Hauptfürsorger Herrn General von Inzow und dem Vorsitzenden der Fürsorge-Comität Herrn wirklichen Staatsrat von Hahn, als auch einer Hohen Fürsorge-Comität über die ausländischen Ansiedler und endlich dem treuen Bemühen der jetzigen würdigen Glieder eines löblichen Gebietsamtes zu Großliebenthal zu verdanken hat, wobei auch freilich der Gehorsam der Kolonisten gegen die weise Verordnung der Obrigkeit, ihr Fleiß und ihre Betriebsamkeit nicht zu übersehen sind. Und da dem Mangel an Predigern und Lehrern, der in den ersten Jahren stattfand, abgeholfen ist, so nimmt man auch in moralischer Beziehung mehr und mehr eine Verbesserung wahr.

Im Original haben unterschrieben:

Schulz Jauch Bürgermeister: Forsch, Jäger

Schullehrer: Schweyer Gemeindeschreiber: Joh. Ehnis

 

Alexanderhilf

Die ersten Kolonisten wurden im Frühjahr 1805 angesiedelt. Es wurden ihnen zur Bewohnung noch keine Häuser angewiesen. Sie mußten noch in Zelten wohnen, bis ihnen im Laufe des Sommers Häuser gebaut wurden. Sie wurden aber nur aus Holz und Lehm errichtet.

II.

Die Kolonie wurde längs des Baraboiflußes und dicht daran angelegt, welcher das Dorf an einer Stelle auch durchschneidet. Sie ist von der Kreisstadt Odessa etwa 25 Werst entfernt, ihr Bezirk grenzt gegen Osten an Großliebenthal, gegen Süden an die russischen Dörfer Alexandrovka, Ovidiopol und Kalaklei gegen Westen bildet der Dnjestr die Grenze und gegen Norden die Kolonie Neuburg.

Die Eigenschaften des Bodens sind beinah durchgängig ein schwarzer, Salpeter enthaltender, hitziger Grund, der zum Wachstum der Pflanzen gut geeignet ist, insofern der Mangel an Regen, welcher im Frühjahr und Sommer oft Monate lang ausbleibt, nicht hinderlich ist.

In ihrem Bezirk befinden sich auch Steinbrüche, deren Steine zum Bauen brauchbar sind. Zur Zeit der Einwanderung befand sich hier keine Waldung.

III.

Der Kolonie wurde der Name durch Herrn Hofrat Brigonski und dem damaligen Oberschulzen des Liebenthaler Bezirks Brittner, zu Ehren und zum Andenken Sr. Maj. des nun in Gott ruhenden Kaiser Alexander gegeben.

IV.

In der Kolonie wurden anfänglich 66 Familien angesiedelt:

Aus Württemberg 36; aus der Pfalz 3; aus dem Elsaß 3; aus Mähren 1; aus Ungarn 21; aus dem Nassauischen 2; aus Hessen 1; aus Hamburg 1.

Hierzu ist zu bemerken, daß vier von diesen Familien keine Wirtschaft erhielten und daß die aus Ungarn gekommenen Familien erst im Jahre 1807 angesiedelt wurden. * Im Jahre 1817 sind noch weitere Familien ange- kommen (12 aus Württemberg und fünf aus verschiedenen deutschen Provinzen). Sie wurden erst im Jahre 1825 als Kolonisten bestätigt.

V.

Der Hauptanführer der ersten Auswanderer war Herr Kommissar F. Ziegler. Transportleiter waren unter anderen: N. Schopf, N. Kretzinger, Philipp Jäger, Jakob Mühleise, Johannes Faßnacht, Friedrich Becker, Johannes Scherer und August Zimmer.

VI.

Zur Zeit der Ankunft war die Steppe von einem griechischen Schäfer als Weide für seine Herde benutzt, welcher eine Erdhütte zur Wohnung hatte. Zwei weitere Erdhütten waren von Russen bewohnt.

VII.

Als Unterstützung zur Ansiedlung der Einwanderer wurden bei deren Ankunft jeder Familie 365 Rbl. verabreicht, bestehend aus barem Geld 50 Rbl., in Zugochsen, Gerätschaften, Lebensmittel usw. und in einem hölzernen Hause 140 Rbl. Einige Familien haben auch mehr erhalten und zwar im Wert von 500 Rbl. Unter diesen Letzteren sind solche, die von ausgestorbenen Familien verschieden Sachen durch die Obrigkeit erhalten haben.

Auch erhielten die Einwanderer beim Übertritt der russischen Grenze Tage - oder Nahrungsgelder und zwar von den ersten Transporten 80 Kop. die Seele per Tag, von folgenden Transporten aber je länger je weniger, namentlich von den letzten nur noch 10 Kop. pro Tag.

Vom Auslande haben nur wenige Familien Vermögen ins Land gebracht. Wenn auch einige derselben bei ihrer Auswanderung welches gehabt haben, so mußten sie damit auf der Reise armen Mitreisenden aushelfen, und was sie an Vermögen noch ins Land gebracht, haben sie ursächlich mancher Krankheits - und Todesfälle der Ihrigen eingebüßt.

VIII.

Der Kolonie wurde gleich bei der Ankunft der Platz zur Ansiedlung angewiesen, den sie heute noch inne hat.

Seit der Ansiedlung sind durch Feuersbrünste 7 Häuser eingebüßt worden. Überschwemmungen waren zwei, nämlich in den Jahren 1831 und 1845,

jeweils im Februar. Diese Überschwemmungen haben begreiflich großen Schaden angerichtet. Eine beträchtliche Zahl Häuser ist dadurch unbewohnbar geworden, fünf davon sind eingestürzt. Die Schadenslisten wurden bei der höheren Obrigkeit eingereicht. Jedoch hat es bei diesen unglücklichen Naturereignissen kein Menschenleben gekostet.

Wohl hat ohnehin der Baraboifluß infolge des Auftauens im Frühjahr die meisten Jahre seine Ufer mehr oder weniger überschritten und dadurch in den Kellern und Gärten und am Brunnenwasser Schäden verursacht, ohne daß diese Vorfälle als Überschwemmungen gezählt werden können. Erdbeben fanden hier seit der Ansiedlung zwei heftige statt, das erste im November 1828 und das letzte im Januar 1838, welche aber gottseidank keinen größeren Schaden anrichteten.

Von epidemischen Krankheiten waren die Kolonisten teils schon auf der Reise, teils noch in der Kolonie empfindlich heimgesucht. Namentlich in Owidiopol, wo von Michaelis bis Weihnachten 1804 von hiesigen und anderen Kolonisten 366 Seelen gestorben sind. Solche Krankheiten mit ihren Todesfällen im Gefolge dauerten in der Kolonie noch mehrere Jahre lang fort, so daß in den Jahren 1805 und 1806 dieselbe bis auf wenige Personen ausstarb.

Ursache dieser Sterblichkeit waren: Mangel an ordentlichen Wohnungen, indem wie bereits berichtet teils mit Zelten, teils mit Erdhütten zum Bewohnen sich kümmerlich behelfen mußten, wo sie Erkältung und Durchnässung ausgesetzt waren sowie der Mangel an ordentlicher Pflege und den erforderliche Arzneien wie denen, die nicht nach Großliebenthal ins Hospital gebracht werden konnten. Auch die Cholera herrschte im Jahre 1831 in hiesiger Kolonie, woran einige krank waren, aber von hiesigen Kolonisten keiner gestorben ist. Nur der Josephstaler Kolonist Johann Grad, welcher die Krankheit ins Dorf schleppte, wurde ein Opfer derselben. Von Viehseuchen, Fehlernten, Heuschrecken und anderem Ungeziefer ist die Kolonie gleichfalls auch nicht verschont geblieben.

Unterschriften fehlen.

 

* Bitte vergleichen Sie unter der Überschrift weiter unten: „Eine besondere Reise in die Kolonien und ein Besuch des Zaren.“ … kamen mir einige Hundert Reiter, alle in blauer Montur, entgegen Als sie näher kamen, sah ich mit Verwunderung, daß es Freudenthaler und Petersthaler Bauern waren. Es waren Siebenbürger Sachsen aus Ungarn und sie hatten deswegen die blaue ungarische Nationaltracht an.“

 

Im Jahre 1846 wurde in Odessa die erste Zeitung in deutscher Sprache für die Kolonisten gegründet. Gründer und Herausgeber war Staatsrat Eugen von Hahn, der 1845 zum Vorsitzenden des Fürsorgekomitees ernannt worden war. Er gründete dieses Monatsblatt einerseits ...

„...aus dem Wunsche heraus, die Kolonien auf ihren jetzigen Zustand aufmerksam zu machen und ihnen zu zeigen, wie sie unter Berücksichtigung der örtlichen Bedingungen ihre Landwirtschaft verbessern und ihren Wohlstand erhöhen können sowie um ihnen ferner eine angenehme und lehrreiche Unterhaltung zu gewähren“ und andererseits auf Anordnung des Ministeriums für Reichsdomänen“.

Die Auflage betrug lediglich 200 Exemplare, also fast gerade so viel wie es damals Kolonien gab. In einem Rundschreiben forderte v. Hahn im April 1848 alle Schulzenämter auf, ihm innerhalb von vier Monaten eine kurzgefaßte Übersicht über Entstehung, Entwicklung und gegenwärtigen Stand der Kolonie einzusenden. Dem Aufruf wurde Folge geleistet und fast alle Kolonien sandten ihre Berichte ein. v. Hahn rief gleichzeitig die Pfarrer und Schullehrer zu Mitarbeit auf und so entstanden aufschlußreiche Gemeindeberichte, die noch heute für die Erforschung der Geschichte der Russlanddeutschen wertvolles Quellenmaterial sind.

v. Hahn wurde allerdings von seinem Posten als Vorsitzender des Fürsorgekomitees und damit auch als Herausgeber des Unterhaltungsblattes abgelöst und an das Ministerium für Reichsdomänen berufen. Sein Nachfolger als Herausgeber des Unterhaltungsblattes wurde H. Sonderegger, ein Kolonistensohn. Unter seiner Leitung wurde nur ein Teil der Gemeindeberichte zwischen 1851 und 1854 veröffentlicht, dann verschwanden sie in den Archiven, um erst wieder zum Anfang dieses Jahrhunderts von Konrad Keller entdeckt und in Auszügen veröffentlicht zu werden. Pastor Jakob Stach, zusammen mit Keller einer der rührigsten Forscher auf dem Gebiet der Erforschung der Russlanddeutschen, wurde darauf aufmerksam und veröffentlichte in mehreren Kalendern und Zeitungen, vornehmlich in der Odessaer Zeitung, viele der Gemeindeberichte. Erst in den Zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts wurden 193 dieser Gemeindeberichte ungekürzt von zwei weiteren Russlandforschern veröffentlicht. Der eine war Georg Leibbrandt, der in den Zwanziger und Dreißiger Jahren intensive Forschungen über die Geschichte der Russlanddeutschen erfolgreich betrieb und mehrere Bücher über deren Ergebnisse veröffentlichte, die unter der Bezeichnung „Sammlung Georg Leibbrandt“ zusammengefasst wurden. Aus zweien davon mit den Titeln „Gemeindeberichte der Schwarzmeerdeutschen 1848“ und „Die deutschen Kolonien in Cherson und Bessarabien“ werde ich im Laufe der Zeit etliche bezeichnende Berichte aussuchen und an dieser Stelle dem interessierten Besucher dieser Webseite vorstellen. Es ist natürlich nicht möglich, alle 200 Berichte hier abzudrucken, ausserdem sind sich viele der Dorfberichte vom Inhalt her sehr ähnlich.

Die ersten Ansiedlungen in dem von den Türken befreiten Gebiet Neurusslands wurden ab 1790 von Mennoniten gegründet, die unter der Bezeichnung „Chortitzer Kolonistengebiet“ in die Annalen der russlanddeutschen Siedlungsgeschichte eingingen. Die eingesandten Berichte sind allerdings sehr umfangreich und dadurch leider nicht geeignet, an dieser Stelle veröffentlicht zu werden.

. Der zweite Forscher, der Gemeindeberichte veröffentlichte, war J.A. Malinowsky mit seinen Werken: „Die deutschen katholischen Kolonien am Schwarzen Meer“ und „Die Planerkolonien am Schwarzen Meer“.

Ab 1804 wurde das Großliebenthaler Gebiet gegründet. Über dieses Gebiet existieren ebenfalls Gemeindeberichte, die meines Wissens nur zwei Mal veröffentlicht wurden. Zum ersten Mal im schon beschriebenen „Unterhaltungsblatt für deutsche Ansiedler im südlichen Russland“ und zwar im dritten Jahrgang Januar bis April 1848,. Die zweite Veröffentlichung findet sich in dem Band der Sammlung Leibbrandt: „Die deutschen Kolonien in Cherson und Bessarabien“. Aus diesen beiden Veröffentlichungen, die allerdings in ihren Texten etliche Unterschiede aufweisen, werde ich im Laufe der Zeit einige Berichte herauspicken und hier zum dritten (?) Mal in allerdings gekürzter und aus beiden Texten zusammengesetzter Form veröffentlichen.

 

Eine besondere Reise in die Kolonien und ein Besuch des Zaren

Im Jahre 1808 machte sich ein Schäfereimeister aus Sachsen mit 200 Schafen auf die lange Reise nach Russland. Sein Reiseziel war das Gut eines Deutschen, dem Prinzen Ulrich von Württemberg, nahe Karlsthal im Odessaer Gebiet. Über die Reise und seinem Leben in Russland bis zu seinem Tod im Jahre 1869 führte er akribisch ein Tagebuch, das sein Sohn im Nachlass seines Vaters fand und zu einem Buch verarbeitete. (Eduard Doering: Aus den Memoiren meines Vaters Friedrich Doering, eines nach Russland gesiedelten Sachsen. 1903) Es folgt ein kurzer Auszug daraus, der die deutschen Kolonien betrifft, die sich damals in der Aufbauphase befanden

…Die freie und offene Steppe, ohne Felder, daher auch ohne Dörfer. Hier schien gleichsam die Welt Ende zu sein. Unsere Richtschnur nahmen wir direkt auf Odessa zu und wollten in ein großes Tal Namen Kutschurgan, welches sich nach Odessa zu zog und zwölf Meilen lang sein sollte. Auf diese Auf diese Marschroute hatte uns der Verwalter Schellenberg aus Karlsthal schriftlich verwiesen, weil wir daselbst Wasser vorfinden würden. Nachdem wir zwei Tage lang gegangen waren und dabei keine Menschenseele antrafen, geschweige denn ein Dorf, so kamen wir an das große Tal Kutschurgan.

Jetzt schien es, daß es nicht mehr weit bis an unseren Bestimmungsort Karlsthal bei Odessa war. Der Monat Oktober ging seinem Ende zu und was uns zuletzt die Reise am beschwerlichsten machte, war, daß um diese Zeit viel Regenwetter einfiel, die Straße daher schlecht wurde, zumal hier schwarze Erde ist, welche wie Vogelleim anklebt. Denn jede Nacht unter freiem Himmel zu nächtigen, welche schon lang und kalt waren, versetzte und in einen Zustand, bei welchem wir zuletzt auch den Entschluß, eine solche Reise zu machen, hundertmal verwünschten.

Nach mehreren Tagen kamen wir an das Ende des Tales, welches sich in eine Ebene verlor und am Ausgange desselben ein Dorf lag. Als wir und hier erkundigten, wie weit es noch bis Karlsthal war, wurden wir auf eine an der Straße gelegene deutsche Kolonie verwiesen. Uns kam es allen etwas sonderbar vor, hier ein deutsches Dorf zu finden. Wir hatten noch nicht gehört, daß in der Nachbarschaft von Odessa viele deutsche Dörfer sind. Bis jetzt glaubten wir, in dieser Gegend die einzigen Germanen zu sein.

Wir kamen zu dem deutschen Dorf, welches erst gebaut wurde und Elsaß benannt wurde. Die Leute wohnten noch in Hütten und es war recht kurios zu sehen, so viele Häuser, es waren wohl an die sechzig, auf einmal bauen zu sehen, denn fertig war noch keines von ihnen.

Hier erfuhren wir vom Inspektor, der uns erwartet hatte, daß es noch etwa sechzig Werst bis Karlsthal waren und mietete uns zum Wegweiser einen Kolonisten und fuhr dann voraus.

Der deutsche Mann kam mir sonderbar vor, indem ich ihn kaum verstand, es war ein Schwabe. Mit seiner Hilfe kamen wir wohlbehalten in dem längst ersehnten Karlsthal an.

 

Der zweite Auszug betrifft ein Ereignis, das für die deutschen Kolonisten eine besondere Bedeutung hatte. Es war der Besuch des Zaren Alexander I. im Jahre 1821. Friedrich Doering war in in Karlsthal geblieben, hatte geheiratet und war als Schafmeister Herr über viele Hundert Schafe. Er hatte inzwischen noch zwei Mal Schafherden aus Deutschland geholt und war ein angesehener Mann geworden. Er beschreibt in seinen Memoiren diesen Besuch des Kaisers auf seine Weise:

 

… Im Monat April des Jahres 1821 war in Tiraspol, einem Städtchen am Dnjestrfluß ein Militärlager von 30 000 Mann zum Manöver zusammengezogen und alles Militär aus Odessa und der Gegend um Cherson zog über unsere Steppe dahin. Der Zar wurde zu demselben erwartet. Seit acht Tagen schon hörte man hörte man den Kanonendonner und das dauerte ganze vierzehn Tage hindurch.

Eines Tages, wie der Kanonendonner besonders stark war, berief mich der Verwalter Schellenberg zu sich und ließ einige Schafe zur Poststation treiben, welche nur sieben Werst entfernt war, indem an diesem Tag der Kaiser aus Tiraspol nach Odessa fahre und vielleicht beim Pferdewechsel an dieser Station die Schafherden ansehen würde.

Nachdem ich die Schafherden dahin geschickt hatte, ritt ich auch selbst auf die Landstraße und als ich noch zwei Werst von der Station entfernt war, kamen mir einige hundert Reiter, alle in blauer Montur, entgegen. Als sie näher kamen, sah ich mit Verwunderung, daß es Freudenthaler und Petersthaler Bauern waren, welche dem Kaiser entgegen ritten. Es waren Siebenbürger Sachsen aus Ungarn und sie hatten deswegen die blaue ungarische Nationaltracht an. Sie wollten ein wenig in Reih und Glied reiten, aber ihre gut genährten Pferde schlugen und bissen sich und hatten voreinander Furcht. Der Schulze von Freudenthal machte den Kommandeur und ritt voran.

Vor der Poststation waren einige tausend Menschen aus der Umgebung versammelt, welche alle den Kaiser sehen wollten. Hätte ich das gewußt, so wäre ich hierher gefahren, denn ich hatte damals schon wieder ein gutes Fuhrwerk, und hätte meine Frau mitgenommen.

Ungefähr in der dritten Stunde am Nachmittag, nachdem die Zeit allen lange werden wollte, kam endlich eine Kutsche von der Anhöhe herunter, welcher die deutschen Bauern voranritten. Es stiegen zwei Herren aus dem Wagen und ich brauchte nicht zu wählen, welcher der Kaiser war, denn sein hoher, schlanker Wuchs und sein gravitätischer Gang ließ ihn mich gleich erraten, zumal ich ihn im Gesicht sehen konnte, denn abgemalt hatte ich ihn wohl schon hundertmal gesehen.

Viele Frauen aus Freudenthal und Petersthal und anderen Kolonien standen auf einem Platz versammelt. Der Kaiser ging auf sie zu und frug, wie es ihnen hier gefiele, ob sie eine gute Ernte gehabt und gesund wären. Eine von diesen Frauen, welch alle überragte, führte für alle das Wort.

Diese Frau war beherzt und offerierte dem Kaiser, daß viele Menschen auf der Herreise zu Schiffe auf der Donau gestorben wären und jetzt noch viele im Lazarett in Ovidiopol sterben würden. Es war auch wahr, die Schiffe waren zu sehr überfüllt und dadurch und wovon ganze Schiffe ausgestorben sind. Auch erzählte diese Frau dem Kaiser, daß sie das von der Krone ausgesetzte Tagesgeld nicht gehörig bekommen. Der Kaiser erwiderte: „ Liebe Leute, Ihr hättet nicht zu Wasser hierherkommen sollen. Ihr müßt nur Geduld haben, es wird schon in allem besser werden, denn jeder Anfang ist schwer.“ Zuletzt frug der Kaiser. wo sie aus Deutschland her wären. Jetzt hätte man die Weiber hören sollen: eine schrie aus Württemberg, eine andere Bayern, die dritte Elsass, die vierte Ungarn usw.

Jetzt drängte sich unser Schellenberg hinzu und überreichte dem Kaiser ein Papier, worauf lauter Wollproben aufgeklebt waren und zeigte auf die Schafherden, wenn es Seiner Majestät gefallen möge, dieselben anzusehen mit der Bemerkung, daß dieselben dem Prinzen Eugen von Württemberg gehörten. Der Kaiser machte das Papier auseinander , sah die Wollproben an und beobachtete dann die Schafherden zur sein kleinen Perspektiv. Darauf kehrte er um und ging zum Wagen zurück.

Der Schulze aus Freudenthal rief ein Vivat aus, es lebe der Kaiser Alexander Pawlowitsch, da aber niemand nachschrie, so dachte ich, es wäre besser gewesen, er hätte sein Maul gehalten, denn dem Volke lag nichts am Schreien, sie hatten genug mit dem Sehen zu tun, weil doch niemand nach Hause gehen wollte, ohne den Kaiser gesehen zu haben. Es war auch ein schöner Mann, vielleicht der schönste seiner Zeit.

Wie der Kaiser abfuhr, lüftete er seinen Tschako und nun rief ihm ein jedes sein Lebewohl nach.

 

Örtliche Beschreibung des Liebenthaler Kolonistenbezirks und einige Worte über die hiesigen Ansiedlungen überhaupt

In den Jahren 1804-06 wurde auf allerhöchste Verordnung am südlichen Ende des Chersonschen Gouvernements am Steppenfluß Akerschi zur Gründung einer deutschen Kolonie geschritten und von der Krone zur Aufnahme der Ankömmlinge, welche schon im Spätjahr im Hafen von Odessa vom Ausland her erschienen, in der Stadt selbst aber Winterquartier hielten, Häuser erbaut.

Das Land, worauf die Kolonie gegründet wurde, gehörte, was einige Alten behaupten, dem ehemaligen Grundbesitzer Baraboi und war bei der Ansiedlung unbewohnt und öde. Verschieden Sträucher und wildwachsende Ulmen wurden angetroffen. Der Boden war reich an Gras und Kräutern.

Die Kolonie Großliebenthal ist von der Kreisstadt Odessa 18 Werst entfernt, grenzt 12 Werst nordwestlich an die Kolonien Josephstal und Mariental und 7 Werst westlich an die Kolonien Alexanderhilf und Neuburg. 12 Werst südlich ist das Schwarze Meer. Gegen Südosten wird die Kolonie von der 5 Werst entfernt liegenden griechisch-militärischen Ansiedlung Alexandrowka und gegen Osten von der Kolonie Kleinliebenthal begrenzt, das ebenfalls 5 Werst entfernt ist.

Die ganze Oberfläche des Landes, besonders aber die Täler enthalten bedeutende Schichten Dammerde, worauf verschiedene Getreidesorten wie Weizen, Gerste, Roggen, Hafer und verschiedene Hülsenfrüchte und Wurzelgewächse gedeihen und der Weizen bei günstiger Witterung das 30, der Hafer dass 40 und Gerste das 50fache abwerfen. Steinbrüche, die ungefähr 5 Werst vom Dorfe entfern liegen und von keiner großen Bedeutung sind, indem sie nur harte Brocksteine enthielten, sind vorhanden. Die meisten Steine, welche die Kolonie bedarf, werden gekauft.

Wälder sind hier keine vorhanden, nur eine im Jahre 1842 angelegte Waldanlage, , die zur Zeit ihres Wachstums einen erfreulichen Anblick gewährt und eine früher angelegte Maulbeeranlage, nahe am Dorf liegend. Eine zweite Anlage findet sich eine Werst östlich vom Dorf entfernt.

Oft bleibt im Sommer der Regen 6 – 8 Wochen aus, so daß sich die Erde mit einer wasserdichten Kruste überzieht und nach einem Platzregen der nach anhaltender Dürre zuweilen stattfindet das Wasser nicht in die Erde dringen kann, sondern von der größeren Hälfte dieser Gegend in diesen zwei Haupttälern sammelt und eine Überschwemmung verursacht.

Am verheerendsten sind die sogenannten Eisgänge. Wenn nämlich in den Winter-monaten - schnelles Tau - oder Regenwetter einfällt, so daß die nur auf der Oberfläche angetaute Erde das Wasser nicht mehr aufnehmen kann, so werden durch die Gewalt der Strömung die im Flußbett befindlichen gewaltigen Eismassen aufgehoben, schieben sich aufeinander und reißen alles, was sich in den Weg stellt, mit sich.

Der Ursprung der Benennung der Kolonie ist der außerordentlichen Lage zu verdanken, welche dem Gründer der Kolonie, dem damaligen Stadtbefehlshaber von Odessa, Herzog von Richelieu dermaßen wohl gefiel, daß er derselben den Namen „Groß-Liebenthal“ gab.

Wieviel Familien namentlich bei der Gründung der Kolonie angesiedelt wurden, ist unbekannt. Soviel ist aber bewußt, daß ursprünglich aber nicht so viel Wirte als gegenwärtig hier sind. Die Ursache davon ist, daß eingewanderte Ausländer im Jahre 1817 von den Kolonisten hier aufgenommen wurden und dieselben zum Teil von ihrem Land, das sie von der Krone erhalten hatten, einräumten. Bei der letzten Revision befanden sich hier 217 Familien.833 männliche und 856 weibliche Seelen. Gegenwärtig sind es 289 Familien,1086 männliche und 1100 weibliche Seelen. Die Einwanderer, die sich hier niedergelassen haben, kamen aus Württemberg, Baden, Rheinbayern, Elsaß, Preußen und Sachsen.

Der Anführer der Partien, die hier angelangt sind, war der damals kaiserlich russische Ansiedlungskommissär, Herr Ziegler.

Die Steppe, die die den Ansiedlern zur Niederlassung angewiesen ward, war bei ihrer Ankunft von einigen Eingeborenen bewohnt, die in elenden Hütten sich aufhielten und ein ungeordnetes Leben und Wirtschaftswesen führten.

Die Krone ließ, wie oben bemerkt wurde, für die Eingewanderten Häuser erbauen und versah dieselben nicht bloß mit Tage – oder Nahrungsgeldern von der Grenze an bis zum Ansiedlungsort, sondern ließ denselben auch noch einen verhältnismäßigen Vorschuß verabfolgen und kaufte Vieh und Ackergeräte an.

Die ersten Einwanderer waren größtenteils unbemittelte Leute. Manche waren auch unsittlich und roh, denen es an Verstand, Überlegung und an Mittel fehlte, um zu ihrem und ihrer Nachkommen Wohl eine Ansiedlung vorteilhaft begründen zu können. Und wenn auch einzelne eine Ausnahme machten,, so war ihre Anzahl doch zu gering, um auf das Ganze Einfluß zu üben.

Auch muß bemerkt werden, daß das Land den Auswanderern bei ihrer Ankunft nicht so wohl gefiel als sie es erwarteten. Die beschwerliche Reise, das neue und ungewohnte Klima, die öde und menschenleere Steppe machte, daß viele Heimweh bekamen, andere dem Siechbette anheimfielen und elend starben. Wieder andere durch Wohlleben, übermäßigem Genuß fetten Hammelfleisches und Genießen süßen, griechischen Weines ihren Schmerz zu vertreiben suchten.

Aber, fragen wir nun, wie erging es auch den ersten Ansiedlern vor 44 Jahren?

O, nicht so gut als ihren Nachkommen jetzt. Nachdem die Niederlassung begründet worden war, sollten sich die Ansiedler an die Bebauung des Landes gewöhnen, welche sie zum Teil gar nicht verstanden, indem sie die Landwirtschaft in ihrem Vaterland weder erlernt noch betrieben hatten, sondern größtenteils als Handwerker hier ankamen.

Einige kamen hier schon im Jahre 1803 an und wurden unter Zelten und in der Eile aus Fachwerk bereiteten Hütten beherbergt, bis in der Jahren 1804-1806 auf Kosten der Hohen Krone für jede Familie ein Haus von Erdziegel aufgeführt und das Notwendigste an Feld – und Hausgeräten, Brot – und Saatfrucht auf Rechnung der angeliehenen Kronsschulden bereit war. Von der Grenze bis zur völligen Übernahme von Wirtschaften wurden den Leuten auch Tages .oder Nahrungsgelder der nicht zurück zu erstattenden Kronsgelder geschenkweise ausbezahlt.

Die fehlerhafte Anlage der der Dörfer wird dadurch bestätigt, weil die beiden größten und dem Ansiedlungegebiet den Namen gebenden und auch größten Gemeinden um der Quellen willen, welche der Akerschi in seinen Mündungen darbietet, an die äußersten Grenzen verlegt und dann noch in der Nähe desselben noch andere Gemeinden angesiedelt, so daß die Ländereien der Kolonien Großliebenthal und Kleinliebenthal, die ein Drittel des ganzen Gebietes bilden, in schmalen Streifen bis 20 Werste vom Dorfe hinausgedrängt wurden.

In Großliebenthal beging man noch den Fehler, rings um das Dorf herum gegen 900 Desjatinen zu Gärten zu nehmen, während die Bauernhöfe selbst zum Teil nur 11 Faden Breite erhielten und zur Viehweide nur ein schmaler Streifen Landes übrigblieb, welches durch das vier bis sechsmalige Treiben des Viehs auf die Weide und zur Tränke einer Heerstraße ähnlich geworden ist und begreiflicherweise kaum während einiger Monate notwendige Weide gewährt.

Ebenso unpassend sind die Felder verteilt, so daß jeder Wirt bis 15 Stücke hat, während es vorteilhafter wäre, das Feld in 4 oder 5 Stücke zu haben. Oft trifft es sich, daß ein Landmann mehrere Taglöhner nimmt, um seine Ernte zu beschleunigen. Durch das Hinausfahren gehen einige Stunden verloren, das Feldstück kann aber in vollen Tagewerken nicht beendigt werden oder es wird einige Stunden vor Abend beendigt und es geht wieder ein viertel oder halber Tag verloren. Welche Zeitversäumnisse aber durch das !Heimfahren des Getreides erwachsen und welcher Verlust deshalb durch das Ausfallen des Getreides entsteht, läßt sich leicht berechnen. Oder aber, man übernachtete draußen.

Ein zweiter Hauptfehler lag in der Einteilung der Bauplätze. Man baute ganze Straßen in Niederungen, wo sie Überschwemmungen ausgesetzt und jedenfalls die Wohnungen ungesund sind, während in der Nähe höher und vorteilhaft gelegene Plätze zu Gärten oder anderen Zwecken verwendet wurden.

Die Ansiedler, von denen die wenigsten in ihrem Vaterlande Ackerbauern gewesen waren, wußten das ihnen auf jede Familie zu 60 Desjatinen zugeteilte Land so wenig zu schätzen, daß sie dasselbe mit den landlosen Handwerkern und Tagelöhnern freiwillig teilten, so daß sie jetzt (im Jahre 1849) nicht einmal mehr als 59 Desjatinen auf die Wirtschaft besitzen.

Wie es mit dem Betriebe der Landwirtschaft ausgesehen haben mag, läßt sich aus obigem und daraus schließen, daß nur in der Nähe der Dörfer einiges Feld geackert und etwas Heu gemacht, das meiste Feld aber nicht einmal zur Viehweide genutzt, sondern jedem preisgegeben wurde.

In sittlicher Beziehung sah es womöglich noch schlimmer aus. Bei den Wahlen der Dorf und Bezirksältesten wurde meistens nur auf Reichtum und Redefertigkeit gesehen, ohne das Benehmen der Gewählten auch nur von Ferne zu berücksichtigen.

Zu Schreibern wurden untaugliche Schullehrer oder verabschiedete Beamte oder verdorbene Handwerker angestellt und durch dieselben in Gemeinschaft mit den Vorstehern der Kolonien die Sittlichkeit der Gemeinden vollends untergraben. Die Amtshandlungen und Amtsversammlungen wurden oft mit Trinkgelagen beschlossen. Durchreisende Beamte gaben oft Vorwand und Veranlassung zu Gelagen auf Rechnung der Gemeinden, welche dann ihrerseits für berechtigt hielten, dem Beispiele der Beamten zu folgen und Zeit und Geld zu verprassen. Sehr viele Ungerechtigkeiten wurden so von der Ortsobrigkeit und den Aufsehern ausgeübt, indem sie, den Eid der Diensttreue brechend, nach Gunst handelten und um Geschenke willen das Recht verdrehten.

Mancher wird sich nun fragen, konnte die Behörde nicht zum Besten der Ansiedler eingreifen und durch Strenge bewirken, was Nachsicht und Vertrauen nicht bewirkten?

Die Obrigkeit ließ es an Ermahnungen, Warnungen und Strafen nicht fehlen, aber weil die Aufseher und Ältesten der Kolonien meistens selbst Leute von zweideutigem Rufe waren, so blieben solche Bemühungen erfolglos.

Auf Verfügung der Obrigkeit wurde etwa 1815 die gegenwärtig noch vorhandene Maulbeerbaumanlage angelegt und einige Jahre danach Weinreben. Darauf jedoch hielten die Kolonisten so wenig, daß schon in den folgenden Jahren die Vieherden hineingetrieben und das Begonnene somit wieder zerstört wurde. Erst im Jahre 1822 wurden diese Pflanzungen wieder neu angelegt und gegen das Eindringen von Vieh geschützt.

Von dem Zeitpunkte an, da die Vorgesetzten in Sitten und Wirtschaftsführung mit gutem Beispiel vorangingen, Körperstrafen nur noch für Verbrechen anzuwenden, wirtschaftliche Lässigkeiten aber zuerst mit Verweisen, erst später mit Geld – oder anderen verhältnismäßigen Strafen belegen, gingen die Kolonien in ihrer Verbesserung in jeder Hinsicht schnell entgegen.

Öftere Fehlernten, große Verluste durch Viehsterben, Heuschrecken, Hagel, Raupen, Käfer machten die Ansiedler aufmerksam auf ihre Lage und gereichte manchem zum Besten. Im Jahre 1824 trat eine gänzliche Fehlernte ein, dazu kamen im gleichen Jahre Heuschreckenschwärme, die bis zum Jahre 1827 gräßliche Verheerungen anrichteten. Durch diese Heimsuchungen verfielen die Kolonisten wieder in ihre vorige Armut und Schulden.

Das Jahr 1833 ward ein gänzliches Mißjahr, wodurch sich die Kolonisten genötigt sahen, abermals Schulden zu machen. Viele Familien kamen dadurch wieder in gänzliche Armut und hatten jahrelang zu tun, um sich wieder zu erholen.

Hierauf schenkte Gott wieder bessere Zeiten. Reiche Ernten, rasche Absetzung der der Erzeugnisse zu hohen Preisen in der nahe liegenden Handelsstadt Odessa bezweckten, daß die Kolonisten nicht nur ihre Schulden bezahlen, sondern auch Vorräte ansammeln konnten.

In diesen gesegneten Zeiten hat sich hatte sich unter vielen wieder der Verschwendungsgeist eingeschlichen und auf die Verbesserung der Wirtschaften wurde wenig geachtet. Freilich gab die damalige Obrigkeit viel Ursache dazu, daß mancher Kolonist sein Vermögen verpraßte oder auf schlechte Weise durchbrachte, indem sie zur Steuerung eines solchen Unwesens keine entschiedene Maßnahme ergriff, weil sie selbst dem Trunke ergeben war und sogar ihre eigenen Wohnungen zu Weinschenken eingerichtet hatten.

Diese keineswegs erfreuliche Schilderung des früheren Zustandes des liebenthaler Bezirks insbesondere und der Odessaer Ansiedlungen überhaupt mag manchem übertrieben, andern auch die Ursache befremdend erscheinen, warum diese Schattenseiten so stark hervorgehoben werden. Aber ohne dieselben kann man sich nicht erklären, erstens warum unsere Ansiedlungen nicht auf einer höheren Stufe der Sittlichkeit und des Wohlstandes stehen und zweitens auch nicht begreifen, daß dieselbe dennoch in kurzer Zeit wirklich große Fortschritte gemacht haben.

Gott sei gelobt, daß dieses Unwesen von keiner langen Dauer sein durfte. Im Jahre 1841 kam eine neue Bezirksverwaltung, welche hierselbst ihren Sitz hat , an das Ruder und die aus Männern bestand, welche auf das Wohl ihrer Mitbürger bedacht waren. Auch die Dorfältesten waren nicht mehr vom Gelichter der Vorigen.

Durch strenge Aufsicht der neuen Obrigkeit, durch deren scharfe Züchtigung der Liederlichen und Trunkenbolde wurde die vorige Rohheit und das unsittliche Leben ziemlich unterdrückt und an deren Stelle wieder Ordnung und Sittlichkeit einzuführen versucht*.

Molotschansker Beobachter. Zum Zeitvertreib der die Wahrheit liebenden Leser. Herausgegeben im August 1818 . Molotschansker Beobachter. Zweite Ausgabe. Herausgegeben im September 1818

 

Der heutige Zustand der Kolonie (1848) liest sich folgendermaßen

Fährt man auf dem Postwege von Odessa nach Großliebenthal, so findet man beim Eintritt auf die Kolonialländereien den Postweg auf beiden Seiten mit Gräben und auf dem Walle derselben lebendige Hecken angelegt. Bald erblickt man die durch kaiserliche Freigebigkeit prachtvolle Landkirche und übersieht beinahe das ganze Dorf mit seinen Gebäuden und Anlagen, die meist mit Vorrat bedachten Dreschplätze und Heuschober geben einen deutlichen Begriff von dem Betriebe des Ackerbaues und lassen auf den nun erworbenen Wohlstand der Einwohner schließen.

Von welcher Seite man jetzt in die Kolonie eintritt, wird man überrascht durch den Anblick der regelmäßig und schön gebauten, inwendig mit viel Aufwand ausgestatteten und bequem eingerichteten Häusern, die mit reinlichen Höfen, geräumigen Stallungen und gewölbten Kellern umgeben sind. Man empfindet es lebhaft, daß man unter Deutschen lebe, die ihre frühere Heimat gerne nachbilden möchten.

Daß die Kolonisten nach dem Wunsche der Obrigkeit ihre Wirtschaften so gut einrichten konnten, kommt von ihrer weitumfassenden Betriebsamkeit in der Wirtschaft und der Viehzucht her, die ein sehr nützlicher Zweige des Erwerbs ist. Zu diesem Umtrieb trägt namentlich der Vorteil bei, daß die hiesigen Kolonisten viel Land pachten von der griechisch – militärischen Ansiedlung Alexandrowka, die sich mit Ackerbau sehr wenig beschäftigt. Es gibt Wirte, die jährlich 100 bis 400 Desjatinen Land pachten und das Land bis zur Hälfte mit Getreide besäen. Andere haben wieder weniger gepachtet. Die großen Heuschober und Getreideschober, die man in fast allen Höfen erblickt, geben einen deutlichen Begriff von dem Betriebe des Ackerbaus.

*Vergl.: Ähnliche Zustände an der Molotschna zur selben Zeit. S. im Archiv: Molotschansker Beobachter. Zum Zeitvertreib der die Wahrheit liebenden Leser. Herausgegeben im August 1818. Molotschansker Beobachter. Zweite Ausgabe. Herausgegeben im September 1818.

 

Kirche

Was die Blicke des Ankommenden am meisten anzieht, ist die prachtvolle Landkirche, welche das ganze Dorf mit seinen Gebäuden und Anlagen überragt. Sie ist ein Meisterstück der Baukunst, entzückt uns deren Inneres noch mehr, indem man sieht, wie achteckige Säulengewölbe, die mit vielen Fenstern versehene Emporkirche tragen, wie ein ehrfurchtgebietendes Rundgewölbe sich über dem Altar erhebt. Die schöne Orgel mit ihren reinen Tönen, die das Gemüt zur Andacht stimmt, hat 14 Register. Sie erfreut den Wanderer um so mehr, weil es in Südrussland noch wenige solcher Werke gibt.

Neben der Kirche steht das Pfarrhaus, ein schönes, mit mehreren verschiedenen Zimmern eingerichtetes Gebäude, an welches sich zwei Nebengebäude anschließen.

Links neben dem Pfarrhaus ist das Schulhaus, das zwei Säle für die Schulkinder und vier kleine Zimmerchen nebst Küche für den Schullehrer enthält. Es wäre sehr zu wünschen, daß hier bald noch ein Schulhaus erbaut und noch ein Lehrer angestellt würde, weil dieses zu klein ist, um alle Schulkinder aufzunehmen.

Der anfängliche Zustand der Schulen war wenig erfolgversprechend. Zum Schullehrer z.B. konnte jeder bestellt werden, der notdürftig lesen, einige Zeilen schreiben und einige Kirchenmelodien herleiern konnte sowie womöglich weniger Besoldung verlangte als ein Viehhirt.

Die Gemeinde Großliebenthal z.B. ließ sich mit einer Hütte, welche zur anfänglichen Wohnung für den Schullehrer eingeräumt worden war, bis zum Jahre 1827 als Schulhaus begnügen. Das Schulzimmer für die schulfähige Jugend hatte höchstens 10 Geviertfaden Fläche und an Schreibtische, Schreibtafeln, Lesetabellen und Schulbücher war nicht zu denken und wenn vor 15 oder 20 Jahren noch ein Schullehrer danach fragte oder gar verlangte, daß die Kinder zum regelmäßigen Besuch der Schule angehalten werden sollten, so wurde er von geistlichen und weltlichen Vorgesetzten mit Achselzucken abgewiesen, von den Dörfern aber als Narr verlacht.

Aber auch hier wendete sich vieles zum Besseren und die Dorfbewohner mußten auf Druck der Obrigkeit einsehen, daß gewisse Schreib, Rechen und Lesekenntnisse von Vorteil sein können, denn mit fortschreitendem Wohlstand verbreiteten sich Zeitungen, Kalender und auch Bücher unter den Dörfern Südrusslands, die vorwiegend Artikel zur Verbesserung der Landwirtschaft enthielten und den Bauern mit Lesekenntnissen nur Vorteile verschaffen konnten.

Bis jetzt, im Jahre 1848, hat sich mit Ausnahme einer Kolonie im Großliebenthaler Gebiet jede Kolonie ein Schulhaus erbaut und außer der Kolonie Josephsthal, die ihrem Lehrer nebst dem Getreide nur noch 63 Rubel Silber Jahresgehalt gibt, sind die Gehälter der Schullehrer verhältnismäßig erhöht und die Schulen werden allmählich verhältnismäßig besser eingerichtet und dank der Maßregeln der Regierung wenigstens zur Winterszeit von den Kindern regelmäßig besucht.

Die Lehrerstellen werden jetzt nur mit musterhaften Männern besetzt. Doch ist in einigen Gemeinden die Anzahl der Schulkinder so groß, so daß die Schulen notwendig getrennt und zum Beispiel in der Kolonie Großliebenthal, wo 425 Kinder die Schule besuchen, an Stelle des einen Lehrers derselben vier angestellt werden sollen und noch von Gehilfen unterstützt werden sollen. In den zwölf Dörfern des Gebietes zusammen sind 822 Knaben und 807 Mädchen, in allem 1629 Kinder, welche von 12 Lehrern unterrichtet werden. Diese Lehrer erhalten zusammen 1557 Rubel Silber Jahresgehalt.

Ungeachtet dieser mangelhaften Einrichtung der Schulen lernen viele Kinder doch ihre Muttersprache geläufig lesen und schreiben, ziemlich fertig rechnen und die Kirchenmelodien singen.

Unterhalb des Pfarrhauses von Großliebenthal ist die erst im Jahre 1843 von den Kolonisten Sonderegger und Utz in Gemeinschaft mit dem Ausländer Fokker begründete Wasserheilanstalt, welche schon 85 Kurgäste zählte und zur Verschönerung der Kolonie, zur Hebung des Wohlstandes der Einwohner vieles beiträgt. Auch ist dieser Kolonie der Vorteil dargeboten, an Herrn Fokker einen tüchtigen Wundarzt zu besitzen. Mögen die Einwohner ihren eigenen Vorteil nicht verkennen und ihrerseits auch zur Hebung der Anstalt und Einrichtung des Dorfes zum Kurorte beitragen.

Kein Ort im ganzen Gouvernement Cherson eignete sich so passend für eine Wasserheilanstalt wie Großliebenthal. Die schöne Lage, das große, mit jetzt 2 300 Seelen bevölkerte Dorf, welches einen Überfluß an Lebensmitteln darbietet, die reichlichen Quellen, welche dem Akerschi entströmen, reine Luft, Spaziergänge in den bedeutenden Gemeindeanlagen, im Dorfe selbst eine protestantische, vier Werst davon in Kleinliebenthal eine katholische Kirche, 5 Werste entfernt im Dorfe Alexandrowka eine griechische Kirche, neben der Kolonie Kleinliebenthal das Bad im Salzsee, dies alles sind große und wichtige Vorzüge dieses Kurortes.

Dieser Bericht, der hier gekürzt wiedergegeben wurde, soll mit einigen statistischen Angaben über den Liebenthaler Bezirk aus dem Jahre 1847 beendet werden (G.W.):

Unter den vorhandenen 1144 Wohnhäusern sind 1076 von Stein erbaut, 46 gestampfte und 12 von Fachwerk. Die Dächer sind meistens mit Schilfrohr bedeckt, wenige mit Stroh und einige mit gebrannten Ziegeln.

Unglücksfälle: Im Jahre 1847 sind Menschen umgekommen:

Durch Feuer 2 Kinder, davon starb eines drei Wochen, nachdem es sich am Licht die Kleider angezündet hatte.

Durch den Sturz vom Wagen ein Kind und ein Erwachsener.

Durch den Fall in einen Brunnen 1 Kind.

Durch Blitz erschlagen, 1 Erwachsener.

Selbstmord fand einer statt infolge einer vernachlässigter Erziehung und eines lasterhaften Lebenswandels.

Verheerungen haben stattgefunden:

Durch Feuersbrunst Schaden im Betrage von 395 Rubel, Heuschrecken 7473 Rubel, Raupenfraß an Bäumen 2115 Rubel und Käfer 5796 Rubel.

Viehsterben:

Pferde sind gefallen 247, Rindvieh 408, Schafe 859, Schweine 131.

Landwirtschaftliche Geräte:

Die Ansiedler dieses Gebietes besitzen: 1440 Pflüge, 1932 Eggen, 1770 Wagen, steinerne Dreschwalzen, Häckselmaschinen, die mit Pferdekraft betrieben werden 2.

Gewerbe und Handwerker:

Töpfereien 4, Ölmühlen 10, Kalkbrennereien 1, Windmühlen 40, Pferdemühlen 20 (Im Anfang der Ansiedlung war jahrelang keine Windmühle vorhanden und die armen Weiber mußten das Getreide auf Handmühlen mühsam mahlen. Jetzt wird auf diesen 60 Mühlen für viele Einwohner der benachbarten Ortschaften und sogar der Stadt Odessa Getreide gemahlen.). Damit beschäftigen sich 90 Arbeiter und verdienen im Jahr zusammen 2 800 Rubel.

In den Kolonien selbst befinden sich:

12 Zimmerleute, 20 Tischler, 7 Faßbinder, 14 Wagner, 2 Gerber, 2 Töpfer, 1 Weber, 6 Fleischer, 25 Schmiede, 31 Müller, 25 Maurer, 2 Sattler, 2 Bäcker, 9 Schlosser, 4 Schäfer, 10 Gärtner, Ölmüller 9, Drechsler 2, Siebmacher 1, Schuhmacher 43, Schneider 23, verschiedene Handwerker 5. Alles in allem 256.

Im Jahre 1847 sind Kolonistenknaben zur Erlernung verschiedener Gewerbe auf Lehrkontrakte abgegeben worden:

Tischler 2, Wagner 2, Fleischer 1, Schmiede 2, Schuhmacher 9, Schneider 1, Bäcker 2, Schlosser 1, Buchbinder 1.

Großliebenthal, den 15. Juli 1848 Schulz Chr. Hartmann

Hier endet der Gemeindebericht von Großliebenthal, der um Einzelheiten aus dem „Unterhaltungsblatt“ erweitert wurde, um verbindlich aus damaliger Sicht und Schreibweise darzustellen, wie schwierig die Anfangszeit der Ansiedlung unserer Vorfahren war.

Diese Berichte aus dem Großliebenthaler Gebiet könnten noch weiter fortgesetzt werden.

Die Gemeindeberichte von Neuburg, Glückstal, Bergdorf, Neufreudenthal u.a. sind jedoch so umfangreich und detailreich verfaßt, daß es den hier verfügbaren Platz sprengen würde.

Wer sich von den Besuchern dieser Webseite für die weiteren Dörfer interessiert, findet die Berichte in dem Buch von Georg Leibbrandt „Die deutschen Kolonien in Cherson und Bessarabien“, dem auch diese hier vorliegenden Berichte entnommen sind. Einsehbar im „Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart,“ unter der Signatur DAJ–C 1.

 

Das Zürichtaler Kolonistengebiet
Zürichtal

Im Spätjahr 1803 sammelten sich gegen 40 Schweizer Familien, an 200 Seelen, unter dem ihnen vorgesetzten Herrn Escher in Konstanz am Bodensee und schifften sich in einigen Stunden über denselben nach Mörsburg (Meersburg), erreichten darauf Ulm und fuhren von dort die Donau hinab bis Preßburg in Ungarn, nachdem sie zuvor 14 Tage in Wien geweilt hatten. Von Preßburg ging ihr Weg nach Rosenberg in Ober - Ungarn, woselbst überwintert wurde. Hier fanden über 30 ihr Grab durch Krankheiten und Hilflosigkeit. Neue Ankömmlinge stießen indes wieder zu ihnen und durch sie vermehrt, brach der Zug im Jahr 1804 wieder auf, gelangte glücklich nach der Krim und ließ sich zuerst in der Umgegeend von Feodosia auf einem dem Herrn General von Schüz gehörigen Gute (Karakos) nieder. Die Krone erstand aber noch in demselben Jahre das zwei Meilen davon gelegene tataraische Dorf und Gebiet Dschailau, wohin Ostern 1805 die Schweizer übergesiedelt wurden, und das nun, in der Erinnerung an die heimatlichen Täler, den Namen Zürichtal erhielt, von Escher selbst aber und seinem Sohne, die bereits abgereist waren, nie gesehen worden ist. Der Herr Major von Escher starb im Jahre 1830 zu St. Petersburg.

Zürichtal ist von der Natur aus in vielfacher Hinsicht begünstigt. An dem nordöstlichen Vorsprunge des taurischen Gebirges und dem auf demselben entspringenden Bache Jendol gelegen, ist es 2 Meilen von dem armenischen Flecken Alt - Krimm, 5 Meilen von der Kreisstadt Feodosia und in entgegengesetzter Richtung ebensoweit von Karassubasar und dem großen Sudaker Weintale entfernt. Von Osten her verdeckt dem Wanderer eine lange, den Bach einfassende Hügelkette den Anblick des Dorfes, bis er an dem von Weingärten umsäumten Abhange derselben unmittelbar in diese eintritt. Nach Westen hin liegt es frei und ist auf Stunden weit schon sichtbar mit seinen roten Ziegeldächern, die sich, einer Stadt ähnlich, eine Werst lang aneinander reihen. Überraschung weilt auf diesem heimatlichen Anblicke das Auge eines jeden Deutschen. Gegen Norden grenzt ein anmutiges Wäldchen von wilden Obstbäumen, Rüstern, Weiß - und Silberpappeln daran und im Süden entfaltet das benachbarte Gebirge eine wahrhaft liebliche Schweizer Landschaft. Am Bache liegen Gärten und Wiesen, die derselbe zum großen Nutzen der Besitzer wässert, wo er aber auch oft durch Überschwemmungen wie zuletzt am 20. Juni 1847, bedeutenden Schaden anrichtet. Überdies treibt er eine Mühle mit zwei Gängen, deren Einkünfte zum besten der Gemeinde verwendet werden. Das Dorf selbst zerfällt durch die in der Mitte stehenden Hauptgebäude - das kleine Kirchlein, das Pfarr - und Schulhaus und einigen anderen - in das sogenannte Ober - und Unterdorf, die beide durch eigene Springbrunnen mit frischem und gesundem Wasser hinlänglich versehen sind. Jeder Wirt hat einen geräumigen Hofplatz, den er mit Stallungen vorteilhaft bebauen kann, nach der Straße hin mit einer steinernen Mauer verwahrt und hie und da mit jungen Bäumen besetzt hat.

Das ist ein kleines Bild von Zürichtals Lage in dem hoffnungsvollen Lichte der Gegenwart. Nur hier, am Fuße der Berge, nahe dem schattenden Walde, am rieselnden Bache, bei quellenden Brunnen, konnten Züricher eine zweite Heimat finden.

Aber wie erging es nun den ersten zürichtaler Ansiedlern vor 43 Jahren? Ach, wohl nicht so gut als ihren Nachkommen jetzt. Die Krone hatte ihnen zwar Land und auch einen Vorschuß zum Bauen gegeben ,jedoch war dieser bald verbraucht und die wenigsten von ihnen verstanden etwas von der Landwirtschaft, da sie daheim mit Baumwollspinnen und Seidewinden sich ihr Brot verdient hatten. Zu arm, um sich gehörig einzurichten - einige Jahre fehlte es sogar an Aussaat - ohne Häuser und Ställe wurden sie, unkundig der Landessprache, obendrein noch betrogen und vielfältig bestohlen, ja einzelne sogar erschlagen. Da konnten denn die Väter nur mit Bangen in die Zukunft blicken. Reue und Angst preßte ihnen das Herz. Heimweh regte sich in der Brust. Eltern hatten sich von ihren Kindern, Kinder von ihren Eltern und Geschwistern gerissen und nicht mal einen Brief wußten sie in ihr Vaterland zu senden, denn sie waren noch so unglücklich, lässige, eigennützige oder nicht gehörig in ihre Lage eingehende Inspektoren zu haben und es war keine Aussicht da auf einen rechtschaffenen Geistlichen oder Schullehrer. So kam es denn, daß in wenigen Jahren die Hälfte der Einwanderer auf dem Gottesacker lag. Namentlich starben im Frühjahr 1812 nahe 40 erwachsene Personen an hitzigem Fieber und zu arm, um den Toten die letzte Ehre zu erweisen, wurden sie ohne Bahre und Leichenzug in Lumpen der Erde übergeben. Gewiß hätte tiefes Mitleid alle Herzen im fernen Schweizerlande zu milder Beisteuer aufgerufen, hätte man die Not der Brüder in der Krimm gekannt, die gern, gleich dem verlorenen Sohne, Knechte hätten werden mögen in dem väterlichen Hause, hätten sie nur zurück gekonnt.

Doch gelobt sei Gott, es wurde besser. Ein neues Geschlecht wuchs in der Jugend heran. Sie erlernten die Landessprache, gewöhnte sich an des Landes Brauch und Eigentümlichkeit, indem der Mangel sie häufig zwang, bei Russen und Tataren sich zu verdingen und es ist jetzt nichts seltenes, daß ein Zürichtaler sich mit diesen in ihrer Mundart ebenso geläufig als in der eigenen Muttersprache sich verständigt. Die Armut der Väter brachte den Kindern den großen Gewinn, daß sie, unter Entbehrungen Beschwerden herangewachsen, Zufriedenheit und Einfachheit gelernt hatten und die Zahl der bereits ausgestorbenen Familien wurde im Jahre 1825 schon durch 25 aus der Molotschna herbeigerufene Hausväter, größtenteils katholischen Bekenntnisses, ergänzt.

Eine neue Epoche des Aufblühens begann aber für unsere Kolonie mit dem Jahre 1822, als er erste Pfarrer derselben, namens Heinrich Dietrich aus der Schweiz hieselbst ankam. Alles nahm einen anderen Umschwung. Ordnung, Tätigkeit, Wohlstand traten überall hervor. Der Bau der kleinen Kirche war kurz vor Dietrichs Ankunft vollendet. Nun stand alsbald ihr zur Seite das hübsche Pfarrhaus und die geräumige Schule. Auch zwei kleinere Filialgemeinden errichteten Kapellen zum gottesdienstlichen Gebrauche. Dietrich selbst leuchtete überall mit gutem Beispiel vor und rügte mit ernster Stimme die eingeschlichenen Mißbräuche. Besonders verdient machte er sich durch die Verbesserung des kirchlichen Gesanges. Leider wurde er zu früh für sein segensreiches Wirken schon im Jahr 1827 in einem Alter von 33 Jahren durch den Tod abgerufen. Doch die Frucht seines Wirkens ist gesegnet geblieben bis auf den heutigen Tag.

Ohne ihn wäre Zürichtal wohl nimmer das geworden, was es jetzt ist, die vorzüglichste Kolonie in der Krim. Die Hütten der ersten Gründer wurden durch hübsche und wohnliche Häuser verdrängt, und aus der Armut arbeitete sich Wohlhabenheit hervor. Den Hauptnahrungszweig macht der Weizenanbau, welcher einen reichen Gewinn gibt. Der Viehbestand ist ansehnlich, auch Gewerbefleiß bildet sich mehr und mehr aus. Einer Verbesserung bedürfen noch der Wein - und Obstbau. Zwar vermehrten sich auch die Abgaben jährlich und blieben Unglücksfälle - wie 1822 bis 1825 Heuschrecken und 1833 Mißwachs - nicht aus. Dennoch scheint die Zukunft der Kolonie sichergestellt, da sie hinreichend mit gutem Lande versorgt ist und zwei Mal Gelegenheit fand, angrenzende Ländereien vorteilhaft anzukaufen. 74 Wirte haben an diesem Lande jeder einen feststehenden und zwar gleichen Anteil von 40 Desjatinen. Das Dorf wimmelt von Jung und Alt und die Seelenzahl der evangelischen beträgt allein 400, unter welchen nur noch wenige Personen von jenen ersten Einwanderern sich befinden.

Nach dem Tode des unvergeßlichen Dietrich bekleidete Pastor Kylius aus Baden die Pfarrstelle drei und ein halbes Jahr bis zu meiner im August 1831 hieselbst erfolgten Ankunft.

 

Zürichthal, den 7. Februar 1848

Probst E. Kyber

Pastor zu Zürichthal

 

Nachdem der Herr Probst Kyber , laut dem Unterhaltungsblatt N3. im Februar Monat d. J. eine Beschreibung über die Auswanderung der Schweizerkolonie, ihre Reise, Ankunft in der Krim, Ansiedlung auf dem tartarischen Dorfe Dschailau, dessen Lage, Eigenschaften, anfänglichen und jetzigen Bestande eingereicht hat, so sehen wir doch für nötig, einige dazwischen gebliebene Lücken auszufüllen.

Nicht alle, welche aus der Schweiz auswanderten die sie auf er Reise sich noch angeschlossen hatten, wurden auf dem Ansiedlungsorte ansässig. Drei Familien ließen in der Feodosia sich nieder, sieben gingen zu der Kolonie Friedenthal über, mehrere ledige Handwerker, deren Gewerbe in der Krim noch nicht im Gange war, gingen teils ins Innere des Reiches, teils in das Ausland zurück, 49 betraten den Standort.

Diesen wurde von der hohen Krone allergnädigst, noch über ein Jahr dauerndes Nahrungsgeld verliehen, der erwachsenen Personen zu 10 und den Minderjährigen zu 5 Kopeken Banko täglich. Überdem wurde zum Ankauf des Viehes, Ackergeräte und Hausbau jeder Wirtschaft 395 Rubel Banko erlassen.

Diese Vorschüsse, so gering sie auch jetzt erscheinen mögen, hätten in den damaligen Zeiten die Bedürfnisse , zu welchen sie bestimmt wurden, ziemlich befriedigen können, wenn nicht andere Hindernisse dazwischen getreten wären. Neben dem Mangel hiesiger Sprachkenntnis mußte man noch der Charakter der mahomethanischen (mohammedanischen) Nation, die neidisch auf die neuangekommenen Einwohner hinblickten, bei manchen Vorfällen tief empfinden. Der wenigere Teil der Ansiedler hatte Kenntnis von der Landwirtschaft und die mitgebrachte konnte hier nicht ganz üblich angenommen werden. Die Kolonialobrigkeit vermochte nicht über alles in ihren Vorschriften Rat zu geben und kein anderer war vorhanden. Die 25 vorgefundenen tartarischen Häuser von Flechtwerk waren, bei der ärgsten Zusammendrängung zu wenig um die angekommenen Familien aufzunehmen. Deshalb mußten manche in Ställen, die nur einigermaßen gegen Wind und Sonnenschein schützten, Herberge nehmen, denn in eben demselben Jahre die eigenen Häuser aufzuführen war eine ganz unmögliche Sache. Dieses war in gesunden Tagen und bei warmer Jahreszeit leidlich, aber der Sommer verstrich und noch schneller verlor sich die Gesundheit. Kalte Wechselfieber und andere Anfälle traten an ihre Stelle, legte manche zahlreiche Familien ohne eins dem anderen warten zu können, aufs Lager und endlich ins Grab. So am Rande desselben stehend, hat manche Seele noch nach geistlicher Speise und Trost für sich und die seinigen geschmachtet, aber auch dieses mußten sie entbehren, denn nur einmal jährlich hatte ein Besuch des damaligen Herrn Pastor Biller aus Josephstal statt. Und wie armselig es bei dessen Ankunft herging: Jede nur krankenfreie Wohnung, mochte sie im übrigen noch so armselig aussehen, mußte die Stelle der Kirche vertreten. In der Zwischenzeit wurden geistliche Verrichtungen, das Hl. Abendmahl ausgenommen, von Geistlichen anderer Konfessionen, auch häufig von Laien verrichtet. Kurz, die Kolonie Zürichtal war mehr als die anderen Krimschen Kolonien mit Krankheiten behaftet. Ob solches Folgen des Tales, in welchem nicht selten, mehr als anderwärts ein Nebel ruht und und des nashe am Dorfe stattgehabten Sumpfes (jetzt durch Graben abgeholfen und in Gärten umgewandelt) waren, läßt sich mit Gewißheit nicht bestimmen.

So verstrichen die ersten 3 Ansiedlungsjahre und nur wenige, welche minder mit Krankheiten befallen wurden, gelangten zum Aufbau ihrer Häuser und zur Bestellung des zum eigenen Bedarf erforderliche Ackerbaues.

Daß unter den anderen nicht auch solche waren, die nicht aus Widerspenstigkeit gegen die Vorgesetzten, sondern infolge ihrer Unkenntnis der Landwirtschaft , Mangel an Betriebsamkeit, aller Ermahnungen der Kolonialbehörde ungeachtet, spüren ließen, ist nicht zu leugnen, deswegen auch die Letztere es unmöglich bei Ermahnungen konnte bewendet lassen, sondern zu Ahndungen, verbunden mit Milde greifen mußte:

Jeder, der sich in jene Zeiten noch versetzen kann, muß mit der gebührendsten Bewunderung und dem wärmsten Danke die große Langmut unserer Monarchie, die, benachrichtigt von dem hoffnungslosen Zustand der Kolonie, teils aus den Berichten der niederen Vorgesetzten, teils von den Auskünften mehrerer anderer die Kolonien bereisenden hohe Staatspersonen dennoch nicht müde ward, uns mit väterlicher Geduld zu tragen, anerkennen.

Im Jahre 1810, da der Mehrteil der Häuser jedoch sehr einfach und mit Schilf bedeckt, erbaut war, hatte sich die Volkszahl, der Viehzustand und der Ackerbau, ursächlich des oben erwähnten und der bis zu diesem Jahre schon zum zweiten Male eingetretenen Viehseuche noch wenig erhoben. Des Landes war daher überflüssig, man konnte an Auswärtige Ackerland, Futter und Weideplätze vermieten. Jedem Einwohner war es um so weniger verwehrt, so viel er konnte zu ackern, Vieh zu halten und futter zu sammeln. Mehreren Kolonisten anderer Kolonien wurden ausgestorbene Feuerstellen überlassen.

25 Familien derer im Jahre 1809 an der Molotschna über Winter gelegene Einwanderer, mehrteils Katholiken, wurden als Mitbürger angenommen und so vermehrte sich die Kolonie auf 74 Wirte.

Bei allen den niedrigen Zuständen, in welchen sich die Kolonie derzeit noch befand, hatten diese Neuankömmlinge noch manchen Vorteil. Sie fanden bessere Beachtung als die alten, Letztere konnten ihnen schon mit der Landessprache und manch anderer Anleitung zu Hilfe kommen, obgleich auch der Mehrteil von Krankheiten nicht frei blieb.

Ein unverbesserlicher Fehler wurde bei letzterer Vermehrung dieser Kolonie dasrin begengen, daß nicht bedacht wurde: zwei Konfessionen werden in Hinsicht auf die Lehrstandunterhaltung auf immerwährend jeder Partei kostspielig werden. Besonders wachte die Vorsehung besonders über uns bei der 1812 ausgebrochenen hitzigen Krankheit, daß sie im Frühjahr und nicht im Herbst oder Winter desselben Jahres grassierte, weil in letzter Zeit die Pest in diesem Kreise, ja sogar in einem tartarischen Dorfe 2 Werst von Zürichthal, herrschte. Unausbleiblich wäre die Kolonie im entgegengesetzten Falle gesperrt worden und das gleichsam glimmende Hochkommen hätte gewiß neue Rückfälle bekommen.

Nach diesem Zeitraume fing gleichsam eine neue Periode an zu beginnen. Die Krankheiten verloren sich, nach und nach kam Jugend zur Hilfe auf und andere in ersterer Zeit stattgehabten Mängel beseitigten sich. Durchgängige Viehumfälle zerrütteten nicht mehr den zunehmenden Zustand desselben, der Ackerbau wurde verstärkt und Gott schenkte sein Gedeihen. Der beinahe entschlafene Sinn für Religion wurde in manchen Herzen reger und vor Ablauf des zweiten Jahrzehnts wurde zum Aufbau der jetzt noch bestehenden Kirche geschritten, welche von dem damaligen Generalsuperintendenten Böttiger in Odessa im Jahre 1820 noch ehe ein eigener Geistlicher angestellt war eingeweiht wurde.

Auch das dritte Jahrzehnt, welches für die Krim und namentlich für diesen Kreis hinsichtlich der Heuschrecken bedeutenden Nachteil brachte, konnte dieser Kolonie bei weitem das nicht anhaben wie der tartarischen Nation, von welchen sich unterdessen viele zu Knechten und anderen Arbeitern auch für die deutsche hergeben müssen.

Schon in dieser Zeit fühlte man den Landmangel. Man sah sich genötigt, um dem vermehrten Viehbestand in der Nähe Weide zu verschaffen, den Ackerbau auf fremden Gütern zu bestellen. Jetzt wurde man, eingedenk des wohlmeinenden und hoffnungsvollen Rats des zu seiner Ruhe eingegangenen Herrn Contenius damaligen ältesten Richter des Jekaterinoslawschen Tutel Comptoirs „Veräußert kein Land und keine Wirtschaften“. Besonders wohl zustatten kam in Hinsicht der Benutzung das angrenzende Landgut einer gewissen Katowski mit 1 300 Desjastinen. Nach einigen Pachtjahren wurde es sogar zum Verkauf angeboten. Fühlbar schwach, dieses zu unternehmen, aber die dringende Notwendigkeit und die Überzeugung von der Einsicht diese Bedürfnisses unserer hohen Kolonialbehörde, sowie nicht weniger deren unverkennbare und aufopfernde Bereitwilligkeit für das Wohl ihrer Untergebenen alles Mögliche zu tun, machte uns Mut, sie auch in diesem Falle um Hilfe anzuflehen und wir blieben nicht ohne Erhörung. Ihre Unterlegung wurde dergestalt gekrönt, daß Seiner Majestät unser allergnädigster Herr und Kaiser die Gnade hatte zu geruhen und zum Ankauf erwähnten Landes die nötige Summe auf 10 Jahre mit gesetzlichen Prozenten auszuleihen.

Dieses war der Fund zu Zürichthals jetzigem wohlbesorgtem Zustande, ohne diesen wären sie zu schwach geblieben, zehn Jahre hernach aus eigenen Kräften noch 1 500 Desjastinen anzukaufen. Wem gebührt nun die Ehre? Nicht uns. Sondern dem Herrn, seinem Gesalbten und der unmittelbar über die Ansiedler gesetzten Behörde. Darum, Ihr Mitbürger Zürichthals, die ihr früher oder später alles dieses höret oder leset, erwidert auch ihr noch durch willige Lenksamkeit und eifrigem Gehorsam das Gute, welches unsere Väter von der gnädigen Regierung Russland genossen haben und dessen ihr jetzt selbst teilhasft worden seid. Macht euch eures jetzigen Vaterlandes würdig, damit auch die Beschlüsse , welche von dem Staate desselben immer zum Untertanenwohl abzwecken, sich auch auf euch herabsenken können.

 

Kolonie Zürichtal, den 20. März 1848

Schullehrer: B. Friedrich Pfeiffer Schulz: Anton Nuß

Beisitzer: Rudolf Dubs

 

 

Heilbrunn

Die Kolonie ist gegründet worden 1805 am 5. Juli an welchem Tage sich die Einwanderer daselbst niederließen. Zur Anlegung der Häuser aber wurde erst im folgenden Jahre geschritten und der Bau derselben 1807 vollends zu Stand gebracht.

Durch Unerfahrenheit und Mangel an der Landessprache wurden die Neueingewanderten am Bau der Häuser sehr betrogen, denn in wenigen Jahren kam es so weit, daß selbige einfielen und aus schwachen Mitteln andere an ihrer Statt gebaut werden mußten.

Das Land, auf welchem sich die Kolonie befindet heißt ursprünglich Uternisch - Eli und gehörte einem Tatar Mursa namens Addey. Sie ist gelegen an einem kleinen Bache, dem sogenannten trockenen Jeindol. Die Entfernung von der Gouvernementstad Simferopol beträgt 80 Werst, die des nächsten Städtchens Alt - Krim 10 Werst.

Der Boden des hiesigen Landes besteht zum größten Teil aus einem Gemisch von Kies und Lehm und nur wenige Stellen enthalten Schwarzerde. Im Ganzen sind zwei Drittel des den Kolonisten zugewiesenen Landes als brauchbar, ein Drittel dagegen wegen seines steinigen Gehaltes als weniger brauchbar zu betrachten.

An der Abendseite des Dorfes, das seit 1823 eine schöne Kirche und weit 1844 ein freundliches Schulhaus besitzt, befindet sich ein 25 Desjatinen großer Gemeindegarten,der, halb mit Bäumen und halb mit Weinreben bepflanze, ein vorteilhaftes Einkommen dem betriebsamen Landmanne gewährt. Dieser Garten sah früher, als die Deutschen ankamen, einer Wildnis gleich.

 

Sudak

Im Jahr 1803 im August Monat sammelten sich gegen 15 Württemberger Familien an 40 Seelen, unter den von ihnen vorgestzten Herrn Ziegler von St.Petersburg und reisten zu Lande bis Ulm, wo mehrere neue Ankömmlinge von verschiedenen Stationen zu ihnen stießen. Durch sie vermehrt wurden sie eingeschifft und fuhren den Donaufluß durch Bayern, Ungarn und die Türkei bis nach Galatz. Von Galatz ging ihr Weg zu Lande durch die Moldau nach Dubasarbis an die russische Grenze, wo sie acht Tage Quarantäne halten mußten. Von Dubasar brach der Zug wieder auf und gelangte glücklich in Odessa an, wo überwintert wurde. Schon in Odessa trennten sich einige Familien von dieser Partei. Was Handwerker waren suchten ihr Unterkommen in verschiedenen Städten und eine Familie ist von Odessa aus wieder zurückgereist in ihr Vaterland. Im Frühjahr 1804 wurden die übrigen Familien, wieviel an der Zahl niemand mehr anzugeben weiß, bei Odessa wieder eingeschifft und gelangten in acht Tagen bei Kaslow an. Von dort ging ihr Weg zu Lande bis in die Kolonie Neusatz in der Umgebung der Gubernial - Stadt Simferopol² und Karasubasar, woselbst wieder überwintert wurde. In Neusatz wurde publiziert, wer Lust hat nach Sudak sich zu begeben soll sich melden. Also haben sich gemeldet 9 Württemberger Familien und eine Überrheinische (elässische). Im Frühjahr 1805 ging sodann der Zug nach Sudak, wo ihnen das von von seiner Excellenz, dem Herrn Kriegs - Gouverneur, eine halbe Werst vom Schwarzen Meer bei der Festung zur Niederlassung und zwischen der Festung³ und dem Tale liegende Kronsland in Betrag von 260 Desjatinen zum Weinbau angewiesen wurde, wo niemals kein Rebstock gestanden hat.

Häuser fanden sie zu ihrer Aufnahme keine, sondern Erdhütten, wo Invaliden wohnten, welche die Einwanderer von ihnen gekauft hatten um darin zu wohnen, bis die Häuser, zu welchen die hohe Krone jedem 215 Rubeln Banko allergnädigst erteilte, aufgebaut waren. Ebenso wurde auch zum Ankauf des nötigen Viehs jedem Wirt 115 Rubel Banko Vorschuß verabfolgt. Ihre eigenen Mittel, welche sie vom Auslande mitgebracht hatten, hatten sie an barem Gelde nicht, bloß etwas Mobilien. Auf dieser Reise vom Auslande wurde ihnen von der hohen Krone in jeder Stadt verabfolgt Nahrungsgelder auf die Seele täglich 30 Kreuzer nach württemberger Münze gerechnet. Diese Ereignisse, welche auf das Schicksal Einfluß hatten, seit der Ansiedlung, so hat diese Gemeinde einige Jahre viel Schaden gelitten durch Heuschrecken, wie auch noch zuletzt im Jahre 1845 acht Weingärten geschädigt wurden. Verlust an Wein 830 Eimer an Wert 592 Rubel 85 Kopeken Silber. Den Hauptzweig ihres Wohlseins hat diese Gemeinde dem Weinbau zu verdanken. Ackerland zum Fruchtbau haben sie nicht.

Die Kolonie Sudak hat die Benennung nach dem 2 Werst entfernten Flecken Sudack, allgemein genannt. Rings umgeben von hohen Steinfelsen, Absturz und Schluchten und großem Mangel an Wasser, um die Weingärten zu bewässern. 2 Werst ist die Gemeinde von dem Sudaker großen Weintale entfernt, welches die Gutsbesitzer und Tataren in Besitz haben. Acht Werst von Tatarendorf Taraktasch, 30 Werst von dem armenische Flecken Alt - Krimm, 50 Werst von der Kreisstadt Feodosia und in entgegengesetzter Richtung 60 Werst von Karasubasar sowie 101 Werst von der Gouvernementsstadt Simferopol. 8 Werst von der Kolonie nach Nordost hat diese Gemeinde zu ihrem Behuf 557 Desjatinen Wald von wilden Obstbäumen, Eichen, Weißbuchen, Eschen, Weißdorn und Maßholder. In diesem Walde hat auch jeder Wirt etwas Heuflur für sein Vieh. Bei der Landmessung 1819* wurde der Kolonie das erwähnte zwischen Der Festung und dem Tale liegende Kronsland auch zugemessen. Dieses Land ist zur Kultur wenig geeignet, indem es größtenteils felsigen, salpeterhaltigen Boden und unzählig viele zerrissene Schluchten und Abstürze enthält, so daß etwa nur 10 Desjatinen ohne übermäßige Kosten zu Weingärten benutzt werden können. Alle übrige, so gering auch der Wert derselben sein mag und so höchst spärliche Weide während zweier Monate des Jahres in April und Mai liefert, ist gleichwohl für die Dorfgemeinde unentbehrlich für den Viehtrieb.

Im Jahr 1830 wurde dieses Land der Gemeinde abgenommen und die Kronsgrenze hart um die Häuser des Dorfes gezogen, so daß sie zum Viehaustrieb dieses Land alle Jahre pachten mußten. Im Jahre 1847 ist es zum Verkaufen eingeteilt und feil getan worden, am 30. Mai ist es im taurischen Reichsdomänenhof öffentlich versteigert worden, wovon diese Gemeinde auch ein Teil von dem nahe um die Kolonie liegenden Lande gesteigert hat, welches aber noch nicht zugemessen worden ist.

Wenn sie dieses Land verlieren, so ist die Kolonie sehr eingeschränkt, da sie ohne solches keinen Hof erweitern, kein Vieh halten viel weniger ihre Weingartenanlage vermehren können. Von Osten nach Westen geht nur ein Weg zum Ein - und Ausfahren in diese Kolonie zwischen Abstsürzen und Schluchten, verdeckt dem Wanderer den Anblick des Dorfes bis er nahe herankommt und unmittelbar in dieses hineintritt. Am Ende des Dorfes nach Westen auf einer Anhöhe stehen die Hauptgebäude: Eine Kapelle zum Behuf des Gottesdienstes und nicht weit davon ein neu aufgebautes Schulhaus ohne die anderen Gebäude, welche von Feldsteinen aufgebaut und mit roten Dachziegeln gedeckt sind. Nach der Straße hin sind die Höfe mit einer steinernen Mauer verwahrt und hie und da mit jungen Bäumen besetzt. Mitten im Dorf ein Springbrunnen, der mit frischem und gesundem Wasser hinlänglich versorgt ist.

Das ist ein keines Bild von Sudaks Lage in dem hoffnungsvollen Lichte der Gegenwart. Nur hier am Schwarzen Meer bei der alten Ruine einer genuesischen Festeung konnten Württemberger eine zweite Heimat finden.

Die Kolonie Sudak, welche im Jahre 1805 aus zehn Wirtschaften bestand, zählt jetzt an 20 Familien, unter welchen sich nur noch wenige Personen aus jenen ersten Einwanderern sich befinden.

 

Sudak den 18. Mai 1848 Schulz: Michael Gegelmann

Beisitzer: Friedrich Groß

Schullehrer: Christian Heine

 

²Gouvernementsstadt

³Griechen, die Sugdaia im 3. Jahrhundert gründeten, legten hier eine Weinbaukultur an. Sie erreichten eine beachtliche Höhe in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts unter den Genuesen, geriet aber während der Türkenzeit in Verfall. Nach Einverleibung der Krim schuf die russische Regierung 1804 in Atschitkljar bei Sudak unter der Leitung von Peter Pallas eine Schule zur Förderung des Weinbaues. 1809 wurde diese nach Pallas Fortgang dem Gouverneur von Taurien unterstellt.

*1818 meldete Inzow nach Petersburg, daß den Kolonisten das Land nicht nach Familien zugemessen sei, woraus sich Schwierigkeiten bei der Steuererhebung ergäben und bat um die entsendung von 6 Landvermessern zur Durchführung einer Landumteilung in den Kolonien. Bei der Bestätigung dieses Memorials äußerte der Zar den Wunsch, daß alles überschüssige Land für neuankommende Kolonisten zu reservieren sei. Gleichzeitig wurde der Ankauf neuer Ländereien für diesen Zweck vorgesehen.

 

Herzenberg

Die Kolonie wurde um die nämliche Zeit wie die Kolonie Neusatz auf Verlangen des damaligen Statthalters in Feodosia Herrn General v. Fensch gegründet.* Sie bestand ursprünglich aus verschiedenen Gegenden herstammenden, aus Odessa zu Wasser mit denen in Neusatz angekommenen sieben Familien.

Die Kolonie liegt 2 Werst von der Seestadt Feodosia, auf einer Fläche in halber Höhe des diese Stadt umgebenden Gebirges, wo aus älteren Zeiten Spuren von Wohnungen und Wasserleitungen waren.

Der Zweck, welchen der Gründer beim Anlegen dieser Kolonie hatte, war: Der Stadt Feodosia, die damals sich anfing zu einer Handelsstadt zu erheben** , Küchengemüse zu verschaffen, weil in jener Zeit die Krim noch wenig Bewohner anderer Nationen als Tataren hatte, die sich nur mit einfachem Ackerbau begnügten. H. Fensch verordnete für die neuen Kolonie 100 Desjatinen aus dem Stadtlande, welche ihr auch zugemessen, aber leider nicht mit gehörigen Grenzen und erforderlichen Dokumenten versehen wurden, daher die Stadtleute auch je länger je mehr Eingriff auf die noch etwas brauchbaren Plätze desselben machten.

Heuschlag oder Ackerland hat diese Kolonie nur einige Desjatinen. Zunächst den Wohnplätzen an etwa 5 Desjatinen zu ihren Pflanzungen und Bäumen. Das übrige ist mehrenteils steiniger Boden mit einer zum Teil nicht dicken Erdschicht bedeckt, einem Gebüsche bewachsen und nur zur Viehweide tauglich.

Zum Häuserbau und anderen Einrichtungen wurden dieser Kolonie , gleich anderen, Kronsvorschüsse verliehen.

Die Bewohner dieser Kolonie und die in der Stadt ansässig gewordenen Kolonisten bildeten damals gleichsam eine Gemeinde, standen unter Aufsicht eines eigenen Inspektors, dieser aber unmittelbar unter der Inspektion aller Krimer Kolonien. Nachdem aber die in der Stadt wohnhaft gewesenen zut Stadtbürgern gezählt wurden, wurde die Kolonie Herzenberg im Jahre 1817 dem Zürichthaler Gebietsamte untergeordnet. Die Anleitung zur Benennung dieser Kolonie ist nicht zu erörtern.

In den ersten 10 - 15 Jahren hatten die Bewohner dieser Kolonie bei erwähntem Gewerbe ein gutes Auskommen. Nachdem aber die Umgegend nach und nach mit mehr christlichen Völkern besetzt wurde, welche auch auf verschiedenem Wege ihr Brot suchten und Feodosia ihren Standpunkt erreicht hatte, schmälerten sich die Einkünfte der Kolonisten.

Nach dieser Zeit wurden einige Wirtschaften durch Absterben ihrer, schon alt gewordenen, kinderlosen Besitzer erledigt. Andere, welche Professionen*** verstanden, übergaben ihre Wirtschaften, ließen sich in Städten nieder, gaben ihre Söhne zu Professionisten und andere Gewerbe in die Lehre ab, voraussehend, daß ihre Kolonie ein Ort zu ihrem Wohlstander werden würde. Durch die öfteren Wirtschaftsübergaben , aber keiner Ausschließung, ist die Kolonie auf 10 Familien gekommen, wovon gegenwärtig nur 4 Wirte auf Ort und Stelle sind. Unter der ganzen Seelenzahl, die auf 29 Personen beiderlei Geschlechts sich beläuft, ist nur noch 1 Mann und zwei Seelen Kindeskinder einer Familie aus der Ansiedlungszeit vorhanden, alle übrigen sind Nachkömmlinge jener, welche aus anderen Kolonien sich dahin übersiedelten.

De der Gemüseanbau sich allenthalben vervielfältigt hat, so kann diese Kolonie nur durch Weingärtenanlage wieder zu einem besseren Fortkommen gelangen, vorausgesetzt, wenn die Stadt Feodosia ihr nicht noch die wenigen dazu tauglichen Plätze wegnimmt und auch im Übrigen nicht beschränkt.

Zürichthal den 14. Mai 1848

 

Ältester, ebenfalls durch Wirtschafts- Oberschulz: Andreas Groß

Übernahme, gegenwärtiger Bürger Beisitzer: Heinrich Lüziger

Georg Bauer Verfasser: Gebietsschreiber Friedrich Pfeiffer

* Andreas Fenshasw (1757 - 1827) hatte so enge Beziehung zum Deutschtum, daß er 1801 - 1803, als er Kriegsgouverneur von Kiew war, dem Kirchenrat der dortigen evangelischen Gemeinde vorstand. Das Amt eines Stadthauptmanns, nicht Satthalters, von Feodosia bekleidete er in den Jahren 1804 - 1809.

**Feodosisa, das alte Kaffa, kam 1774 an Russland und wurde 1798 auf 30 Jahre zum Freihafen erklärt. Seit 1802 Kreisstadt, hat es trotz ernstlicher Bemühungen der russischen Regierung vor 1892, als es an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurde, keine handelspolitische Bedeutung besessen.

***Handwerk

 

Durlach

Im Jahre 1810 wurde dieser Ort von 12 evangelischen Familien aus Baden - Durlach an der südlichen Generalgrenze, die den Molotschnaer Bezirk von den Duchoberen scheidet, 11 Werst vom Hauptort Molotschna, 34 Werst von Melitopol, 311 von Simferopol und 176 Werst von Jekaterinoslaw

Entfernt unter dem Schulzen Michael Lutz gegründet und ihm der Name Durlach gegeben.

Das sehr fruchtbare ebene Land mit seiner arschintiefen schwarzen Gartenerde war zur Zeit er Ansiedlung unbewohnt und gehörte dem Gutsbesitzer Dubinsky (s. die Beschreibung von Molotschna). Die Kolonie besteht aus zwei von Nord nach Süd sich hinziehenden Häuserreihen von 20 Faden Hofstellenbreite, ebensoviel beträgt auch die Breite der Straße. Sie liegt an der Talfläche der Molotschna auf einer mehrere Arschin betragenden Erhöhung, welche eine sanft aufsteigende Ebene an der Westseite des Dorfes bildet und von dem hier außerordentlich hohen Talufer in Form einer Bucht eingefaßt wird.

Außer der allgemeinen Kronsunterstützung erhielten im Jahre 1813 die Ärmsten je ein Paar Ochsen, eigene Mittel hat bei der Einwanderung niemand besessen.

Da die Kolonie nur aus 12 Wirten besteht, so ist der Kostenaufwand für die Gemeindebedürfnisse für den einzelnen höher als in den andern Kolonien, doch haben die mit ihrem Los zufriedenen Durlacher nie ernste Klage darüber geführt und bewiesen, daß auch eine kleine Kolonie sich zu unterhalten imstande ist.

Das 35 bis 45 Fuß tiefe Brunnenwasser ist von außerordentlicher Güte. Der Untergrund ist mit Sand vermengter Mergelton. Die Baumanlagen gedeihen sehr gut, nur fehlt es noch an den entsprechenden Leistungen auf diesem Gebiet. Mit dem anpflanzen des Waldes ist 1846 begonnen worden.

Die Viehseuche hat zu 5 Malen je 4/5 des Rindviehs dahingerafft. 4 Wirte sind im Begriff, Häuser von gebrannten Ziegeln zu bauen. Das Schulhaus und das Vorratsmagazin sind von Luftziegeln.

1 Schmied, 1 Tischler, 1 schuster und 2 Töpfer pflegen ihr lohnendes Handwerk. Die 12 Wirtschaften der Kolonie sind mit 21 Familien bewohnt, welche 149 Seelen zählen, 105 mehr als bei der Einwanderung.

 

Schulz: Lutz

Beisitzer: Lutz, Keller

 

Durlach 100 Jahre später

Durlach, von Prischib 8, von der Station 18 und von der Kreisstadt 40 Werst entfernt,ist ein kleines und nur aus 12 Wirtschaften mit ca. 60 Desjatinen bestehendes Dörfchen. Hofstellen sind im Ganzen 22. Das Land der Freiwirte dieses Dorfes wurde Ende des vorigen Jahrhunderts von dem Karlsruher August Bischler zusammengekauft zusammengekauft und aus dem Plan dieser Kolonie, soweit mir bekannt ist, ausgeschieden. Die Seelenzahl ist daher eine geringe. 68 männliche und 65 weibliche. Den Namen gaben die Ansiedler dem Dorfe nach einer Stadt in der alten Heimat. Die Baumanpflanzung ist spärlich. Die Gärten sind nicht ergiebig. Das dieser Kolonie zugeteilte Land besteht aus 804 Desjatinen brauchbaren und 80 Desjatinen unbrauchbaren Landes.

Die Bewohne betreiben ausschließlich Ackerbau . Ebenfalls im Tale gelegen ist die Bewirtschaftung des Landes nicht leicht. Der Aufstieg ist bei diesem Dorfe kurz aber steil, so daß man hier den Hamm- oder Radschuh im Gebrauch findet. Das Dorf hat auch einen gemeinschaftlichen artesischen Brunnen, welcher das ganze Dorf mit gutem, trinkbaren Wasser versorgt.

Auch hier hatte sich die Schafzucht fast bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts erhalten und wurde.

dann ganz aufgegeben. Ein erst im Jahre 1910 erbautes Schulhaus bildet die Zierde des Dorfes und den Stolz der Durlacher. Die äußere Gestalt des Schulgebäudes entspricht den Anforderungen der Jetztzeit, doch die Schulbänke sind alten Systems geblieben. Die Erklärungen und Erläuterungen sachverständiger Personen, daß diese Bänke schädlich auf die Gesundheit einwirken und schwere Folgen fürs spätere Leben nach sich ziehen, haben sie nur ein geringschätziges Achselzucken und dabei bleibt es. Männer, die sich um das allgemeine Wohl verdient gemacht haben, hat dieses Dorf nicht aufzuweisen. Erst die jetzt am Ruder stehende Generation sieht, wenn auch erst zum kleinsten Teil, ein, daß es noch höhere Güter gibt als Wirtschaften und einen gefüllten Geldbeutel und bringt ihre Kinder in Zentralschulen und mittleren Lehranstalten unter.

 

Heidelberg

Am Ursprung des Tales Karatscho-Krak (schwarze Quelle) wurde diese Kolonie im Jahre 1810 durch 82 Familien römisch-kath. Konfession, größtenteils aus Badensern aus der Gegend von Mannheim, Heidelberg und einigen Rastattern, die sich bei der Einwanderung und während der Winterquartiere befreundeten unter ihrem Anführer Franz Brechs , 18 Werst nordwestlich von Molotschna, 60 Werst von Meilitopol, 330 Werst von Simferopol, 130 Werst von Jekaterinoslaw an beiden Seiten des unbequemen Tales gegründet und zwar in zwei Hinterfronten sich zuwendenden Häuserreihen, welches das Tal voneinander trennt, das hier zu Gemüse - und Obstgärten dient. Heidelberg hat dadurch zwei Straßen bekommen, welchen gegenüber sich die Dreschplätze befinden.

Diese große Gemeinde war bei der Ansiedlung beinahe gänzlich ohne Mittel. Nur einige hatten etwa 300 Taler zusammen. Die Kolonisten waren also ganz auf die Unterstützung der Regierung angewiesen. Die Heidelberger waren anfangs sehr unruhig und unfriedlich.

Joseph Ade , der lange Jahre Dorfschulz war, brachte durch sein Bemühen nach und nach Ordnung und Friede in die Gemeinde. Die kath. Pfarrei Heidelberg, gegründet 1819 mit den Filialen Kostheim, Leitershausen, Blumental und Waldorf hatte einige tüchtige Seelsorger, unter denen sich besonders der erste Pfarrer und Dekan P. Raschewsky und nach ihm der menschenfreundliche und friedliebende P. Ohnschinsky , der mehr als 15 Jahre das schwere Amt eines Seelsorgers in Heidelberg verwaltet, auszeichneten. Die Jahre 1825 bis 1833 waren für die Heidelberger eine schwere Leidensschule, welche dieselben läuterte und zum Bewußtsein ihrer Christenpflichten brachte. Denn viele Tugenden ihrer Vorfahren, besonders die deutsche Treue und Redlichkeit waren vergessen und die Sittlichkeit war bedeutend gesunken.

Das Land ist hügelig, meist Schwarzerde und sehr günstig für den Getreideanbau. Die Brunnen im Tale kaum 3 - 4 Fuß tief mit etwas salpeterhaltigem Wasser. In Wald - und Plantagenanlagen waren die Heidelberger lange rückständig. Aber in Ackerbau und Viehzucht haben sie sich mehr ausgezeichnet. 1848 hatte Heidelberg 6 Wohnhäuser von Feldsteinen, 15 von gebrannten Ziegeln und 8 Häuser von Ziegeln waren im Bau begriffen. Öffentliche Gebäude befanden sich 1848 folgende:

•  Eine Kirche, zu welcher die Krone 41 000 Rubel banco verabfolgte, die Kirche ist 1841 in einem hübschen Stile nach einem von der Obrigkeit gegebenen Plane gebaut. Auch eine Orgel aus dem Schwarzwalde wurde verschrieben, welche der Cantor (Küster) ausgezeichnet spielte.

•  Das Pastorat steht der Kirche gegenüber, ist von der Krone in 1821 -1824 erbaut.

•  Ein geräumiges Schulhaus neben dem Pastorat.

•  Ein Vorratsmagazin von gebrannten Ziegeln, eine Ziegelbrennerei, 3 Windmühlen, 1 Schmiede, 10 Schuster und 5 Schneider sind vorhanden.

Da im Jahre 1822 noch 10 Wirte angenommen wurden, so besteht Heidelberg 1848 aus 92 Wirtschaften, 5 Freisassen welche 178 Familien mit 981 Seelen also 671 oder 2 ½ mehr Seelen als bei der Ansiedlung.

Heidelberg 1848

Schulz: Härty

1. Beisitzer: Kaufmann

2. Beisitzer: Steinbock

 

Blumental

Im Frühling 1822 wurde auf eingeholte Erlaubnis der hohen Koloniebehörde meistenteils aus nachwachsender Jugend von der Kolonie Leitershausen, Kostheim, Heidelberg und Waldorf und einigen Einwanderern aus Baden und einiger früher Eingewanderter, die bisher noch landlos waren, diese Kolonie mit 40 katholischen Familien unter ihrem Schulzen Anton Dotterer gegründet und auf Antrag des damaligen Oberschulzen Rieker der Name Blumental gegeben. Die Kolonie mußte wegen Wassermangel jener Steppen ganz im nördlichen Winkel des Bezirks Molotschna, der denselben von den Ländern Orechows scheidet, an dem Ursprung des Steppentales Kopany angelegt werden - etwa 25 Werst von Molotschna, 65 Werst von Melitopol, 345 Werst von Simferopol und130 Werst von Jekaterinoslaw. In der Folge wurden wurden noch 18 Familien ebenfalls aus heranwachsender Jugend bestehend auf eigenen Mitteln angesiedelt. In jener Zeit ging es so zu: Wer einen Bart und ein Weib aufzuweisen hatte, wurde zur Ansiedlung zugelassen. Die Oberfläche des Bodens ist etwa ¾ Arschin mit Gartenerde bedeckt und ist zum Fruchtbau sehr geeignet. Auch Heu wächst da. Die Unterlage ist hellgelber Lehm. Die Brunnen sind 25 - 40 Fuß tief. Das Wasser ist salpetrig, nur am westlichen Ende des Dorfes haben die Brunnen gutes trinkbares Wasser. Von allen Bäumen wächst der Maulbeerbaum am besten. Auch wurde Probe mit Seidenzucht gemacht. 1843 ist an der Südseite des Dorfes eine Obst- und Maulbeerplantage angelegt. Die Lage von Blumental ist die höchste in der Umgegend. Hier beginnt der höchste Landrücken, wo die Talzweige Kopany und Kurkulak in einem Abstand von 20 Faden entspringen, jene die Abdachung nach den Tälern des Dnjeprs nehmend , diese südlich nach der Molotschna sich zuwendend. Dieser Landrücken steigt von hier 100 - 150 Werst in unbedeutenden Krümmungen nach Osten aufwärts und durchzieht die nördliche Seite des Mariupoler Kolonistengebieetes und bildet die Wasserscheide zwischen Tokmak und der Konka, die nach einem 200 Werst langen Laufe auf dem Gute des Grafen Kankrin in den Tallauf des Dnjepr mündet.

1848 hatte Blumental 3 Häuser im Bau von gebrannten Ziegeln. Das Schulhaus ist aus Ziegeln und mit Dachpfannen gedeckt. 1 Ziegelbrennerei, 2 Windmühlen, 2 Schmiede, 1 Wagner, 6 Schuster und 3 Schneider. 1848 hatte Blumental 38 Wirtschaften und 3 Freihäuser. 108 Familien mit 605 Seelen beiderlei Geschlechts.

Blumental 1848

 

Schulz: Wenz

Beisitzer: Herb

Beisitzer: Kaul

 

Reichenfeld

Vom Hauptorte Molotschna 20 Werst in südwestlicher Richtung entfernt wurde die Kolonie auf einer seichten, nach der großen Jedekorin sich abflachende Ebene 1 ½ Werst östlich von der Generalgrenze, welche den Molotschnaer Kolonistenbezirk vom Kreisort Michailowka trennt, in den Jahren 1810 und 1811 gegründet. Die Gegend wurde früher von Nomanden mit ihren zahlreichen Tschudukherden* alljährlich überzogen, doch ist sie einst bewohnt gewesen, was ein unter einem kleinen Hügel vor mehreren Jahren aufgefundenes, mit Steinplatten belegtes und mit gebrannten Ziegeln übermauertes Kindergrab beweist, dessen alter man aber nicht bestimmen konnte. In der Nähe dieses Grabes sind in nur 7 Werschok Tiefer eine Pistole und eine Flinte aufgefunden, letztere 7 Pfund schwer, noch mit einer Kugel geladen, schien schwedische Arbeit zu sein.

Im Maimonat 1810 wurde unter Anführung des Schulzen Adam Gräber der Ort gewählt und ihm seiner üppigen Vegetation wegen mit Zustimmung der Ältesten von Inspektor Sieber der Name Reichenfeld gegeben. Ursprünglich hatten sich hier 30 evangelische und 1 katholische Familie als Grundbesitzer niedergelassen. Sie stammten größtenteils aus den badischen Gegenden Mannheims und Heidelbergs. Während der Einquartierung auf der Reise hatten sich ihnen noch einige Württemberger aus der Gegend Stuttgarts und einige Elsässer aus dem Bistum Speier angeschlossen.

Im Jahre 1813 im Spätherbst mußten auf obrigkeitlichen Befehl noch 10 Familien, wovon 6 evangelisch und 4 katholisch waren, aufgenommen werden. Diese neuen Ankömmlinge waren von der St. Petersburger Ansiedlung wegen Unzufriedenheit mit dem dortigen Klima entlassen worden. Sie stammten aus Preußisch Pommern und waren teils auf erhaltenen Konsens, teils heimlich aus Preußen zur Zeit der Konföderation in den Jahren 1807 und 1809 nach St. Petersburg gewandert. Der Arbeit entwöhnt, mit überspannten Hoffnungen wollten sie, 37 an der Zahl eine besondere Ansiedlung bilden, allein der hierher nachgeschickte Beamte Budenbrock ging darauf nicht ein, sondern befahl dem damaligen Oberschulzen Jakob Walter , sie in kleiner Anzahl in solchen Kolonien zu verteilen, wo noch Kronsländereien zugemessen werden konnten.

Die Reichenfelder Kolonisten erhielten von der Krone 200 Rubel banko Vorschuß auf die Familie und Bauholz zu einem Gebäude von 4 Faden Breite und 8 Faden Länge im Werte von 105 Rubel banko. Außerdem wurden im Jahre 1813 den Ärmsten von ihnen noch außerordentliche Unterstützungen und je nach Bedürfnis in Ganzen 3 Paar Ochsen und 5 Pflüge auf Rechnung der Ansiedlungskasse zu teil. Die aufgebrachten Mittel bestanden höchstens aus ein paar hundert Talern und bei bemittelteren aus nebst ordentlicher Bekleidung aus einem Pferd und Wagen. Doch waren sie reich an Hoffnung und Mut. Den furchtbar kalten Winter von 1812 auf 1813, in der Tradition „Franzosenwinter“ genannt, überlebten die meisten in ihren Erdhütten und teilten diese unterirdische Wohnung mit ihren einzigen Haustieren Kuh und Pferd. Wenn einmal ihr geringer Futtervorrat derart verschneit war, daß man es nicht erlangen konnte, so verbrauchte der Mensch zu ihrer Nahrung sein Strohlager, wogegen ihm die Tiere durch ihre Ausdünstung die gemeinschaftliche Wohnung erwärmten. Der nächste Sommer brachte Brot, bei mehreren zum ersten Mal eigenes, und ließ bald das überstandene Elend vergessen.

Der Grund und Boden besteht aus einer halben bis ganzen Arschin tiefen, außerordentlich fruchtbaren, schwarzen, vollständig sandfreien Humusschicht. Die Unterlage ist gelber Lehm mit etwa 1 Prozent Sand. Bis auf die Nähe des Wassers bei 20 bis 26 Fuß Tiefe entfärbt sich der Lehm und geht allmählich in eine kalkartige Substanz über, die eine aufrecht stehende Lagerung hat. Das Wasser ist in der Mitte des Dorfes weißlich gefärbt und fast so weich wie Regenwasser, an beiden Eden des Dorfes ist es klar, aber bitter und salzig, zum Kochen unbrauchbar, für die Haustiere, die es mit Begierde aufsuchen, dagegen sehr zuträglich.

Der mit Salpeter geschwängerte für Getreideaussaaten äußerst eignet sich weniger für Holzanpflanzungen, doch ist 1847 begonnene Waldanpflanzung an der Südseite des Dorfes in hoffnungsvollem Wachstum begriffen. Die Rindviehpest ist hier nur zweimal infolge von Ansteckungen, gegen die in früheren Jahren aus Vorurteil nicht angekämpft wurde, ausgebrochen. Jetzt ist das Vorurteil, als sei die Viehseuche eine Schickung Gottes, gegen die man nicht ankämpfen dürfe, gottlob überwunden.

Obwohl Reichenfeld namentlich im ersten Jahrzehnt seines Bestehens im Getreideanbau obenan stand, so sind doch bis jetzt wenig neue und massive Bauten aufgeführt worden. Zwei neue Ziegeleien werden im Laufe dieses Jahres das Material für Neubauten liefern. Bis jetzt sind erst zwei Wohnhäuser aus gebrannten Ziegeln vorhanden. Das Schulhaus ist von gebrannten Ziegeln geräumig gebaut und mit einer Glocke versehen worden. Ein Vorratsmagazin aus gebrannten Ziegeln ist im Bau begriffen. Endlich hat Reichenfeld 3 Windmühlen, 2 Ölmühlen, 1 Grützmühle, 2 Schmiede, 2 Wagner, 2 Tischler und vier Schuster, welche alle hinlänglich beschäftigt sind und ihr gutes Auskommen haben.

Die Kolonie besteht gegenwärtig aus 41 Wirtschaften und 6 Freistellen mit insgesamt 101 Familien. Die Seelenzahl beläuft sich auf 550, 360 mehr als bei der Ansiedlung. Acht Familien mit 33 Seelen bekennen sich zur katholischen Konfession, die übrigen haben sich im Laufe der Zeit durch Tausch und Verkauf zu ihren Glaubensgenossen transportieren lassen.

 

Schulz: Zeller

Beisitzer: Prieb, Lorenz

 

*Grobwollige Schafe

 

Weinau

Sieben Werst südlich vom Hauptort Prischib, 50 bis 260 Faden vom Flußbett der Molotschna en t fernt, 6 bis 8 Arschin über der Talfläche, mit 2 von Nord nach Süd sich hinziehenden Häuserreihen, wurde die Kolonie unter Anführung des Schulzen Bittner im Jahr 1805 gegründet. Die Einwanderer waren aus der Gegend Stuttgarts stammende Württemberger, die einige Jahre in Preußisch Polen g e lebt hatten.

Da die Mehrheit derselben sich in Württemberg mit Weinbau beschäftigt hatten, so nannten sie ihre Kolonie Weinau. Sie haben die übliche Unterstützung von der Regierung erhalten und etwa 500 Taler eigenes Vermögen mitgebracht. Ihr Land gehörte zur Zeit der Ansiedlung zu demjenigen des Gutsb e sitzers Dubinsky.

Im Jahr 1810 wurden noch von den 1809 eingewanderten 12 aus der badischen Gegend bei Karlsr u he stammende Familien in die Gemeinde aufgenommen, wodurch ihr Landquantum bedeutend verlä n gert und die Benutzung desselben bedeutend erschwert wurde. Diesen Fehler sah man schon im Jahre 1815 ein, und es zogen infolge dessen 15 Wirte zu den Übersiedlern von Wasserau. Im Jahre 1840 zogen 3 nach Kronsfeld, nachdem schon im Jahre 1823 der Rest von Wasserau gänzlich übersiedelt war. Dadurch kam Weinau wieder in eine vorteilhaftere Lage.

Die Bewohner von Weinau haben den Schlendrian, grobe Vorurteile und Zanksucht lange Zeit auf eigene Unkosten gepflegt. Die Baumkultur lag bis tief ins zweite Jahrzehnt hinein ganz im argen, o b wohl der am Ende des Dorfes vom Kolonisten Jakob Wacker bei seiner Behausung im Jahre 1820 angelegte Obstgarten ein außerordentliches Wachstum an den Tag legte und schon nach Jahren schöne Früchte brachte.

Im Jahre 1833 durch Wacker und einige seiner Gesinnungsgenossen aufgemuntert, wurde die Meh r heit einig, in der Talfläche an der östlichen Seite des Dorfes eine Obst - und Maulbeerplantage a n zupflanzen, welche sich in gutem Wachstum befindet.

Das Wasser ist bei 30 bis 40 Fuß Tiefe mit Bittersalz geschwängert. Die Unterlage der ¾ Arschin dicken schwarzen Gartenerde ist rotgelber Lehm mit etwas Sand und Kalksteingerölle vermengt in aufrecht stehender Lagerung. Die südliche Talfläche enthält viele Salzstellen, auf welchen der Gra s wuchs ohne Überschwemmung sehr kümmerlich ist.

Die Viehseuche hat 5 mal ¾ der Gesamtzahl des Viehs zum Opfer genommen, Epidemien unter Menschen sind nicht gewesen.

Von gebrannten Ziegeln sind 6 Häuser erbaut und 2 im Bau begriffen. Das Schulhaus ist von g e brannten Ziegeln mit Pfannenbedachung, das Getreidevorratsmagazin von Holz.

3 Ziegelhütten, 2 Windmühlen, 3 Schmiede, 1 Tischler, 3 Schuster, 1 Schneider und 3 Töpfer sind hinlänglich beschäftigt.

Gegenwärtig besteht Weinau aus 33 Wirtschaften und 9 Freistellen mit 36 Familien, welche 373 Seelen evangelischer Konfession bestehen, 242 Einwohner mehr als bei der Ansiedlung.

 

Schulz: Kempf

Beisitzer: Weber,Lohrer

 

Das Neusatzer Kolonistengebiet
Neusatz

Im Sommer des Jahres 1803 sammelten sich in Ulm zufolge einer Aufforderung des Kommissärs Ziegler an die Bewohner Deutschlands zur Auswanderung nach Russland etwa 200 Familien aus Württemberg, Unterelsaß, Rheinbaiern und Baden, bestiegen das Schiff und fuhren in verschiedenen Transsporten die Donau hinunter bis gen Galatz, von dort nach Dubassary, wo sie 6 Tage Quarantäne hatten, und erreichten im Spätjahr desselben Jahres Odessa, wo sie den Winter in Kasernen zubrachten. Das waren die acht ersten Transporte, als deren Anführer Kompinis, Pascal Brittner genannt werden.

Der vierte Transport wurde auf dem Wege durch die Türkei von dortigen Bewohnern überfallen, beraubt und geplündert, wobei ein Mensch ums Leben kam.

Ein Teil der Auswanderer, bei 60 Familien, die schon im Vaterlande Nachricht von der Krim erhalten hatten, hegten den Wunsch, dort angesiedelt zu werden. Sie wählten deshalb drei Männer aus ihrer Mitte und sandten sie gegen den Frühling von Odessa aus nach der Krim, um den Bestimmungsort zur Ansiedlung anzusehen. Sie fanden die Gegend zwar wild, aber ihnen zusagend, weil sie in derselben ein Bild der heimatlichen Berge und Wälder sahen. Ihre Landsleute folgten ihnen in demselben Frühjahr unter Anführung des ihnen schon in Odessa gesetzten Inspektors Hastver teils zu Land, der Mehrzahl nach jedoch zu Wasser. Die letzteren landeten in Kasslow (Eupatoria) und zogen von da nach dem ihnen von der Krone zur Ansiedlung bestimmten, von dem General Rosenberg gekauften Gut, welches sie den 25. Mai 1804 erreichten. Sie ließen sich allesamt daselbst nieder, bewohnten die Hütten der früheren Bewohner bis zum Frühjahr 1805, dann aber zerstreuten sie sich nach Rosental, Ssudak, Odus, Herzenberg und anderen Gegenden.

Es blieben nur 28 Familien zur Ansiedlung zurück. Unter ihnen waren 23 aus Württemberg, und zwar aus den Oberämtern Tübingen, Reutlingen und Backnang lutherischer Konfession, und 5 aus Unterelsaß und Rheinbaiern reformiert. Nachher kamen noch 4 Familien aus Württemberg und aus Baden hinzu. Endlich wurden noch an 6 Söhne von den früher angesiedelten Wirtschaften vergeben, so daß sich jetzt die Zahl der Wirte auf 38 beläuft.

Noch im Frühjahr 1804 schritten sie zur Anlegung der Häuser und gaben der neugegründeten, ersten Ansiedlung in der Krim den Namen Neusatz :

Neusatz liegt drei Meilen östlich von der Kreis - und Gouvernementsstadt Simferopol und ebenso weit in entgegengesetzter Richtung von der Tatarenstadt Karasubazar entfernt am nördlichen Abhang des Krimschen Gebirges, an der Westseite eines Berges, an dessen Fuß sich gegen Norden ein Bach hinzieht. Der Bach bewässert die Gärten, Äcker und Wiesen und betreibt eine Mühle, deren Einkünfte die Gemeinde bezieht. An dem die kalten Winde abhaltenden Berge sind Wein - und Obstgärten gepflanzt. Gegen Norden ist ein großer Teil des Landes mit Waldung und Sträuchern bewachsen, welch letztere allmählich ausgerottet werden. Die Westseite ist ziemlich ebenes, fruchtbares Ackerland, während die Südseite ein großer Wald von schön gewachsenen Bäumen bedeckt. Das Land ist ertragfähig, jedoch darf das Düngen nicht vernachlässigt werden, wenn anders eine gute Ernte erwartet werden soll. Nur an einigen Stellen ist es wegen der allzu hoch liegenden Felsen unfruchtbar. Das Dorf ist mit zwei Quellen gesunden Wassers versehen, auch haben viele Wirte ihre eigenen Brunnen im Hofe. Außer dem Kronsland besitzt die Gemeinde zu ihrem großen Nutzen ein aus eigenen Mitteln angekauftes angrenzendes Landgut von 418 Desjatinen, wovon auf jeden Wirt ungefähr 11 Desjatinen kommen.

Bei ihrer Ankunft in Neusatz fanden die Einwanderer die Gegend ziemlich verwildert, mit Hecken und Gesträuchen bewachsen vor. Russen, Tartaren und Nogaier bewohnten dieselben und nährten sich mehr von ihren Herden als vom Ackerbau. Die Hütten der Eingeborenen wurden den deutschen Ansiedlern zu Wohnungen eingeräumt, auch hatten sie im ersten Jahr die Aussaat der Russen einzuernten, wovon sie aber wenig Gebrauch machten, weil ihnen die Mittel, deren sich zu bedienen sie aus ihrem Vaterlande gewohnt waren, nicht zu Gebote standen und sie die tatarischen Instrumente nicht zu handhaben verstanden.

In der Zeit stand es traurig um die Ansiedler. Ihre eigenen, aus dem Ausland mitgebrachten wenigen Mittel waren erschöpft. Einige hatten überhaupt keine gehabt. Sie hatten zwar 210 Rubel banco zum Aufbau der Häuser, 105 Rubel banko Vorschuß und 10 Kop. tägliches Nahrungsgeld auf die Person erhalten, jedoch war auch das bald verzehrt. Sie waren größtenteils arme Handwerker, denen der Landbau unbekannt war und die deshalb alles, was sie sich vornahmen, verkehrt angriffen. Der Landessprache waren sie unkundig. Stets standen sie in Gefahr, von ihren Nachbarn, die ihnen die Pferde aus dem Stall, das Vieh von der Weide und die Kartoffeln von der Weide raubten, mißhandelt zu werden.

Ebenso betrübt stand es um die Sittlichkeit der Kolonie. Weder Lehrer noch Prediger waren vorhanden, die sie durch Gottes Wort hätten aufrichten und ermuntern, ihrem Glaubensgrund Festigkeit geben und der überhand nehmenden Sittenlosigkeit entgegenwirken können. Jedoch von Jugend auf an eine bessere Ordnung gewöhnt, wurde allmählich das Bedürfnis in ihnen rege, ihre Kinder nicht so wie die der sie umgebenden Eingeborenen ohne Unterricht aufwachsen zu lassen. So wählten sie aus der Zahl der fähigsten Wirte unter ihnen Schulmeister, die Schule und Kirche halten, taufen und beerdigen mußten.

Von Zeit zu Zeit ward die Kolonie von den Pastoren Zehlingk und Biller besucht, welche das hl. Abendmahl spendeten, die Kinder konfirmierten und die Brautpaare trauten, bis sich der Pastor Hornburg im Jahre 1812 hier niederließ und in einem Privathause die Gottesdienste hielt. Er zog jedoch nach zwei Jahren wieder fort.

Von der im Jahre 1812 in der Krim grassierenden Pest blieb Neusatz verschont, dagegen trat im darauffolgenden Frühjahr Futtermangel ein, durch welchen der Viehbestand bedeutend vermindert wurde. In den folgenden Jahren hob sich der Wohlstand der Kolonie immer mehr. Durch die Erlernung der tatarischen Landessprache konnten sie sich der Hilfe der Eingeborenen, die sie sich als Knechte und Tagelöhner mieteten, besser bedienen, durch Erfahrungen bereichert, konnten sie den Landbau vorteilhafter betreiben und sich auf solche Erzeugnisse legen, die ihnen den größten Gewinn einbrachten. Zudem waren die Zeiten fruchtbar, indem sich Regen und Sonnenschein rechtzeitig einstellten.

Hinter der Entwicklung des äußeren Wohlstandes blieb jedoch der sittliche Fortschritt weit zurück, denn bis zum Jahre 1822 war die Gemeinde ohne Prediger sich selbst überlassen. Dann kam Pastor Boerlin , welcher eifrig und treu in seinem Amte viel Segen stiftete, aber schon nach vier Jahren nach einem Sturz vom Wagen zum großen Leidwesen der Gemeinde sein Leben einbüßte.

Schon vor der Ankunft des Pastors Boerlin wurde das Schulhaus erbaut, welches dann auch zur Verrichtung des Gottesdienstes dienen mußte. Erst während seiner Anwesenheit bewilligte die Regierung eine Summe von 4 532 Rubeln banko zum Bau eines Pastorats und im Jahre 1825 wurde zum Bau einer Kirche geschritten, welche von der Gemeinde aus eigenen Mitteln vollendet und schon am 15 November 1825 von Pastor Boerlin eingeweiht werden konnte.

Im Jahre 1828, zwei Jahre nach Boerlins Tod erfolgte die Anstellung des Pastors Fletnitzer , der aber nach einigen Jahren wieder fortzog, worauf 1831 Pastor Kylius für das Kirchspiel Neusatz bestätigt wurde, welcher nun seit 17 Jahren als Prediger in der Gemeinde wirkt.

In den Jahren 1819 bis 1821 wurde die Kolonie von verheerenden Heuschreckenschwärmen heimgesucht, auch stellten sich einige Mal Viehseuchen ein, woran der größte Teil der Gemeinde zu leiden hatte. Im Spätjahr 1847 kam das Nervenfieber über die Kolonie, welches nur wenige Familien verschonte und im darauffolgenden Jahr brachen die roten Flecken unter den Kindern aus.

Der Kartoffelbau ist der Haupterwerbszweig der hiesigen Kolonisten. Dieses Produkt läßt sich in den beiden benachbarten Städten ohne viel Beschwerden gut absetzen und hat viel zum Wohlstand der Kolonie beigetragen, welcher aber durch den Mißwachs der letzten Jahre sehr gehemmt ist. Das Jahr 1847 hat alle anderen an Unfruchtbarkeit übertroffen. Gegenwärtig aber stehen die Früchte des Feldes aufs schönste das und es kann gute Hoffnung auf eine gesegnete Ernte gehegt werden.

 

Neusatz, den 25 April 1848.

 

Schulz: P . Bößhans Deputiert: Christian Gnom

Beisitzer: Friedrich Bub. Wendel Bößhans

Verfasser: Schullehrer Johann Adam Fritz

 

Kronental

Auf allergnädigst bewilligtes Reisegeld aus Landau erbieten S. Majestät des hochseligen Kaisers Alexander I haben sich im Jahre 1809 aus dem Elsaß, dem Großherzogtum Baden, der Pfalz und dem jetzigen Rheinbayern mehrere Familien gefunden, welche von dem Commissarius Bethmann in Frankfurt am Main sich Reisepässe nach dem südlichen Rußland ausstellen ließen, um sich dort ansiedeln zu lassen. Sie reisten von zu Hause auf eigene Kosten, aber nicht alle auf einem Zuge, sondern sie waren zerteilt in mehrere Partien, je nach der Zeit eine solche abreiste. Ihr nächster Weg wäre über Ulm in Schwaben, Regensburg und Wien (per Donau) gewesen, allein die feindlichen Truppen dieser Gegend verursachten, daß sie ihre Marschroute durch Sachsen, Preußen und Preußisch - Polen nahmen. In Biala auf der Grenze Galiziens kamen mehrere Familien zusammen, verweilten einige Tage hier bis sie das erste von der hohen Krone verteilte Nahrungsgeld in Empfang genommen hatten. Alsdann brach der Zug auf, durch Militär beschützt bis nach Jekaterninoslaw, wo man überwinterte. Der Genuß des auf der zurückgelegten Reise häufig angetroffenen mit roten Würmchen angefüllten Wassers und die Ungewohntheit des Klimas erzeugte daselbst bei vielen das Fieber und führte sie dem Tode zu. Im Jahr 1810 im April setzten sie ihre Reise wieder fort und kamen am 9. Mai in der Stadt Simferopol glücklich an. Von da begleitete sie der damalige Gouverneur Borodsin auf das von ihm an die Krone verkaufte Gut an dem Bache Bugalnak, 25 Werst westlich von Simferopol und 12 Werst östlich vom Schwarzen Meere liegend. Hier fanden 48 Familien mit 148 Seelen b. G. weder Obdach noch Lebensmittel. Sie bauten sich Hütten von Wagendecken und wohnten in denselben, bis der damalige Inspektor Hofrat Gsell Anstalt traf, für die Ansiedler Häuser zu bauen. Zu diesem Zweck bekam jede Familie von der hohen Krone durch Herrn Inspektor Gsell 350 Rubel banko. Eigenes Geld hatten die Kolonisten ca. 5 000 Rubel. Die Armen konnten nicht sogleich ihr Häuser bauen, weil das vorgestreckte Geld nicht hinreichte den Bau zu vollenden. Erst 1811 bekam jede Familie ihre eigene Wohnung. Im Winter litten die in den Hütten wohnten, sehr an Kälte und viele gingen, als der Frühling erwachte, ins kühle Grab. Als die Ansiedler, weil aus verschiedenen Gegenden, nicht einig werden konnten über die Benennung des Dorfes, so machte Inspektor Gsell den Vorschlag: „Schon viele Dörfer heißen - Tal und dieses soll Kronental heißen.“

Zu dieser Zeit bekleidete die oberste Stelle bei der Kolonialverwaltung General der Infanterie von Inzow, Herzog Richelieu, Fadeow und Contenius , welche sich um die Ansiedler große Verdienste erwarben. Außer den Genannten haben nicht geringe Verdienste der General Bachmakow Barosdin et Monsieur l'abbe Nicole , welche oft beitrugen, die bittere Not der armen Leute zu lindern.

Im Jahre 1841 ist der Staatsrat von Hahn an die oberste Stelle des Fürsorgecomitees getreten.

Durch seine energische, kluge und vorsichtige Verwaltung wurde die Wohlfahrt der Kolonisten bedeutend gehoben. Auch das Unterhaltungsblatt wurde unter seiner Verwaltung gegründet von Joh. Schwammberger . Möchten nur alle Kolonisten diese Anordnungen und Einrichtungen benutzen, so würden sie bald zur Erkenntnis gelangen, daß nur das allgemeine Beste dadurch gesucht wird. Auch hat der Pastor Kylius und Inspektor Hübner den Kolonisten mit Rat und Tat beigestanden.

Kronental liegt in dem 35 Werst langen Bulganaker Tale, durch halbkahle bedeutend hohe Anhöhen von Norden nach Süden dem Wanderer verdeckt und von anderen deutschen Kolonien ganz abgesondert. Die nächste Kolonie Neusatz ist 30 Werst von Kronental entfernt.

Die Gouvernementstadt Simferopol liegt von Kronental 25 Werst, 25 Werst südlich liegt Baktschisarai, 40 Werst südöstlich Sewastopol und südöstlich Eupatoria.

Der Bach Bugalnak ist nicht so schön als das Wasser gut ist. Dasselbe ist süß und wird im Winter von den meisten Einwohnern in Ermangelung von gutem Brunnenwasser im oberen Dorfe zu allen häuslichen Bedürfnissen gebraucht. Im Sommer wird das Bachwasser seltener gebraucht.

Dieser Bach bleibt auch bei ganz trockener Jahreszeit nicht ganz ohne Wasser, was der fleißigen Wirtin nicht wenig für eine reinliche Haushaltung hilft. Auch treibt der Bach die Räder von 2 Wassermühlen von 4 Gängen, von welchen die Einkünfte zum Besten der Gemeinde verwendet werden.

Auf der Südseite des Dorfes liegen die mit Mauern umgebenen Wein - Obst - und Gemüsegärten. Diese Gärten und die vor den Häusern angepflanzten Akazien und türkischen Weiden mit ihren wohlriechenden Blüten sind der Stolz der Kronentaler und eine angenehme Augenweide für den Fremden.

Die Straße ist eng, die ummauerten Hofplätze klein. Seit einigen Jahren werden in und außer dem Dorfe neue Häuser gebaut. Das Dorf bildet folgenden Winkel:

Ungefähr in der Mitte des Dorfes steht das neue katholische Bethaus. Auf dem leeren Raum neben demselben soll das evangelische Bethaus gebaut werden (Ist schon gebaut). Die zwei Schulhäuser stehen auf Seite des Kirchenplatzes. Die Lutheraner benutzen bis jetzt das alte Bethaus unten im Dorfe bis ihre Mittel hinreichen werden, ein neues zu bauen. Im Jahre 1842 ist auf der Südseite des Dorfes ein gemeinschaftlicher Baumgarten (Plantage) mit 700 verschiedenen Sommer - und Winter - Obstbäumen angelegt. Durch eine unten am Dorfe sich endigende Anhöhe ist er vom Dorfe aus nicht sichtbar.

Diese Plantation mit seinen Alleen, von denen jeder Wirt 5 ?Faden besitzt und die anderen Anpflanzungen geben dem Dorfe von Osten gesehen einen herrlichen Anblick und zeugen von dem Fleiß und Schönheitssinn der Kronentaler.

Die meisten Ansiedler von Kronental waren Handwerker. Deshalb ging der Ackerbau anfangs nur langsam von statten. Auch war der Boden anfangs nach Meinung der Leute nicht gut für Ackerboden, weshalb viele von dort weg und sich woanders ansiedeln wollten. Da versuchte der aus dem Elsaß stammende Michael Weiß die Weinrebe anzupflanzen. Es gelang ihm nicht gleich und er mußte deshalb oft den Spott seiner Mitbürger über sich ergehen lassen. Als aber sein unermüdlicher Fleiß endlich mit Erfolg gekrönt wurde, da schwiegen die Spötter und fingen an, den edlen, fleißigen Mann nachzuahmen. Sein erster Nachahmer war Peter Schneider . Seit 25 Jahren wurden die Weinstöcke alle Jahre vermehrt, so daß man gegenwärtig tragbare und noch nicht tragbare 280 000 zählt, deren Produkt der Kolonie die beste Einnahme gibt. In den Tälern, die sich auf diesem Steppenland befinden, ist das Land mehr ergiebig als auf den steinigen Bergen und Anhöhen, wenn die Winterfeuchtigkeit und im April und Mai der Regen fehlt. Oft sind nicht nur die Berge kahl, sondern auch die Täler haben kein Grün und das arme Vieh leidet sehr daran wie 1848. Die Ansiedler haben das vorausgesagt und wollten deshalb auch an einer anderen Stelle ansiedeln.

Der Monat Februar, manchmal auch Ende Januar ist warm, so daß die Bäume Knospen treiben, welche ein Märzfrost wieder vernichtet. Das späte Obst fressen meistens die Raupen, so daß der Obstbau wenig einträgt.

Im Jahre 1842 wurde Wald angelegt, aber da die darauffolgendenJahrgänge trocken waren, so blieben viele Setzlinge aus.

Die zwei Konfessionen in dieser Kolonie, welche den Aufbau und die Unterhaltung zweier Bethäuser und zweier Schulhäuser und den Unterhalt von zwei Schullehrern bestreiten muß ist ein Umstand, der viele Ausgaben verursacht.

Öfterer Mißwachs, Heuschrecken, Überschwemmungen, Hagelschlag, Viehseuchen, Diebstähle und andere Unglücksfälle haben das Emporkommen dieser Kolonie sehr gehemmt. Die Kolonie hat seit der Ansiedlung 8 Familien zugezählt bekommen und besitzt gegenwärtig 56 ganze Familien, von denen jede 56 Desjastinen Land besitzt. Von den Einwohnern sich die Hälfte katholisch und die Hälfte evangelisch, in allem 500 Seelen. Im Jahre 1848 lebten noch ca. 20 Personen von den ersten Ansiedlern.

Kronental, den 24. Mai 1848

 

Schulz: Fidelis Feißt (?). Christian H. Staerrle

1. Beisitzer: Friedrich Zeißer Schullehrer der evang. Schule

2. Beisitzer: Michael Wiedrich und Gemeindeschreiber

 

Waldorf

Waldorf war ein kleines Dorf mit nur 600 Einwohnern, die Familie Walter war neben der Familie Hardock die wohlhabenste Familie im Dorf und stellte in drei Generationen viele Jahre lang den Bürgermeister. Meine Urgroßmutter war eine geborene Hardock . Ihr Bruder Anton Hardock war 20 Jahre lang Oberschulz an der Molotschna (1885-1905), die Familie Hardock war eine der reichsten und einflussreichsten Familien im ganzen Molotschnaer Gebiet. Es war wie überall in der Welt, Geld heiratete zu Geld. Dasselbe wiederholte sich eine Generation später, mein Großvater heiratete eine Tochter aus der Familie Warth in Heidelberg, etwa 10 km von Waldorf entfernt. Dort war die Familie Warth ebenfalls eine der reichsten Familien mit zusammen 6 Wirtschaften.

Auf dem einzigen Foto, das von Waldorf existiert, ist im Hintergrund ein dunkles Gebäude erkennbar. Es ist eine Milchpulverfabrik, die einzige in Russland. Sie wurde 1912von der Familie Hardock und zwei weiteren Familien aus Heidelberg erbaut und war sehr erfolgreich. Eine 90jährige Tante hat immer wieder erzählt, wie sie als Kinder in dem Milchpulver gespielt haben wie sonst die Kinder im Sand.

Lange sollte dieses Idyll nicht mehr währen. 1919 wurde unser Großvater als Schulz von Waldorf von der Machnobande ermordet, die Hardocks und Warths während der Entkulakisierung 1929 enteignet und vertrieben.

Waldorf existiert nicht mehr, es wurde 1944 beim Rückzug der deutschen Armee restlos zerstört. Geblieben ist nur noch die Erinnerung.

Die im Spätherbst 1809 eingewanderten Familien (katholisch) meistens Baden - Durlach und einigen Elsässern bestehend waren in Altmontal im Winterquartier. Von wo sie sich die jetzige Stelle unter ihrem ersten Schulzen Jakob Walther aussuchten. Waldorf liegt 62 Werst, von Simferopol 332 Werst, von Jekaterinoslaw 140 Werst. Den Namen hat der Schulz Walther dem Dorf gegeben. Walther übersiedelte als Oberschulz nach Kostheim. Das Dorf ist mit einer Häuserreihe am mehr erhabenen Talufer von Süd nach Nord angelegt. Einige Familien bekamen im Jahre 1813 als besondere Unterstützung 2 Pflüge und 1 Paar Ochsen. Die eigenen Mittel waren 300 Taler. Die Waldörfer waren anfangs von den anderen Kolonien abgesondert. Sie waren schüchtern, bescheiden und blieben anfangs zurück im Ackerbau. Das Land ist fruchtbar. Die Brunnen sind 15 – 40 Fuß tief. In einer Tiefe von 22 Fuß traf man häufig Menschenschädel und bearbeitete Steinplatten.

Die Rinderpest war 3 Mal.Jedesmal wurde 3 ¼ Vieh(stand) dahingerafft. Das Schulhaus ist von Luftziegeln, das Vorratsmagazin von Holz.

1 Windmühle, 1 Schuster. Die Kolonie hat 27 Wirtschaften, 3 Freisassen und 51 Familien mit 300 Seelen, also 182 Seelen mehr als zur Ansiedlung.

 

Schulz: Boders

Beisitzer: Ramboatz

Beisitzer: Haberling

 

Heidelberg

Am Ursprung des Tales Karatscho-Krak (schwarze Quelle) wurde diese Kolonie im Jahre 1810 durch 82 Familien römisch-kath. Konfession, größtenteils aus Badensern aus der Gegend von Mannheim, Heidelberg und einigen Rastattern, die sich bei der Einwanderung und während der Winterquartiere befreundeten unter ihrem Anführer Franz Brechs , 18 Werst nordwestlich von Molotschna, 60 Werst von Meilitopol, 330 Werst von Simferopol, 130 Werst von Jekaterinoslaw an beiden Seiten des unbequemen Tales gegründet und zwar in zwei Hinterfronten sich zuwendenden Häuserreihen, welches das Tal voneinander trennt, das hier zu Gemüse - und Obstgärten dient. Heidelberg hat dadurch zwei Straßen bekommen, welchen gegenüber sich die Dreschplätze befinden.

Diese große Gemeinde war bei der Ansiedlung beinahe gänzlich ohne Mittel. Nur einige hatten etwa 300 Taler zusammen. Die Kolonisten waren also ganz auf die Unterstützung der Regierung angewiesen. Die Heidelberger waren anfangs sehr unruhig und unfriedlich.

Joseph Ade , der lange Jahre Dorfschulz war, brachte durch sein Bemühen nach und nach Ordnung und Friede in die Gemeinde. Die kath. Pfarrei Heidelberg, gegründet 1819 mit den Filialen Kostheim, Leitershausen, Blumental und Waldorf hatte einige tüchtige Seelsorger, unter denen sich besonders der erste Pfarrer und Dekan P. Raschewsky und nach ihm der menschenfreundliche und friedliebende P. Ohnschinsky , der mehr als 15 Jahre das schwere Amt eines Seelsorgers in Heidelberg verwaltet, auszeichneten. Die Jahre 1825 bis 1833 waren für die Heidelberger eine schwere Leidensschule, welche dieselben läuterte und zum Bewußtsein ihrer Christenpflichten brachte. Denn viele Tugenden ihrer Vorfahren, besonders die deutsche Treue und Redlichkeit waren vergessen und die Sittlichkeit war bedeutend gesunken.

Das Land ist hügelig, meist Schwarzerde und sehr günstig für den Getreideanbau. Die Brunnen im Tale kaum 3 - 4 Fuß tief mit etwas salpeterhaltigem Wasser. In Wald - und Plantagenanlagen waren die Heidelberger lange rückständig. Aber in Ackerbau und Viehzucht haben sie sich mehr ausgezeichnet. 1848 hatte Heidelberg 6 Wohnhäuser von Feldsteinen, 15 von gebrannten Ziegeln und 8 Häuser von Ziegeln waren im Bau begriffen. Öffentliche Gebäude befanden sich 1848 folgende:

• Eine Kirche, zu welcher die Krone 41 000 Rubel banco verabfolgte, die Kirche ist 1841 in einem hübschen Stile nach einem von der Obrigkeit gegebenen Plane gebaut. Auch eine Orgel aus dem Schwarzwalde wurde verschrieben, welche der Cantor (Küster) ausgezeichnet spielte.

• Das Pastorat steht der Kirche gegenüber, ist von der Krone in 1821 -1824 erbaut.

• Ein geräumiges Schulhaus neben dem Pastorat.

• Ein Vorratsmagazin von gebrannten Ziegeln, eine Ziegelbrennerei, 3 Windmühlen, 1 Schmiede, 10 Schuster und 5 Schneider sind vorhanden.

Da im Jahre 1822 noch 10 Wirte angenommen wurden, so besteht Heidelberg 1848 aus 92 Wirtschaften, 5 Freisassen welche 178 Familien mit 981 Seelen also 671 oder 2 ½ mehr Seelen als bei der Ansiedlung.

Heidelberg 1848

Schulz: Härty

1. Beisitzer: Kaufmann

2. Beisitzer: Steinbock

 

Kostheim (Taurien)

Im Jahre 1880 wurde diese Kolonie an der südlichen Seite des linken Ufers der Jedekorin von einer geschlossenen Gemeinde in 24 Familien katholischer Konfession unter Anführung des Schulzen Peter Zeiser gegründet. Die Ansiedler, teils Badener aus der Gegend von Bruchsal, teils Elsässer (Überrheiner) und Pfälzer aus der Gegend von Landau und Speier, hatten sich auf ihrer Einwanderungsreise als Religionsverwandte zusammengefunden, befreundet, und wählten diese Stelle 18 Werst westlich von der Molotschna. Von der Kreisstadt Militopol 27 Werst, 202 Werst von der Gouv. Simferopol und 148 Werst von Jekaterinoslaw – in einer vorzüglichen Lage. Die K. bildet zwei Häuserreihen mit 20 Faden breiten Baustellen und einer ebenso breiten Straße von Ost nach West gelegen.

Auf Bitten des damaligen Oberschulzen Jakob Walther, dem dieser Ort besonders gefiel, wurde derselbe mit noch 4 lutherischen Familien und im Jahre 1823 nach der zweiten Landvermessung noch sechs anderen Familien aufgenommen, die teils aus der nachgewachsenen Jugend, teils aus kinderlosen Familien bestanden. Auf Ansuchen des bei der Gründung von Kostheim gegenwärtig gewesenen Inspektor Sieber wurde diese mit der Zustimmung der Gemeinde nach seinem Geburtsort in Deutschland Kostheim genannt. Der Ort war unbewohnt und nur von Nomaden besucht. Daß jedoch die Gegend früher bewohnt sein gewesen sein muß, dafür dürften ein beim Pflügen 4 Werschock tief gefundener Schleifstein und ein kupferner Stockknopf als Belege dienen (siehe Reichenfeld)

Vorschuß aus dar Ansiedlerkasse erhielt Kostheim wie die übrigen Kolonien. Außerordentliche Unterstützung wurde nur einigen der Unbemittelten in drei Pflügen und drei Paar Ochsen zuteil. Die meisten Kolonisten hatten keine eigenen Mittel. Die 4 lutherischen Familien besaßen 700 Thaler.

Der Boden zum Getreideanbau ist fruchtbar. Die Bewohner von Kostheim haben sich im Ackerbau vor allen anderen Kolonien ausgezeichnet (Walther). Auch in Rücksicht der gesellschaftlichen Eintracht zeichnet sich Kostheim aus und die Polizei hatte selten nötig, einzuschreiten.

Das sogenannte Krakeelen konnte keinen festen Fuß fassen, es lag der Grund wohl an einigen richtigen Tonangebern.

Die obere Erdschicht des Bodens ist allenthalben bis auf 1 – 1 ½ Tiefe mit schwarzer Gartenerde bedeckt, deren Unterlage gelber Lehm, bis 15 – 20 Fuß tiefen Wassergrund, wo süßes Wasser sich befindet. Nur in dem Jedekorin, wo gelber Lehm sich findet, ist die Wassertiefe tiefer. Die Lage des Dorfes ist vorzüglich, jedoch nicht so die Lage des Ackerlandes. Das Land ist 2 ½ bis 3 Werst breit und 7 Werst lang und besteht aus 4/5 Hügelland. Heuland ist wenig. Das Tal des Jedekorin ist schmal und kann leicht Überschwemmungen unterliegen. Die Baumanpflanzung ist noch gering und wird auch nicht mit Nachdruck gepflegt. Im Jahre 1818 sind bei J a k o b W a l t h e r d i e e r s t e n Ä p f e l i m g a n z e n G e b i e t z u r R e i f e g e- k o m m e n. Im Jahre 1820 legte J a k o b W a l t h e r den e r s t e n O b s t g a r t e n an. Und da derselbe reichlich lohnte, so legten auch 1826 – 1830 andere Wirte solche an.

Im Jahre 1825 legte Johannes Gretschmann mit Setzlingen aus dem Jekaterinoslawschen Kronsgarten einen hübschen Obstgarten von 1 Desjatine an, der schon nach vier Jahren die ersten und nachher sehr reichliche Früchte brachte.

Wald wurde im Jahre 1844 nördlich vom Dorfe am seichten Ufer des Jedekorin 17 ½ Desjatinen, auf den Wirt ½ Desj. Angelegt. Der Wald gedieh ausgezeichnet und die Kostheimer bekamen stets mehr Lust. Auch hatte man in Kostheim Seidenwürmer. Die Kolonisten Zimmermann und Laber erzeugten einige Pfund Seide, die als gelungene Probe gelten konnte.

Viehseuche war 3 mal. Die Schafpocken 2 mal. Epidemische Krankheiten waren Scharlach, Masern usw.

Das Vorratsmagazin ist aus gebrannten Ziegeln gebaut und mit Dachpfannen gedeckt. 3 Häuser sind aus gebrannten Ziegeln, 5 im Bau begriffen. Das Schulhaus ist aus Lehmziegeln und ziemlich geräumig auch für die Wohnung des Lehrers. Im Schulhaus hielt auch der Lehrer nach katholischem Ritus Andacht, da von ihm der Küsterdienst besorgt wurde. Es war eine Glocke und 3 mal täglich wird zum Angelus geläutet.

In Kostheim befindet sich: Eine Windmühle, 1 Ölmühle, 1 Schmied, 1 Tischler, 3 Schuhmacher, 2 Mechaniker und 1 Schneider. Kostheim hat 35 Wirtschaften, 3 Freisassen in allem 56 Familien mit 337 Seelen. 1 Wirtschaft mit 3 Familien und 15 Seelen sind (1848) noch lutherisch. – Es hat sich also Kostheim von der Ansiedlung bis 1848 um 211 Seelen, also um die dreidoppelte Anzahl vermehrt.

 

Kostheim 1848

Schulz Weininger

1. Beisitzer Geiger

2. Beisitzer Pflug

 

Hundert Jahre nach der Gründung von Waldorf

Im „Haus – und Landwirtschaftskalender für deutsche Ansiedler im südlichen Russland“ auf das Jahr 1913 findet sich folgender Bericht über Waldorf:

„Das Dorf liegt an dem kleinen Flusse Kukurlak, welcher sich oberhalb Altmontal in den Tschingul ergießt. Es wurde etwas später angesiedelt als Prischib, nämlich 1809. Die Entfernung von Prischib beträgt 10, vom Pfarrorte Heidelberg 7, vom Prischiber Doktorbezirk 10, von der Bahnstation Prischib 25 und von der Kreisstadt 6o Werst. Das Dorf ist in 41 Höfe eingeteilt. Die Einwohnerzahl ist auch hier wie überall gestiegen und besteht aus 256 Seelen (119 männliche und 137 weibliche.) Den Ansiedlern wurde ein Landareal von 1 741 Desjatinen brauchbaren und 199 unbrauchbaren Landes zugewiesen. Die Straße des Dorfes führt von Norden nach Süden, wo dieselbe ein Knie macht und südöstlich endigt. Auf Schönheit darf das Dorf wohl kaum einen Anspruch machen. Die Bodenbearbeitung ist hier leichter als in vielen anderen Dörfern, indem das Ackerland fast rings um das Dorf her sich ausbreitet. Unter anderen gewerblichen Etablissements seien erwähnt: 1 Dampfmühle, 1 Windmühle, eine Ziegelei und eine Milchsterilisationsfabrik. Die Straße führt uns auf geschlängeltem Wege von einem Ende des Dorfes zum anderen.

Auf der Abbildung sehen wir links einen Teil der Kapelle, welche über dem Grabe des verstorbenen langjährigen Oberschulzen Anton Hardock errichtet worden ist. Weiter hinauf erhebt sich ein zweistöckiges, noch unfertiges Gebäude. Es ist dies die Milchsterilisationsfabrik, welche von einer Gesellschaft dortiger Ansiedler Johann und Friedrich Hardock u. Co. Im Jahre 1912 gegründet worden ist. Es ist dies ein Unternehmen, das in den Kolonien einzig dasteht und man kann demselben nur den besten Erfolg wünschen.

Waldorf hat auch eine schöne, erst 1907 erbaute Schule. Schulutensilien und Anschauungsmittel lassen viel zu wünschen übrig. Die Schule ist einklassig und hat nur 46 Schüler. Am 10. Mai 1912 schied Lehrer Lorenz Kaul nach 22-jährigem Wirken an der Waldorfer Schule aus dem Amt, wobei man demselben in Anerkennung seiner aufopfernden treuen Tätigkeit eine Dankadresse nebst einem photographischen Bildnisse des Lehrers im Namen der Waldorfer Gemeinde überreichte.

Nach der letzten Statistik zählte man in Waldorf 201 Pferde, 222 Stück Rindvieh und 170 Schweine. Aus diesen Zahlen ist zu sehen, dass die Milchwirtschaft hier stärker betrieben wird als Pferde – und Schweinezucht, da die Stückzahl die der Pferde und Schweine übersteigt, was in den 27 Kolonien der Prischiber Wolost nur noch bei Prischib, Andreburg und Alt-Montal der Fall ist.

 

Karlsruh

Die Kolonie wurde 1815 von 15 Familien aus Weinau und 16 Familien aus Wasserau gegründet. Weinau und Wasserau, diese zwei große, bei einander gelegenen Kolonien, deren Land sich 10 bis 15 Werst in die Länge erstreckte und bei der Bearbeitung große Beschwerlichkeiten bot, wählten unter ihrem Schulzen Philipp Groh eine neue Stelle zur Ansiedlung eines Teils ihrer Wirte 12 Werst südwestlich von Molotschna entfernt. Da dieser Schulz aus der badischen Gegend um Karlsruh stammte, so wurde das neue Dorf auf seinen Vorschlag „Karlsruh“ genannt.

Im Jahre 1821 wurden noch 5 neu eingewanderte Familien aufgenommen. Die schwächsten Wirte erhielten von der Krone außer der allgemeinen Unterstützung noch 3 Pflüge und 4 Paar Ochsen aus den Mitteln der Ansiedlungskasse. Die eigenen Mittel waren bei der ersten Ansiedlung sowohl als auch bei der Übersiedlung gering und viele mußten in den Jahren 1815 und 1816 einen Teil ihrer Saat - und Brotfrucht mit Dreschen in anderen Kolonien verdienen.

Die Sittlichkeit dieser aus Württembergern, Straßburgern, Badenern aus der Gegend Durlachs und Eppingens und aus der polnischen Gegend Kalisch eingewanderten Leute ließ in den ersten Jahren der Ansiedlung manches zu wünschen übrig, doch hat sich ein Emporsteigen in wirtschaftlicher Hinsicht bald geltend gemacht.

Der Boden ist 1 ½ Arschin tiefe Gartenerde mit gelber, salpeterhaltigen Lehmunterlage, das Brunnenwasser ist 40 bis 50 Fuß tief und salpeterhaltig. Die Baumzucht gedeiht gut, doch will man hier auch wie in anderen Kolonien dieser Gegend bemerkt haben, daß die Bäume mit Ausnahme der Rüster und der Maulbeeren nur von kurzer Lebensdauer sind , was man dem Einfluß des Salpeters zuschreibt, der sich hier wie auch an anderen Orten in Gestalt eines Reifes auf der Oberfläche des Humus ansetzt. Die im Jahre 1846 begonnene Waldanpflanzung besteht hauptsächlich aus Rüstern und Maulbeeren.

Die Rindviehpest hat dreimal 2/3 des Viehbestandes hinweggerafft. Außer Scharlach und Masern sind unter Menschen keine Epidemien ausgebrochen.

5 Wohnhäuser sind aus gebrannten Ziegeln erbaut und 3 im Bau begriffen. Das geräumige Schulhaus ist von Luftziegeln gebaut, ein Vorratsmagazin aus Ziegeln ist im Bau begriffen.

1 Windmühle, 3 Schmiede, 1 Tischler, 1 Schneider sind stets hinlänglich mit Arbeit versehen.

Die Kolonie gegenwärtig aus 36 Wirtschaften und 6 Freistellen und ist von 492 Seelen evangelischer Konfession bewohnt, 35 mehr als bei der Einwanderung.

 

Schulz: Ullmann

Beisitzer: Föll, Schelle.

 

Karlsruhe 100 Jahre später

Dieses Dorf wurde 1816 angelegt. Der Name desselben stammt aus der alten Heimat Baden, da der weitaus größte Teil der Ansiedler Badenser waren. Es besteht aus 56 Höfen mit einem Flächeninhalt von 2 641 Desjatinen brauchbaren und 28 Desjatinen unbrauchbaren Landes. Die einzige Straße zieht sich von Ost nach West hin, während das zu dem Dorfe gehörige Land sich mehr nördlich und südlich von der Kolonie ausbreitet. Die Seelenzahl übersteigt nicht 350, davon 160 männliche und 190 weibliche Seelen. Auch hier ist Handel und Gewerbe schwach. Viehzucht wird nur zur Deckung des eigenen Bedarfes getrieben. Obstbau mittelmäßig. Haupterwerbszweig ist der Ackerbau. Die Kolonie macht einen angenehmen Eindruck, besonders im Frühjahr. Die Höfe sind nämlich alle durch weißgetünchte Ziegelzäune von der Straßenseite herabgegrenzt. Hinter diesen Zäunen zieht sich eine Reihe Akazienbäume hin, welche in der warmen Jahreszeit das sanfte Weiß der Zäune mit grünem Blätterdache und duftenden Blüten überdachen. In der Mitte des Dorfes befindet sich das Schulhaus. Es ist zweitklassig. In Bezug auf Utensilien und Anschauungsmaterial wäre zu sagen, daß erstere nicht zweckmäßig und letztere noch nicht angeschafft worden sind. Die Kolonie liegt von der Wolost 18, von der Kirche 10, von Doktor und Apotheke (Reichenfeld) 7, von der nächsten Bahnstation Feodorowka 8 und von der Kreisstadt 35 Werst entfernt.

 

Kronsfeld

Kronsfeld wurde im Jahre 1825 unweit Reichenfeld, 25 Werst vom Hauptort Molotschna entfernt auf bis dahin unbesetztem Kronsland gegründet und auf Vorschlag des damaligen Oberschulzen Jakob Ricker , dem man die Benennung des Ortes anheimgestellt hatte, Kronsfeld genannt.

Die nächste Veranlassung zur Gründung Kronfelds gaben einige einzeln aus den Gegenden Heidelberg und Tübingen mit eigenen Mitteln eingewanderte Familien von der St. Petersburger Siedlung , welche dort ihre bereits angetretene Wirtschaft mit Erlaubnis der Behörden verkauft hatten und hier mit 60 Desj. pro Familie belehnt werden sollten. Ihnen wurden auch einige 1809 ohne Land gebliebene Familien, sowie einige vom Nachwuchs in den Kolonien beigesellt. So waren 19 Familien zusammengekommen gekommen, welche unter ihrem aus der St. Petersburger Ansiedlung gekommenen Schulzen Adam Schatz ihr auf einer vollkommenen Ebene gelegenes Land zu bebauen anfingen. Land und Wasser sind dem der Kolonie Karlsruh ähnlich. Der Baumwuchs ist hier schwach, doch ist mit der Waldanlage 1846 an der Nord - und Südseite des Dorfes der Anfang gemacht worden.

Indes mußte Kronsfeld im Jahre 1833, als die unweit Altmontal gelegene Kolonie Neudorf von der Kolonialobrigkeit aufgelöst wurde, noch 12 dortige Wirte annehmen, weil es in seinen Grenzen übriges Land hatte. Die Übersiedler von Neudorf wurden hier wie in den anderen Kolonien sehr ungern aufgenommen, weil sie einen höchst üblen Ruf hatten. Ihre mit dem Glauben an Hexen und Gespenster verbundene Faulheit hatte die Obrigkeit veranlaßt, diese Ansiedler in den anderen Kolonien zu verteilen, um sie unter einen besseren Einfluß zu bringen. Die Zeit hat diese Maßregel vollkommen gerechtfertigt, indem mehrere dieser Übersiedler nunmehr andere, unter besseren Umständen heraufgekommene in wirtschaftlicher Beziehung eingeholt, wenn nicht überflügelt haben. Im Jahre 1839 mußten auf Befehl höherer Behörde noch 3 Wirte aus Weinau aufgenommen werden, weil dort nach einer genauen Landvermessung für sie keine Wirtschaften übrig geblieben waren

Eine Viehpestepidemie hat ¾ des Rindviehs zum Opfer genommen.

In Kronsfeld steht 1 Haus aus gebrannten Ziegeln, im Bau begriffen sind 4. Das von gebrannten Ziegeln neuerbaute Schulhaus hat ein Ziegeldach. Das Vorratsmagazin ist aus Holz. Eine Ziegelhütte ist in diesem Jahr errichtet. 1 Schmiede, 3 Tischler, 2 Schuhmacher und 1 Schneider sind hinlänglich beschäftigt.

Die Kolonie zählt 34 Wirtschaften und 1 Freistelle mit 69 Familien, welche 366 Seelen zählen.

 

Schulz: Nelde

Beisitzer: Mayer, Schatz

 

Klosterdorf, ein Schwedendorf

Kurzgefaßte geschichtliche Übersicht der Gründung und des Bestehens der Kolonie Klosterdorf (am Dnjepr, Gouvernement Cherson).

Die Kolonie Klosterdorf ist im Jahre 1805 zur Ansiedlung gegründet, die Häuser sind im Jahre 1806 von den Kolonisten erbaut worden. Diese Kolonie ist in zwei Häuserreihen am rechten Ufer des Dnjepr angelegt worden. Die Entfernung von der Gouvernementstadt Cherson ist 82 Werste. Die Beschaffenheit des Bodens auf der Steppe ist lehmsandig und bergig. Der Boden ist für alle Früchte geeignet wenn ein feuchtes Jahr. Steinbrüche gibt es an den Bergen am Dnjepr, Wälder sind keine, nur auf den Dnjeprinseln befinden sich Baumgruppen und Weidenbüsche. Auch Rohr wächst auf diesen Inseln, welches die Kolonisten als Brennmaterial gebrauchen. Auch machen die Kolonisten auf diesen Inseln Heu, welches aber grob wie Rohr ist. Diese Insel liegt zwischen dem Dnjepr und dem Fluß Konka (?) und hat 383 Desjatinen brauchbares Land, unbrauchbares über 759 Desjatinen. Der Ursprung der Benennung der Kolonie Klosterdorf entsteht von Sr. Exzellenz des Herrn General Kontenius und Hofrat Schulikof vom Jekaterinoslawschen Vormundschaftskontor, diese sagten, weil die Kolonie nicht weit von einem Kloster angelegt ist und mit ihrer Grenze an die Klostergrenze stoßt, so soll sie Klosterdorf heißen. Familien haben sich ursprünglich zur Ansiedlung auf Ort und Stelle 30 niedergelassen und waren unter dieselben Auswanderer: 8 Familien aus dem Königreich Böhmen, 7 Familien hart am Rhein (Mainz),8 Familien aus dem Großherzogtum Baden und Nordpfalz. Die Auswanderer sind ohne Partei in Grodno angelangt auf das Privilegium Sr. Majestät Kaiser Alexander Pawlowitsch, welches Privilegium ein ausgesandter Kommissionär, genannt Ziegler, im römischen Reiche in der Stadt Ulm bekannt gemacht, auf welches hin die Auswanderer nach Russland reisten. In Grodno bekamen sie einen Soldaten zum Führer bis Jekaterinoslaw. Von Jekaterinoslaw bis in die Altschwedenkolonien war ihr Führer selbst General Kontenius und Hofrat Schilikow. Bei der Einwanderung benützten dieses Land, wo jetzt Klosterdorf liegt, die altschwedischen Kolonisten. Auf dem Land waren keine Wohnungen, sie wurden anfangs bei den altschwedischen Kolonisten einquartiert. Unterstützungs - und Nahrungsgelder haben die Kolonisten auf die Familie circa 448 Rubel banko bekommen. Zum Anschaffen der Wirtschaftsgeräte und zur Aussaat 177 Rubel und zum Ankauf für Nahrung und Fuhren 270 Rubel. (Zum Häuserbau hat jede Familie Bauholz bekommen: 31 Balken, 34 Sparren, 65 Latten, 18 Scharten, Schilfkern, 2 Bretter und einen Sägeklotz zum Wiekelholz. Die mitgebrachten Mittel der Kolonisten waren nur wenige. Einige brachten zwei Pferde, die meisten aber nur ein Pferd mit nach Russland. Seit der Ansiedlung sind folgende Unglücksfälle geschehen: Im Jahre 1821 und 1825 machten die Heuschrecken größten Schaden. Im Jahre 1832 und 1833 wurde von Erdmäusen viel Schaden angerichtet. Die günstigen Verhältnisse hat die Gemeinde vor allem Sr. Kaiserlichen Majestät von welcher sie das Privilegium mit großen Freiheiten erhalten, zu verdanken. Zum anderen der Hohen Obrigkeit, welche die Kolonisten zu allem Guten anhaltet.

 

Klosterdorf, den 22. April 1848

Schulz: Joseph Hinkel

Schullehrer: Nikolaus Luft (oder Lust)

 

Mühlhausendorf

Die Niederlassung der Ansiedler und Ankunft an Ort und Stelle erfolgte im Jahre 1805, die Anlegung und Bau der Häuser 1806. Bis zum Aufbau der Häuser wurden die Kolonisten teils in Alt-Schwedendorf untergebracht, teils mussten sie sich eigene Hütten bauen.

Die Kolonie befindet sich an der nördlichen Seite des Dnjepr, am fuße des Berges, eine halbe Werst südlich des Dorfes Alt- Schwedendorf, 80 Werst von der Kreis und Gouvernementstadt Cherson entfernt. Südwestlich erstreckt sich eine Niederung, die vom Dnjepr durchströmt wird und viele kleine Inseln aufweist. Auf diesen Inseln, sowohl diesseits als jenseits des Dnjepr befinden sich Pappeln, Weiden, Strauchwerk sowie Rohr und Schilf. Auch Heu wächst auf den Inseln, doch kann die Heuernte von jenseits des Dnjepr erst dann eingebracht werden, wenn der Dnjepr fest zugefroren ist. Auf diese Weise geht bei gelinden Wintern durch die alljährlich stattfindenden Überschwemmungen im Frühjahr viel Heu verloren. Das der Kolonie zugeteilte Land erstreckt sich 10 Werst weit nach Nordosten und ist am Dorf eine, weiter entfernt zwei Werst breit. Es ist hoch gelegen, nicht zu uneben und hat einen gelblehmigen, sandigen, hitzigen Boden, auf welchem jede Getreideart bei günstiger Witterung und dünner Aussaat gedeiht. Eine dichte Aussaat hat keine Aussicht auf einen guten Ertrag. Am Fuße des Berges auf der Dnjeprseite befinden sich auch Kalksteine, derer sich die Kolonisten zum Mauerwerk bedienen. Im Jahre 1847 ist auf Anordnung der Obrigkeit eine Waldplantage angelegt worden.

Vor Anlegung der Kolonie befand sich hier eine Windmühle mit einem kleinen Haus. Beides gehörte dem Schwedendorfer Kolonisten Hermann, der es auch gebaut hatte. Die Herren Kontenius und Hofrat Schilkow gaben der neuen Kolonie den Namen Mühlhausendorf, weil nicht allein die Mühle hier gestanden war, sondern auch der Führer und Schulz der Kolonie vom Auslande her aus Mühlhausen stammte.

Die Kolonie ist ursprünglich von 16 Familien angelegt worden, welche mit Ausnahme einer einzigen deutsch-böhmischen Familie aus Österreich und Württemberg stammten. Sie hatten in ihrer Heimat Zeitungsnachrichten empfangen, dass der Kaiser im Süden seines Reiches Land an deutsche Kolonisten unter günstigen Privilegien abgebe und waren, ohne eine Partie zu bilden, auf eigenes Risiko aufgebrochen. Grodno war ihr Sammelplatz.. Dort wählten sie sich zum Führer aus ihrer eignen Mitte den Kolonisten Karl Waser.

In Grodno bekamen die Ansiedler 25 Kopeken Nahrungsgelder auf die Seele. Zur Ansiedlung erhielten sie nach ihrer Ankunft in Jekaterinoslaw 10 Rubel Banko Vorschuß von der Krone. An Ort und Stelle wurde ihnen Bauholz zugeteilt. Die eigenen aus der aalten Heimat mitgebrachten Mittel hatten sie bereits auf der Reise verzehrt.

In den ersten Jahren nach der Ansiedlung zeichneten sich die Kolonisten durch Trägheit, Gleichgültigkeit, Prozesssucht und Trunksucht aus. Mit dem Schulwesen war es schlecht bestellt. Da sie die Landessprache nicht verstanden, so wurden sie von den Einheimischen betrogen, belogen und bestohlen. Das ungewohnte Klima raffte viele hinweg. Doch gelangten sie trotz mancher Schwierigkeiten und Hindernisse wenn nicht zu Wohlstand, so doch zu ungleich besseren moralischen und ökonomischen Verhältnissen. In den Jahren 1821 bis 24 richteten Heuschrecken, 1825 die Viehseuche, 1840 bis 1843 die Feldmäuse großen Schaden an.

Schulmeister: Johann Michael Weiß

Schulz: Christian Rast

 

Schlangendorf

Die Kolonie ist im Jahre 1802 angelegt und gebaut worden., liegt am Dnjepr, 9 Werst von Berislaw und 49 Werst von Cherson entfernt. Ihre südliche Grenze ist der Fluß Konka. Schlangendorf hat an den in der Beschreibung von Mühlhausendorf erwähnten Inseln teil. Das land ist genau so beschaffen wie das von Mühlhausendorf. Die 19 Familien dieser Kolonie bauten ihre Häuser nicht, wie es sonst üblich warm, in zwei, sondern in einer Reihe. Als Hofrat Schilkow das neue Dorf besichtigte, tadelte er diese Anlage und sagte: „Euer Dorf habt ihr gebaut wie eine Schlange, alles nebeneinander, so soll es denn auch Schlangendorf heißen.“ Von den neunzehn Familien stammten die meisten aus Preußen, drei aus Pommern und eine aus Schlesien.

Veranlassung und Umstände der Einwanderung sind hier dieselben wie in Mühlhausendorf. In Jekaterinoslaw gab ihnen das Vormundschaftskontor als Führer den Schreiber Peter Schmidt.

Fertige Häuser wurden nicht vorgefunden. Die Kolonisten erhielten Nahrungs – und Vorschussgelder sowie Baumaterial von der Krone. Sie waren alle arm. Diejenigen, die noch einiges Vermögen aus ihrem Vaterland mitgebracht hatten, verloren dasselbe unterwegs von Shitomir, wo in einem Wirtshause bei der Nacht Feuer ausbrach und alle Habseligkeiten verzehrte. Zwei alte Leute, die auf dem Wagen schliefen, fanden in den Flammen den Tod. Zur Armut gesellten sich in der neuen Heimat die Kränklichkeit und Sterblichkeit in den ersten Jahren. Auch war Schlangendorf denselben Heimsuchungen wie Mühlhausendorf ausgesetzt.

Schulz: Peter Fromm

Beisitzer: Michael Oppenländer

Karl Gretschmann

Schullehrer: Johann Kawalski

 

Eine ausführliche Beschreibung der Schwedenkolonien finden sie im Heimatbuch 1958 der Landsmannschaft

der Deutschen aus Russland.

 

Instruction
Zur inneren Einrichtung und Verwaltung
der Neu-Russischen ausländischen Kolonien

Es ist nicht so, dass die aus dem Ausland gerufenen Ansiedler in Neurussland, wie das Gebiet der heutigen Ukraine damals benannt wurde, einfach in den für sie vorgesehenen Gebieten ohne gesetzliche Vorgaben angesiedelt wurden. Schon im Jahre 1803 wurden die folgenden „Instructionen“ erlassen, die in 96 Paragraphen das Zusammenleben in den neu zu gründenden Kolonien bis in die kleinsten Einzelheiten und sogar mit Eingriffen in das Familienleben regelten. Es würde hier an dieser Stelle zu weit führen, alle diese Paragraphen aufzuführen, aber ich denke, es wird genügend Landsleute geben, die an diesen Anfängen der Kolonien und dem Leben ihrer Vorfahren interessiert sind. Deshalb bringe ich hier nur die bezeichnendsten Abschnitte aus dem 35seitigen Dokument, die allgemeinem Interesse entsprechen und die auf die heutige Zeit übertragen, nicht mehr möglich wären. Obwohl die ältere Generation, der auch ich angehöre (77), manches dieses hier Geschriebenen auf die Disziplinierung der Menschen heuete noch anwenden wollte und würde.

Dieses Gesetzeswerk, man könnte es auch als Verhaltenskodex bezeichnen, ist nur für die ausländischen Siedler unter maßgeblicher Beteiligung von Contenius ausgearbeitet worden und war hauptsächlich dafür verantwortlich, dass, bedingt durch die strenge Überwachung ihrer Einhaltung durch das Fürsorgekomitee, die deutschen Kolonien ihren Zusammenhalt mit all ihren Sitten und Gebräuchen und ihrer deutschen Sprache bis zur Revolution bewahren konnten und ich behaupte, dass ohne diese Vorarbeit heute bei weitem nicht so viele Aussiedler, in gewissem Sinne kann man sie auch Rückkehrer nennen, zu uns gekommen wären.

Ich bin gerne bereit, wenn jemand am Gesamttext dieses Dokumentes interessiert ist, es ihm zum Selbstkostenpreis von
€ 5.—einschl. Verpackung zuzusenden.

Ich muss aber betonen, dass es in gotischer Schrift gedruckt ist, für die meisten Landsleute schwer lesbar.

(guewalter@gmx.de oder Tel. 07141-929328).

 

§1.

Eine der wichtigsten Pflichten der Kolonisten ist diese, dass ein jeder die Gebote und Lehren seines Glaubens ernstlich zu Herzen nehme und dieselben als Richtschnur seines Lebenswandels treu befolge. Diesem nach soll ein jeder pflichtgemäß alle Sonn – und Feiertage dem Gottesdienst beiwohnen..... Wenn jemand ohne erhebliche Ursachen, aus Faulheit oder Nachlässigkeit dem Gottesdienst fernbleibt, so soll er beim ersten und zweiten Mal nachdrücklich ermahnt werden, nachher aber für sein jedermaliges Fernbleiben 10 Kopeken Strafgeld erlegen und sofern jemand solche Strafgelder dreimal im Jahr erlegt haben, ohne sich zu bessern, soll er die erwähnte Geldstrafe doppelt tragen und einen ganzen Tag Gemeindearbeit verrichten.

 

§5-10

… regelt die Wahl der Gebiets und Ortsvorsteher. Der Oberschulz, verantwortlich für ein ganzes Siedlungsgebiet wie z.B. Beresan, Kutschurgan, Molotschna u.a wurden für drei Jahre gewählt und die Dorfschulzen und Dorfschreiber für zwei Jahre.

 

§ 14.

Den Gebietshäuptern wie auch den Dorfschulzen und den Beisitzern sind alle Einwohner die gebührende Achtung schuldig. Im Falle eines begangenen Ungehorsams oder einer ihnen zugefügten Beleidigung mit Worten ist 1 Rubel Strafe für diese Tat am Gebietsvorsteher, ½ Rubel an den Dorfoberen zu entrichten. Sollte jemand die Frechheit begehen sich mit der Hand an ihnen zu vergreifen, so ist dafür die dreifache Geldstrafe zu erlegen und wird für eine Zeitlang ins Gefängnis gesetzt oder zu anfallenden Gemeindearbeiten verurteilt.

 

§ 16.

Der Gebietsvorsteher hat im Gebietsamte und der Schule in jedem Dorfe der versammelten Gemeinde... zu erklären und zu belehren, wie es jedermanns Pflicht ist sittlich und friedsam mit anderen Menschen zu leben ... damit die Jugend in Eltern und alte Leute gehörig hoch- achte und ihnen gehorche und diese hingegen die jungen Leute durch ihre Beispiele zur Arbeitsamkeit, Rechtschaffenheit, Enthaltsamkeit und zu friedsamem Lebern mit den Hausgenossen, Nachbarn und jedem Menschen zu ermuntern und anzuhalten usw.

 

§ 23.

Die Gebiets – und Schulzenämter haben pflichtgemäß und sorgfältig darauf zu sehen, dass die Kolonisten sich nicht dem Müßiggange, der Trunkenheit und der Verschwendung ergeben oder Freveltaten begehen. Sondern sich nüchtern und mäßig verhalten und einen ehrbaren Lebenswandel führen und den Arbeiten ihres Berufs als dem Acker – und Gartenbau, der Viehzucht und allen anderen zum Landbau gehörigen Culturen fleißig obliegen.

... haben die Gebiets – und Schulzenämter von den guten Wirten, die sich durch Fleiß in der Landwirtschaft hervortun als auch von denen, die faul und nachlässig besondere Register anzufertigen, die jährlich an das Komptoir einzuschicken sind, damit man auf die Arbeitsamen und Rechtschaffenen das ihnen gebührende Vertrauen setzen, den faulen und schlechten Wirten aber solches entziehen und sie durch Geldstrafen und Einsetzen zu Wasser und Brot zur Besserung bringen könne. Auch müssen die letzteren durch Zwangsmittel zum Beackern und Besäung ihres Landstückes und allen anderen Haus und Landarbeiten täglich gezwungen werden. Um dieses gehörig bewerkstelligen zu können, werden sie unter Aufsicht des Dessätniks gegeben, bei wiederholten Ermahnungen ist mit Beschreibung ihrer Schuld an das Komptoir Bericht zu erstatten.

 

§ 30.

Die Gebietsvorsteher und Schulzen sind verpflichtet, darauf zu sehen, dass arme und gebrechliche Kolonisten unter keinem Vorwande sich herumtreiben und um Almosen bitten, noch weniger betteln gehen.

Wenn sie weder Anverwandte oder Kräfte haben, so muss die Gemeinde ein Armenhaus nahe bei der Kirche von zwei Stuben, eine für Frauen und eine für Männer erbauen lassen, und darinnen ihre Armen mit Nahrung, Feuerung und notdürftiger Kleidung unterhalten. Zum Unterhalt derselben soll unter der Aufsicht des Kirchenältesten ein Armenkasten und in der Kirche ein Klingelbeutel, worin an Sonntagen und Feiertagen für das Armenhaus zu sammeln ist usw.

Da doch unter diesen ersten Ansiedlern sehr viele des Schreibens und Lesens unkundig waren oder dies schlecht beherrschten, mußte der Oberschulz in den einzelnen Dörfern die wichtigsten Paragraphen der „Instructionen“ den Einwohnern persönlich vortragen. Solch ein Vortrag könnte so oder ähnlich gelautet haben. (Auszug aus meinem Buch „Lebendige Ahnen“:

„Als auch von euch gewählter Oberschulz habe ich die Versammlung heute einberufen, um euch mit den wichtigsten Bestimmungen bekannt zu machen, die euch betreffen und unbedingt eingehalten werden müssen.

Hört aufmerksam zu und glaubt ja nicht, dass ihr euch bei späteren Gelegenheiten damit herausreden könnt, nichts gewußt zu haben.

Wir sind hier eine Insel im großen russischen Reich. Wir können also nur vorankommen, wenn wir zusammenhalten und die Gesetze achten. Es gibt kein Zurück in die alte Heimat, nach Deutschland, also müssen wir alles tun, um unsere Lage Jahr um Jahr zu verbessern. Unsere Nachkommen werden es einmal besser haben und uns ein ehrendes Andenken bewahren.

Dies sind die wichtigsten Paragraphen aus den „Instructionen“ des Komptoirs, die euch betreffen:

Ich habe die Aufgabe und das Recht, darauf zu achten, dass sich die Kolonisten nicht dem Müßiggange, der Trunkenheit und der Verschwendung hingeben, sondern einen ehrbaren Lebenswandel führen. Von den schlechten wie auch von den guten Wirten muss ich als Oberschulz ein Register führen und dies halbjährlich dem Komptoir einsenden, damit in die Rechtschaffenen und Arbeitsamen das nötige Vertrauen gesetzt werden kann, die Schlechten und Faulen jedoch durch Geldstrafen oder Festsetzung bei Wasser und Brot zur Besserung gebracht werden.. Die Bearbeitung ihrer Felder wird täglich vom Schulzen überwacht.

Jede vom Oberschulzen oder Schulzen einberufene Versammlung muss von jedem Wirt besucht werden. Bei Nichterscheinen 20 Kopeken Strafe, bei ungebührlichem Verhalten 2 Rubel Strafe.

Hab und Gut eines Kolonisten darf nicht ohne Wissen und Erlaubnis des Komptoirs geteilt, verkauft oder anderweitig vergeben werden.

Die Schulzen und Oberschulzen haben scharf darauf zu achten, dass sich kein Kolonist unnötig von seinem Dorf entfernt. Zum Zwecke des Verkaufs seiner Produkte ist dies erlaubt, sofern der Ackerbau nicht beeinträchtigt wird. Plant ein Kolonist über eine längere Zeit seine Abwesenheit, muss er sich erst beim Gebietsamte melden und beweisen, dass die Bewirtschaftung seiner Wirtschaft gewährleistet ist. Der Paß, der beim Komptoir abgeholt werden muss, ist bei der Rückkehr wieder abzuliefern.

Wenn einer ein Pferd oder mehrere gekauft hat, ist er schuldig, dem Komptoir den Preis, den er bezahlt hat, den Verkäufer und das Merkzeichen zur Kenntnis zu bringen. Jegliche Unterlassung führt zu Konfiszierung und Anklage vor Gericht.

Wenn bei Händeln unter Kolonisten nach Ermahnung durch den Schulzen keine Ruhe eintritt, werden dem Schuldigen zur Strafe Gemeindearbeiten, im Wiederholungsfalle 25 Kopeken in die Gemeindekasse auferlegt.

Die Schulzen werden streng darauf achten, dass keine Üppigkeit und Verschwendung unter den Kolonisten auftritt. Solchen mit diesen Lastern wird schwerste Gemeindearbeit auferlegt, im Wiederholungsfalle wird er arretiert und dem Komptoir vergeführt.

Üppiges Leben heißt, dass man keine übermäßigen Gastereien anstellt, wodurch Vermögen durchgebracht wird. Verschwendung heißt: Keine Karten – und andere Spiele um Geld oder Sachen. Verkauf von Vieh und anderem ohne Not und ohne Wissen des Schulzen, um das erlöste Geld zur Trunkenheit oder zu Sättigung anderer Begierden anzuwenden.

Jeder Wirt hat seine Wirtschaft einschließlich der Umzäunungen stets in bester Reinlichkeit und Ordnung zu halten. Der Schulz hat streng darauf zu achten und Zuwiderhandelnde zu bestrafen.

Die Schulzen achten streng darauf, dass auf die Straßen keine Unreinlichkeiten geworfen werden, sie sollten immer gehörig sauber gehalten werden.*

Die Kolonisten müssen sich gegen ihre Dorf – und Grenznachbarn freundlich und gefällig verhalten, sich gegenüber Durchreisenden freundlich und gastfrei betragen.

Bei Ausbruch von Seuchen liegen beim Schulzen die notwendigen Verhaltensmaßnahmen.

Dass zu Verhütung von Feuersbrünsten Tag und Nacht Wächter aufgestellt und was bei Ausbruch von Feuer zu beachten ist, darüber informiert euch der Schulz.

Jedes Wohnhaus muss einen Schornstein haben, der regelmäßig gereinigt werden muss und der jeden Monat kontrolliert wird.

Es sind sofort Vorratsmagazine anzulegen und jeder Wirt hat ein vorgeschriebenes Quantum an Getreide zur Aussaat und seinem eigenen Bedarf dort einzulagern, damit in Notzeiten und bei Mißernten seine Versorgung gesichert ist.

In jeder Kolonie müssen noch in diesem Jahr schnellwachsende Bäume angepflanzt werden, das dann zu Verfügung stehende Holz darf nur zur Anfertigung von Arbeitsgeräten und Ausbesserung der Umzäunung verwendet werden.

Alle Kolonisten sind angehalten, im Winter alle Arbeitsgeräte zu reparieren, damit es zu Beginn der Arbeitszeit im Frühjahr sich in gutem Stande befinde.

*Die gute alte schwäbische Kehrwoche läßt grüßen!

Sobald die Zeit zum Ackern gekommen ist, hat der Schulz allen Wirten anzubefehlen, dass sich alle zur gleichen Zeit in der frühesten Stunde auf das Feld zu begeben haben.

Die Schulzen sind verpflichtet, die Felder von allen Wirten zu besichtigen, ob sie fachgerecht bearbeitet sind.

Bei Mißachtung dieser Vorschriften werde ich unnachsichtig die vorgesehenen Strafen ausführen lassen. Selbst die härtesten, die für Wiederholungstäter vorgesehen sind wie Leibesstrafe, Zuchthaus oder Wegnahme der Wirtschaft.

Ihr habt nun gehört, was die Obrigkeit von euch erwartet, nachdem sie euch hier aufgenommen hat, euch auf der Reise hierher mit Reisegeld und jetzt mit Kronsgeldern zur Anschaffung von Arbeitsgerät versorgt hat und demnächst Bauholz zum Hausbau bereitstellen wird.

Ich verspreche euch, streng auf die Einhaltung aller Vorschriften zu achten, aber immer gerecht und in christlichem Sinne zu urteilen. Ich werde immer zum Wohle der Allgemeinheit handeln, so wie es mir vorgeschrieben ist. Auch m e i n e Pflichten und Rechte sind in den Instructionen festgelegt.

Geht nun an die Arbeit. Der Schulz, dem die Instructionen vorliegen, wird euch diese in nächster Zeit genauer erklären“.

Wie immer, wenn viele Menschen zusammenkommen und zusammen leben müssen, gibt es unter ihnen viele fleißige, aber auch faule und nichtsnutzige. Der glücklicherweise größte Teil der Kolonisten nutzte die staatlichen Zuschüsse, die sie in den ersten beiden Jahren der Ansiedlung erhalten hatten, zum Ausbau ihrer Wirtschaft. Es gab aber auch andere, die verstanden nicht zu wirtschaften und blieben arm. Teilweise musste ihnen wegen Faulheit und Unfähigkeit die Wirtschaft wieder weggenommen werden. Diese Leute verdingten sich lieber als Knechte oder arbeiteten nur, wann sie wollten. Aus ihnen rekrutierten sich dann in den folgenden Jahrzehnten in der Mehrzahl die sogenannten Landlosen, die den Kolonien noch große Probleme bereiten sollten. Die Masse der Landlosen wurde noch verstärkt durch die hohe Geburtsrate in den Kolonien.

Interessant ist der § 36.

Die Schulzen müssen öfters nachsehen und Sorge tragen, daß die gesetzten Grenzzeichen unbeschädigt erhalten bleiben. Wenn die Grenzpfähle oder Grenzpyramiden schon anfangen zu verfaulen oder zu verfallen, so muss der Gebietsvorsteher ungesäumt davon in Kenntnis gesetzt werden, der sie sogleich wieder in gehörigen Zustand setzen läßt. ... Bei Nichtbeachtung werden drastische Geldstrafen angedroht, bei Vorsatz drohte Anzeige und Gerichtsverhandlung.

Ebenso der § 44:

Die Schulzen haben genau darauf zu sehen, daß sich niemand unterstehe, in seinem Hause unzüchtige Weibs – oder Mannsleute zu beherbergen. Wenn jemand diesen Befehl übertritt, so soll der Gebietsvorsteher sogleich über einen solchen Wirt und über die Leute, die solch einen unzüchtigen Lebenswandl führen an das Kontor Bericht zu erstatten.

În weiteren Paragraphen ist z. B. vorgeschrieben:

Alle Wirte müssen zur gleichen Zeit „in der frühesten Stunde“ zum Pflügen auf die Felder begeben. Der schulz hat zu kontrollieren, ob tief genug gepflügt wurde,. Bei der Heuernte darf das Heu nicht zu früh eingefahren werden,. Gedroschen werden darf nur bei schönem Wetter usw.

Wenn jemand mehrmals wegen verschiedener Vergehen bestraft worden war und sich nicht bessert, „soll euf eine zu bestimmende Zeit in den Stock –oder ins Halseisen gesteckt werden.“

Diese Auswahl zeigt, daß der Erfolg dieser deutschen Kolonien im Laufe eines Jahrhunderts bis zu ihrer abrupten Vernichtung nur durch eine konsequente Befolgung dieses Gesetzeswerkes, das später (1875) noch auf 577 Paragraphen erweitert wurde, möglich war und daß die heute zurück nach Deutschland gekommenen Nachfahren dieser ersten Siedler dankbar dafür sein müssen. Denn ohne dem so erzwungenen Zusammenhalt der Kolonisten wären sie wirklich zu „Russen“ geworden, als die sie hier fälschlicherweise bezeichnet werden. Man sieht es ja in Amerika, wohin Hunderttausende aus Deutschland ausgewandert waren und deren Nachfahren sich alle als Amerikaner bezeichnen und fühlen. Das sollte mal unserer einheimischen Bevölkerung klargemacht werden.

Wenn man für ein Buch forscht, ist man oft auch auf Glücksfälle angewiesen. Solch ein Zufall kam den Forschungen zu meinem Buch „Lebendige Ahnen“ zugute. Eines Tages rief mich ein Onkel an und berichtete mir, dass er in einem interessanten und heute leider nicht mehr erhältlichen Buch von Dr. Alfred Eisfeld „Die Deutschen in Russland und in der Sowjetunion“ einiges über den Auswanderer Jakob Walter entdeckt habe, der ein Hauptdarsteller in meinem Buch „Lebendige Ahnen“ werden sollte. Dort steht etwas über „Schmähschriften“, die in dem deutschen Siedlungsgebiet Molotschna, etwas nördlich der Krim gelegen, im Jahre 1818 kursierten und die ein gewisser Jakob Walther geschrieben haben soll.

Nach intensivem und langwierigem Forschen und Suchen konnte ich im Archiv in Kischinew den Originaltext dieser „Schmähschriften“ ausfindig machen, der in satirischer Form die damaligen Verhältnisse in den Kolonien aufs Korn nahm.

Dieser Jakob Walther aus Kostheim, Molotschna, wurde gleich nach der Ankunft der Einwanderer anno 1810 zum Oberschulz über die 22 in diesem Gebiet zu gründenden Dörfer bestimmt, vielleicht auch gewählt. Er übte dieses Amt bei einer Wiederwahl nach drei Jahren bis 1816 aus. Er hatte bei den harten Bedingungen der Gründungszeit als Hauptverantwortlicher seine Kräfte verbraucht und bat um seine Entlassung. In allen vorliegenden Akten wird er als energischer, aber auch gerechter Vorgesetzter geschildert.

Sein Nachfolger im Amt des Oberschulzen, Möllmann aus Grüntal,, war genau das Gegenteil eines verantwortungsvollen Vorgesetzten. Er missbrauchte sein Amt, dass er sich bestehen ließ und sich auch sonst bereicherte, war offenkundig, doch niemand traute sich, dies anzuprangern, geschweige denn, dies laut auszusprechen.

Jakob Walther führte noch aus weiteren Gründen einen Privatkrieg gegen Möllmann, das hier zu beschreiben würde zu weit führen, nachzulesen in meinem Buch „Lebendige Ahnen“ (Werbung muß sein!).

Möllmann fühlte sich angegriffen und verletzt, erreichte, daß Walther verhört und sogar in Orechow für kurze Zeit eingesperrt wurde, aber Contenius holte ihn heraus. Denn es war sofort erkennbar, daß dem Stile nach nur Walther als Urheber dieser „Schmähschriften“ infrage kam.

Als positives Ergebnis ist zu vermerken, daß die Untersuchungen beim Prozess gegen Walther dazu führten, daß solche Mißstände abgeschafft wurden, doch ist nicht auszuschließen, daß dies nur zu einem gewissen Teil gelang. Wie habe ich doch in einem Buch folgende Stelle gefunden:....“aber wißt Ihr, wenns unser Dorf mal partout will, dann fahren wir zum Inspektor und bringen ihm seinen Wintervorrat an Butter oder Schinken ins Haus und dann sieht und hört er nichts von Ungesetzlichkeit.“ Beide lachten. „Da habt Ihr recht, mit sowas schmiert man den Herren die Augen zu, dass sie Heu und Stroh nicht voneinander unterscheiden können.“

Dieser Beitrag soll zeigen, daß es damals im Kleinen nicht anders war als bei uns heute.Wo ist der Unterschied? Nur daß es heute vielerlei Medien gibt, die jede Art von Meldungen schreierisch übertreiben. Was hier angeprangert wird, das gibt es heute noch in unserer Zeit millionenfach.

Hier der erste Teil der „Schmähschriften.

 

Molotschansker Beobachter
Zum Zeitvertreib der die Wahrheit liebenden Leser Herausgegeben im August 1818

 

Molotschansk, 3. August 1818

Im vorigen Monat beichtete die Frau des Chirurgen Wanowgusa dem Pastor Zimmerling unter anderem, dass sie ein Verhältnis mit dem Oberschulzen Möllmann hätte. Weil der Pastor jedoch nicht wollte, dass dieses Geständnis seinem Freund schade, erklärte er die Beichte als reine Phantasie einer Kranken.

Im gleichen Monat gab es eine Schlägerei zwischen dem Oberschulzen Möllmann und dem Sekretär Schapowalenko. Dabei erlitt Letzterer eine größere Kopfwunde nach einem Schlag mit Möllmanns Spazierstock.

Ebenfalls im Juli entstand großer Streit zwischen dem Pastor Zimmerling und seiner Frau. Des Pastors Frau hielt ihm vor, er hätte eine zu enge Beziehung zum Dienstmädchen. Als Folge davon wurde das Dienstmädchen hinausgeworfen. Herr Pastor Zimmerling war so unvorsichtig und erzählte diese Geschichte mehrmals in verschiedenen Gesellschaften.

 

Molotschansk, 5. August 1818

Der hiesige Wirt Joseph Hoffmann leistet für den Oberschulzen Spitzeldienste. Er wird auch dafür bezahlt. Im Krieg würde solch einer als Spion gehenkt werden.

 

Weinau, 5. August 1818

Der hiesige Wirt und Töpfer Wacker wird von vielen als der Vertrauensmann des Oberschulzen Möllmann angesehen. Will einer was Unerlaubtes tun, dann schickt er über Wacker Geschenke an den Oberschulzen.

 

Durlach, 12. August 1818

Man hört öfter mal, dass der Schulz Luz Frauen belästigt. Wir konnten uns aber davon überzeugen, dass dies nur ein Gerücht ist. Wahr ist jedoch, dass er wie im alten Sodom Hinneigung zu Männern hat.

 

Kostheim, 12. August 1818

Das hiesige Eselstribunal hat den ehemaligen Oberschulz Walter aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, weil er zu wenig Respekt vor ihren langen Ohren hatte.

 

Grüntal, 10. August 1818

In der hiesigen Schenke nahm der Oberschulz während der Heuernte Stellung zu dem Streit zwischen dem Nassauer Schenkenbesitzer Jakob Dels und dem allseits bekannten Engländer. Eigentlich müsste diese Sache von der Gemeindeobrigkeit geregelt werden. Des Oberschulzen Möllmanns Meinung war aber, dass man den Engländer trotz des Gerichtsverfahrens unterstützen sollte, denn sonst würde dieser in den Kolonien kein Getreide mehr kaufen, was für die Kolonisten sehr schlecht wäre. Eigentlich ginge diese Frage alle Gemeinden an, doch Möllmann führte diese Gespräche hierüber absichtlich in der Schenke, um zu verhindern, dass die Bauern Wind davon bekommen. Denn nur dann kämen sie weiterhin mit Geschenken zu ihm, damit er zwischen ihnen und dem Engländer vermittle. Ein unkluges und gemeines Spiel.

 

Waldorf, 10. August 1818

Der hiesige Schulz und Gebietsbeisitzer Fust bemüht sich kräftig, die Einwohner mit seinem Knüppel zu besserer Ordnung zu erziehen. Die Bauern, die solches nicht gewohnt sind, wehren sich dagegen seit einiger Zeit und werden ihn auch weiterhin ihren Widerstand spüren lassen.

 

Heidelberg, 20. August 1818

Die Rückkehr des nach Deutschland verreisten Lehrers Hafner wird sehnsüchtig erwartet. Auch von Oberschulz Möllmann, denn die Schwindeleien, die dann wieder anfangen, bringen Möllmann nicht nur Geldgeschenke, sondern auch, wie im vergangenen Jahr, Kopftücher für seine Frau und seine Töchter.

 

Anekdoten

Unlängst fragte ein Mann einen Bekannten, der eben einen Prozeß in der Gebietsverwaltung verloren hatte, warum er ihn verloren hatte. „Wie sollte es auch anders gekommen sein,“ erwiderte der, „wenn man es mit hundert Richtern zu tun hat.“

„Nanu, das Kreisgericht besteht doch nicht aus hundert Richtern.

„ Warum denn nicht, wenn es aus einer Eins und zwei Nullen besteht?“

Man fragt bei uns: Wie lange wird wohl noch das System der Unterdrückung bestehen bleiben?

Die Ansiedler glauben: Solange wie noch die Molotschnaja Butter, Schinken und anderes produziert und die Gemeindeschäferei fette Hammel liefert, so lange wird der Verkehr zwischen den Kolonien und Jekaterinslaw bestehen!

 

20. August 1818

Der Bürger Fein verließ die Hauptstadt und wohnt jetzt auf seinem Gut hinter Reichenfeld.

 

Anmerkung: Der Autor dieses Journals verläßt sich darauf, dass diese erste Ausgabe bei den Lesern gut ankommt und verspricht eine zweite, wenn alle, in deren Hände dieses Blatt kommt, sich bemühen, es zu verbreiten.

Friedrich Fein war ein Freund von Jakob Walther

 

Molotschansker Beobachter
Zweite Ausgabe
Herausgegeben im September 1818

 

Waldorf, 2. September 1818

Der hiesige Wirt, Gebietsbeisitzer und Ehrenmitglied des Lutherischen kirchlichen Konvents und Schulz jagte in den letzten Tagen seine Frau mit Kindern aus dem Haus und lebt jetzt mit der Frau von Georg Steinberger zusammen, die ihren Mann verließ. Es ist bekannt, dass laut Gesetz Eheleute, die sich trennen wollen, unter Androhung der Prügelstrafe gezwungen werden können, wieder zusammen zu leben. Demzufolge bahnt sich an der Molotschna eine Sensation an, wenn das Ehrenmitglied des Konvents und Gebietsbeisitzer als erster mit dieser Strafe bedacht wird. Muss dann hernach ein Krimineller von uns geachtet und geehrt werden?

 

Neudorf, 3. September 1818

Die erste Ausgabe unter dem Titel „Zeitvertreib für die die Wahrheit liebenden Leser“ tauchte in unserem Dorf auf und wurde dem Oberschulzen übersandt. Der Titel paßt genau zu diesen Mitteilungen und nach aufmerksamem Lesen derselben fand sich niemand, der dies nicht bestätigte. Klar, dass Möllmann dies alles nicht paßte und er diese Ausgabe als von einem Schmierfinken hergestellt bezeichnete. Schon seit geraumer Zeit ist ihm die Wahrheit so unangenehm wie der Eule der Tag.

 

Molotschansk, 3. September 1818

Am Sonntag 25. August kam der allbekannte Gebietsbeisitzer Fust aus Waldorf, der seine Frau und seine Kinder aus dem Haus vertrieben hatte, mit seiner Geliebten, die ihren Ehemann Josef Steinberger aus Waldorf verlassen hatte, stolz vor dem Gebietsamt vorgefahren.

Die hiesigen Katholiken rümpfen nicht ohne Grund ihre Nasen gegenüber den Mitgliedern des Lutherischen Gemeinderates. Der eine ist bekannt für seine aufdringlichen Liebesspiele, der andere vertreibt Frau und Kinder und nimmt seine Geliebte auf. Unser Pastor schweigt und wir wissen nicht, warum. Werden die beiden anderen des Kirchengemeinderates auch schweigen? Die Zeit wird es zeigen.

Letzten Monat sind etliche Familien, die den Druck durch die Kreisverwaltung nicht mehr aushalten konnten, aus unserem Dorf nach Tokmak umgezogen. Was werden unsere russischen Nachbarn von uns denken, wenn bei uns Leute verfolgt werden, die dann Ruhe und Sicherheit bei ihnen suchen.

Drei Personen haben einen ganz besonderen Plan für die Gemeindeschäferei ausgeheckt. Der bisher an der Molotschna tätige Schäfer Amann geht nach Chortitza, dafür kommt der dortige Schäfer Becker hierher. Pastor Zimmerling und Becker gründeten eine gemeinsame Schäferei direkt neben der Gemeindeschäferei, so dass Becker beide beaufsichtigen kann.

 

Wasserau, 4. September 1818

Möllmann hat Holz gestohlen, das für den Kirchenbau bestimmt war und hat damit neben seinem Haus einen Stall gebaut. Wir wurden gezwungen, das Holz für ihn zu überführen. Obwohl schon im letzten Jahr das Kontor darüber informiert war und eine Untersuchung die Richtigkeit dieses Vorwurfs bestätigt hat, ist bis jetzt nichts geschehen. Wenn auch die Obrigkeit diesen Diebstahl deckt, wir sind nicht verpflichtet, Möllmann wie Leibeigene das Diebesgut nach Hause zu fahren. Wir bestehen darauf, die Arbeit und die Fuhren bezahlt zu bekommen.

 

Etwas zum Lachen

Ein zur Auffindung des „Schmähschriftenschreibers,“ wie Möllmann den Urheber dieser Aufsätze bezeichnete, Beauftragter, fragte einen Mann, ob er ihm nicht helfen könne, diesen Schreiber zu finden. „Mit Vergnügen,“ antwortete der Mann, „sein Name ist mir nicht bekannt, doch seine Figur und seine Wohnung kann ich dir genau beschreiben. Vor ein paar Tagen kam ich zu der Mühle am Ufer des Tokmak. Sie ist umgeben von wunderschönen Weidenbäumen. Diese Idylle erweckte in mir den Wunsch, diese Gegend näher anzusehen. Da traf ich plötzlich im Gebüsch einen älteren Mann mittlerer Größe und leicht grauem Bart. Er hatte einen gestreiften Anzug an, hatte einen Block Papier in der Hand und schrieb. Ich kam mit ihm ins Gespräch und er sagte mir, er sei der Beobachter. Ich kann mir gut vorstellen, dass er es auch war. Seine Wohnung ist zwei Werst, drei Arschin und vier Spann von Tokmak entfernt.“ „Aber mein Freund,“ erwiderte der Fragesteller, „woher weißt du das so genau?“ „Weil ich mir dachte, irgendwann kommt ein Dummkopf und fragt mich danach. Deshalb habe ich den Platz vermessen.“

Unlängst beklagte sich ein Katholik bei einem Lutheraner, dass vieles in ihrer Religion nicht in Ordnung sei aus dem Grunde, weil sie keinen Pfarrer haben. Ihm antwortete der Lutheraner: „Ihr müßt eben in diesem Falle einige Kirchenvorsteher wählen, die das Recht hätten, jede Unbotmäßigkeit zu bestrafen so wie unser Gemeinderat.“

„Oh je, was habt ihr für ein hervorragendes Gericht. Die Hälfte Eurer Gemeinderatsmitglieder sind doch Ehebrecher, euer Pastor müßte sich schämen, mit ihnen zusammenzuarbeiten.“

„Er wird das ändern, sobald die Fälle aufgeklärt sind“ sagte der Lutheraner.

 

Unbekanntes Dokument, die Auswanderung betreffend

Bei den Recherchen zu meinem Buch fand ich im Hauptstaatsarchiv Stuttgart ein Dokument, das ich so interessant und aufschlussreich finde und das ich in der Annahme, dass es weitgehend unbekannt ist, hier an dieser Stelle der interessierten Öffentlichkeit vorstelle.

Herzog Friedrich II. bekam anno 1806 die Königswürde auf Grund bestimmter Verdienste und Zugeständnissen von Napoleon zugesprochen und regierte Württemberg als Friedrich I. bis 1816. Ihm verdankte Württemberg eine straffe Verwaltung und territoriale Vergrößerung seines Landes. Nachfolgendes Edikt dient als Beispiel, wie damals bereits bis in alle Einzelheiten des täglichen Lebens von der Obrigkeit eingegriffen wurde. Wie weit diese Vorschriften bei der Auswanderung auch eingehalten und überwacht wurden, steht auf einem anderen Blatt.

Den altmodisch anmutenden Text habe ich in eine etwas zeitgemässere Form gebracht, damit sich der Leser nicht vorher daraus verabschiedert.

 

Friedrich der Zweite,
Von Gottes Gnaden, Herzog von Württemberg,
des hl. Röm. Reiches Erz - Panner und Churfüst,
Herzog von Teck

Unsern Gruß zuvor, Liebe Getreue!

 

Aus Gelegenheit des gegenwärtigen Auswanderns und weil von verschiedener Seite Anfragen kommen, wie es zu halten sei, wenn ein Ehegatte mit Zurücklassung des anderen oder gegen dessen Willen auswandern will und ob und wann der hinwegziehende Ehegatte durch das Auswandern sich der Desertion schuldig mache usw.

Wir sind daher gnädigst bewogen für solche Fälle folgendes zu bestimmen:

§ 1.

Ein Ehemann, der den gemeinschaftlichen Wohnort gegen den Willen seiner Ehegattin das Vaterland verlässt um ausserhalb demselben an einem bestimmtem Ort sich niederzulassen, kann nicht als Deserteur angesehen und behandelt werden es sei denn

§ 2.

a.) daß er, neben der Absicht auszuwandern, zugleich die Absicht, das Band der Ehe aufzulösen, auf eine unzweideutige Art erklärte, welches letztere auch in dem Fall geschieht, wenn er, dadurch, daß er ein bestimmtes Ziel seines Auswanderns anzugeben nicht vermag, ein Vagabund wird.

b. oder, wenn er nach einem, mit der Ehegattin zuvor ausdrücklich eingegangenem Vertrag, ohne ihre Einwilligung, den gemeinschaftlichen Wohnort nicht ändern zu wollen, dennoch wegzöge.

c). oder, wenn die Ehegattin durch physisches Hindernis, z. Beispiel Krankheit sich gehindert sähe, dem Ehemann zu folgen, und dieses Hindernis nicht bloß als temporär, sondern als bleibend, mithin die künftige Wiedervereinigung als physisch unmöglich sich darstellen würde.

In diesen Fällen ist der Ehemann nicht eher zu entlassen, als nach zuvor angestelltem Desertionsprozesse und erfolgter eherichtlicher Scheidung der Ehe.

§ 3.

Wenn jedoch die Ehegattin den Mann durch ihren Widerspruch an dem Auswandern nicht hindern kann, so ist sie doch nicht in allen Fällen genötigt, ihm, wenigstens sogleich, zu folgen.

§ 4.

Wenn nämlich der Ehemann bereits vor dem Wegzug aus dem Lande eine bestimmte Niederlassung und Aussicht auf einen sicheren Lebensunterhalt im Auslande hat, so darf die Frau dennoch nicht genötigt werden, ihm sogleich zu folgen, nicht nur wegen eines temporären physischen Hindernisses, sondern auch, wenn die Obrigkeit die Ursachen ihrer Weigerung, z. B. wegen der Gefahren einer weiten Reise, eines ungesunden Klimas usw. für vernünftig erkennt. Jedoch wird alsdann die Trennung bloß als temporär angesehen und das Band der Ehe dauert auch noch nach dem Wegzug des Ehemannes fort.

§ 5.

Hat aber der Ehemann einen bestimmten künftigen Ort der Niederlassung ausersehen, ohne daß jedoch die Bedingungen der Niederlassung bestimmt sind, so ist die Ehegattin nie eher zu folgen gezwungen, als bis der neue Wohnort ganz fest ist, und selbst wenn dies geschehen ist, treten noch die in § 4 angegebenen Dispensationsgrund der gleichbaldigen Nachfolge ein.

§ 6.

Da das Recht, den Wohnort zu bestimmen und zu verändern dem Ehemann alleine zukommt, so kann die Ehefrau gegen den Willen des Mannes nie auswandern, ist vielmehr bei einem diesfalls erklärten Vorsatz immer als Desertix( Deserteurin) anzusehen und zu behandeln.

§ 7.

Aus gleichem Grunde kann sie, selbst mit Bewilligung des Ehemannes, nicht alleine auswandern, es wäre denn, daß die Trennung bloß temporär, und der Ehegatte die Absicht, dem Eheweib zu folgen, glaubhaft dartun würde.

§ 8.

Wenn in dem Falle die Auswanderung nur eines Ehegatten gemeinschaftliche Kinder vorhanden sind,, so haben die nicht mehr unter elterlicher Gewalt stehenden in Betreff der Auswanderung das Recht der Selbstbestimmung.

Bei den noch unter elterlicher Gewalt stehenden Kindern, welche die Desertionsjahre ( d.h. für diesen Fall, wenn Söhne das 16te, Töchter das 14te Jahr vollendet haben) noch nicht erreichen, alsdann hat die Ortsobrigkeit nach Prüfung aller Umstände zu bestimmen, welchem von beiden Ehegatten die Kinder am besten anvertraut, oder, wie sie bei einer größeren Zahl unter beiden Eltern verteilt werden sollen. Haben aber die Kinder das obige Alter schon erreicht, so ist von der Obrigkeit auch ihre eigene Neigung zu Rate zu ziehen.

§ 9.

Gehet dem Auswandern des einen Ehegatten eine Ehescheidung voran, so wird das gemeinschaftliche Vermögen nach den Landesgesetzen auf die gewöhnliche Weise geteilt.

Aber auch, wenn die Ehe durch den Wegzug des Ehegatten nicht getrennt wird, ist zwischen beiden Ehegatten eine, jedoch bloß interimistische Vermögensteilung, durch welche jedem Teil seine Illaten (eingebrachte Güter) und die Hälfte der Errungenschaft oder Einbuße zugeschrieben werden, vorzunehmen. Jedoch greift diese provisorische Teilung der Endteilung nach dem Tode des einen Ehegatten nicht vor und hebt die Gütergemeinschaft nicht auf.

§ 10.

Wenn die mit obrigkeitlicher Erlaubnis zurückbleibende Ehegattin aus ihrem und ihrer zurückbleibenden Kinder Vermögen nicht hinreichende Alimente zu ziehen vermag, so ist der wegziehende Ehegatte mittelst Zurücklassung eines Teils seines Vermögens, von dem er übrigens Eigentümer in jeder Rücksicht bleibt und das er nach Trennung der Ehe zu Folge der Rechte des ersten freien Zuges an sich zieht, nach orbrigkeitlicher Erkenntnis für Suppierung (Sorge tragen)der Alimente zu sorgen schuldig.

§ 11.

Ledige Leute, die allein auswandern wollen und noch Eltern haben, können es mit deren Bewilligung ohne Anstand tun. Der Widerspruch der Eltern kann sie nur dann hindern, wenn sie noch unter elterlicher Gewalt stehen.

Waisen bedürfen zur Auswanderung der Einwilligung der Pfleger nur bis zur Erreichung der Volljährigkeit, nachher aber folgen sie ihrem eigenen freien und als solchen hinlänglich erklärten Willen, wenngleich noch ihr Vermögen in pflegschaftlicher Administration stehen sollte. Pfleger können ohne Erlaubnis der Obrigkeit nicht in die Auswanderung einwilligen.

Ihr habt auch daher nach diesem Normativ in vorkommenden Fällen zu richten, bei entstehenden Zweifeln aber bei unserer Churfürstlichen Regierung untertänigst anzufragen.

 

Daran geschieht Unser Wille und Wir verbleiben euch in Gnaden gewogen.

 

Stuttgart, den 9.März 1804.

Ex speciali Resolutione Serenissismi Electoris

 

Untertänigste Anzeige der Churfürstlichen Regierung

 

Womit die Auswanderungstabellen 1. Über den Monat März dieses Jahres, 2. Über den Zeitraum vom 17. September bis 1. März d. J. uns vorgelegt werden. 4. April 1804.

 

Stuttgart Canzlei

Summarische Tabelle Ursachen der Auswanderung:

Mangel an
Nahrung u. Arbeit

verschuldete Vermögens-
umstände:

 

Hohe
Abgaben:

Wegen
Separatismus

Hoffnung
auf besseres Glück

Verbindung mit ausgew.
Verwandten

 


Aus versch.
Gründen

878 Pers.

132 Pers.

106 Pers.

61 Pers.

140 Pers.

60 Pers.

103 Pers.

 

Anzahl der Auswanderer

Summe des Vermögens

Fam.

Pers.

 

284

1480

77929 Fl.

 

Friedrich I (1754-1816)

Landesausstellung v. 22.9.06 – 7.2.07.:
Das Königreich Württemberg 1806 bis 1918 Katalog

Friedrich I. wog an die 200 kg bei einer Körpergröße von 211cm Napoleon war nur 153 cm groß.

Bei dem Zusammentreffen der beiden in Ludwigsburg am 3. Oktober 1805 ist folgendes Geplänkel der beiden überliefert:

 

Napoleon: "Ich wusste nicht, dass menschliche Haut so dehnbar ist."

Friedrich von Württemberg: "Und ich bin erstaunt, dass in einem so kleinen Kopf so viel Gift stecken kann."

 

Wilhelm Karl Friedrich I. kam am 6. November 1754 in Treptow an der Rega in Hinterpommern als Sohn von Herzog Friedrich Eugen von Württemberg und von Sophie Dorothee von Brandenburg-Schwedt zur Welt.

Von 1780 bis 1788 war er mit Prinzessin Auguste Karoline von Braunschweig-Wolfenbüttel verheiratet, die vier Kinder zur Welt brachte: Wilhelm I. (1781-1864), Katharina Friederike Sophie Dorothea (1783-1835), Augusta Sophia Dorothea Maria (1783-1784) und Paul Friedrich Karl August (1785 -1847). 1783 zog die Familie nach Russisch-Finnland, wo ihn Kaiserin Katharina II. Friedrich dort als Generalgouverneur einsetzte. Dieses Amt übte er bis 1788 aus. Die Ehe von Friedrich und Auguste war sehr schwierig und wurde deshalb geschieden. Herzogin Auguste lebte von da an in einem Schloss in Lettland, wo sie unter bis heute ungeklärten Umständen zu Tode kam. In zweiter Ehe vermählte sich Herzog Friedrich 1797 in London mit Prinzessin Charlotte Auguste Mathilde von Großbritannien und Irland, Tochter des Königs Georg III. und der Königin Charlotte. Er war der Schwager von Zar Alexander I. Dieser heiratete Friedrichs Schwester Sophie Dorothea.

 Nach dem Tod seines Vaters wurde Friedrich am 23. Dezember 1797 als Friedrich II. regierender Herzog von Württemberg. Im Mai 1803 bekam er die Kurfürstenwürde verliehen, erhielt im Zuge der Säkularisation und Mediatisierung große Gebiete und konnte sein Land bedeutend vergrößern. Die neu erworbenen Gebiete fasste er zunächst in einem eigenen Staat »Neuwürttemberg« zusammen, der von Ellwangen aus regiert wurde. Am 1. Januar 1806 nahm Kurfürst Friedrich die von Napoleon verliehene Königswürde an. Erneut kamen große Gebiete zum Land, das nun fast doppelt so groß war wie vor 1803. Mit harter Autorität trieb König Friedrich den Vereinigungsprozess der verschiedenen Gebiete voran, ohne viel Rücksicht auf deren Traditionen zu nehmen. Im russischen Feldzug Napoleons von 1812 kämpften etwa 12.000 württembergische Soldaten mit, von denen nur wenige hundert wieder zurück kamen. König Friedrich wechselte 1814 die Fronten und Württemberg beteiligte sich an den Kämpfen gegen Napoleon.

Am 30. Oktober 1816 starb König Friedrich in Stuttgart nach kurzer Krankheit. Er wurde in der Gruft von Schloss Ludwigsburg beigesetzt.

 

Reisen auf der Donau

Reisen vor 200 Jahren war mit Strapazen verbunden, die wir verwöhnten Kinder des 21. Jahrhunderts uns in keiner Weise vorstellen, geschweige denn nachvollziehen können. Mit der Postkutsche zu reisen war eine Tortur. Selbst mit den heutigen Fortbewegungsmitteln die damaligen Straßen, die diese Bezeichnung nicht verdienten, zu befahren, hätte Achsenbrüche zur Folge gehabt, es sei denn, man hatte einen Geländewagen. Und die Postkutschen, die wir heute nur noch in den Museen betrachten können, wie viele Rad – und Achsenbrüche hatten die wohl auf einer Reise?

In einer Reisebeschreibung* steht zu lesen: „Von Tübingen nach Ulm bediente ich mich einer Chaise mit 4 Pferden. Der Weg über Urach, Feldstetten und Blaubeuren war so schlimm, dass ich erst Abends in Ulm anlangte. Ich traf die Stadttore noch offen an, die sonst um diese Jahreszeit um 5 Uhr geschlossen und alsdann niemand mehr aus – noch eingelassen wird.“

Ihm wurde für die Fahrt nach Wien von der Postkutsche abgeraten, also nahm er die Schiffsreise auf sich. Er beschreibt das Schiff so (Auszug): „...Mitten auf dem Schiff steht ein kleines Haus, das von Brettern zusammengeschlagen und mit Brettern bedeckt ist. Dieses kleine Haus besteht aus zwei Zimmern. In das Vordere kommen die Reisenden, die von einiger Bedeutung sind. Auf jeder Seite des Zimmers ist ein kleines Fensterchen, durch das man hinausschauen kann. Zum Sitzen werden Bretter umhergelegt, darunter liegt die Bagage der Reisenden. Übernachtet wird meist nicht auf dem Schiff, sondern in einem Gasthof, dafür schlief die Besatzung in dem Zimmer.

In dem hinteren Zimmer ist das gemeine Volk. Es hat weder Ofen noch Fenster noch viele Bänke, sondern die meisten, die darinnen sind, sitzen oder liegen auf den Packen und Kisten herum, die die Schiffsleute hereinlegten. Es gibt auch Herrschaftsschiffe, die manchmal vornehme Herren für sich allein mieten, wenn sie mit Gemächlichkeit reisen wollen. Ein polnischer Edelmann, der zur gleichen Zeit wie ich reiste und von Paris kam, bezahlte für solch ein Schiff 200 Gulden.“

Von einem Luxus wie diesem konnten andere nur träumen. Seit 1712 wurden auf diesen Schiffen auch Auswanderer befördert, die dicht gedrängt auf diesen kleinen Schiffen ausharren mussten, bis sie ihr Ziel in Ungarn erreicht haben. Bis zu 150 (?) Menschen sollen darauf untergekommen sein.

1803 lud der russische Zar Alexander I. wie seine Großmutter Katharina II. auswanderungswillige Bauern und Handwerker aus den deutschen Ländern ein, sein am Schwarzen Meer von den Türken befreites Land zu besiedeln. Bis 1823 kamen 50 000 Menschen, die meisten nahmen den gut 2 000 km langen Landweg, ein großer Teil aber entschloß sich für den Wasserweg auf der Donau. Während jedoch auf dem Landweg Ackergerät, Vieh und etwas Hausrat mitgeführt werden konnte, durften die armen Menschen auf den Schiffen nur das Allernotwendigste mitnehmen.

Im „Klemens“, dem Kirchenblatt der Diözese Tiraspol, findet sich ein ausführlicher und anschaulicher Tagebuchbericht eines Auswanderers über seine 133 Tage dauernde Fahrt über die Donau und das Schwarze Meer bis Odessa und nach Quarantäneaufenthalten weiter nach Großliebental..

Friedrich Schwarz aus Kupferzell, so hieß dieser Auswanderer, unternahm die Reise mit 9 Kindern und brachte auch wirklich alle durch sämtliche Widrigkeiten während der Reise ans Ziel.

Er berichtet von vielen Toten während dieser Reise, über die Hälfte aller Auswanderer soll dabei umgekommen sein und die Kranken waren nicht zu zählen. Medizinische Versorgung gab es keine, Lebensmittel mussten sie bei Landaufenthalten selbst und teuer kaufen, ihr Essen über einem Lagerfeuer zubereiten und in mitgebrachten Zelten schlafen.

Sie waren ohne Schutz Stürmen und Regen ausgesetzt, völlig durchnässt und wegen der Enge auf den Schiffen gab es keine Möglichkeit zum Trocknen der Kleider.

Nachzulesen ist dieses einzigartige Dokument in dem Buch von Dr. Karl Stumpp: „Die Auswanderung aus Deutschland nach Russland in den Jahren 1763 bis 1862“.

Was waren das für Schiffe, die erst unter der Bezeichnung „Zille“ die Donau befuhren, dann als „Ulmer Schachtel“ sogar in die Geschichte eingegangen sind? Sie wurden ab 1570 gebaut und ersetzten die Flöße, mit denen Holz donauabwärts transportiert worden waren. Sie eigneten sich naturgemäß für den Waren – und Personentransport viel besser und ersetzten zudem den Zweck eines Floßes, indem sie nach ihrer Ankunft in Wien weiterverkauft oder zerlegt und als Bau – oder Brennholz verkauft wurden. Es ist auch die Rede davon, daß die Auswanderer, die späteren Donauschwaben, die im 18. Jahrhundert damit nach Ungarn fuhren, mit dem Holz der „Ulmer Schachteln“ in ihrem Siedlungsgebiet ihre ersten Häuser bauten.

Die Schiffe waren bis 22 Meter lang und drei Meter breit und beförderten im allgemeinen 40 Personen, es ist schwer vorstellbar, dass ein Boot mit solchen Ausmaßen 150 oder gar 300 Personen aufnehmen konnte und diese wochenlang darauf auszuharren imstande gewesen sein sollen, selbst wenn extra für diesen Zweck größere Boote gebaut worden wären.

* Beschreibung einer Reise von Tübingen nach Wien im Jahre 1769. Mit freundlicher Erlaubnis Stadtarchiv Ulm

 

Daß der Name „Ulmer Schachtel“ ausgerechnet in Stuttgart erfunden und anfangs von den Ulmern als Schimpfwort empfunden wurde, dürfte außerhalb Ulms nicht bekannt sein. Als nämlich im Landtag in Stuttgart eine Eingabe der Ulmer Schiffer um staatlichen Zuschuß für ihre Donauschifffahrt besprochen wurde, hieß es: „Für diese Schachteln haben wir kein Geld“! So wurde dies zusammen mit dem Schneider von Ulm und dem Ulmer Spatz zu einem geflügelten Wort und nicht zu vergessen mit dem Ulmer Münster und seinem höchsten Kirchturm der Welt zum Wahrzeichen Ulms. Zum guten Schluß sei noch an einen allgemein bekannten Zungenbrecher erinnert.

 

Abfahrt der Ulmer Schachtel in Ulm v. Prof. Michael Diemer
Standort: Stuttgart Restaurant Ketterer, Marienstraße

 

Reiseweg von Friedrich Schwarz
Bearbeitet von Dr. Karl Stumpp

 

>Auszug aus einem Bericht in der Zeitschrift „Klemes“, dem Mitteilungsblatt der Diözese Tiraspol
Erinnerungen aus der Einwanderung vor hundert Jahren

Kommentar der Redaktion von „Klemens“: „ Manchem Leser mag es erwünscht sein, Genaueres zu erfahren über die Hinreise der deutschen Kolonisten nach Russland vor hundert Jahren. Die Einwanderer benützten drei verschiedene Wege. Erstens zu Wasser die Donau hinunter über Galatz und Ismail nach Odessa. Zweitens zu Land über Brody und Radzililow, wo einige Kolonien mehrere Monate lang im Winterquartier zubringen mußten und drittens über Bjalystok und Grodno nach Jekaterinoslaw.

Von dem letzten Reiseweg berichtet recht anschaulich der Ansiedler Ernst Walther aus eigenem Erleben in einem längeren Bericht.“

(Der vollständige Bericht steht weiter unten im Archiv dieser Webseite).

…Das war die zweite Ansiedlung von Molotschaer Kolonisten im Jahre 1809. Von diesen zogen etliche weiter in die Krim, darunter Johann Andreas Römmele. Unter seinen hinterlassenen Papieren befindet sich ein Verzeichnis mit namentlicher Angabe der Ortschaften von seiner Heimat an bis Jekaterinoslaw. Es sind deren 42, so dass man diesen Reisezug auf der Landkarte genau verfolgen kann. Freilich sind manche Namen von ihm arg entstellt, besonders die polnischen und die russischen.

Am 14. Oktober verließ er samt seiner Frau und drei Kindern seinen Geburtsort Dühren im Großherzogtum Baden auf eigenem Fuhrwerk und kam über Heidelberg und Darmstadt nach Frankfurt/M. wo sich der gemeinsame Sammelplatz befand. Von da ging es über Erfurt, Weinau Leipzig zur polnischen Grenze bei Frankfurt/Oder. Von da über Schubzin, Labaschna nach Thorn und weiter zur russischen Grenze und Grodno. Die Reise in Russland erfolgte über Sluzk, Tschernow, Priluki , Gorota, Krementschug bis Jekaterinoslaw um nur einige zu nennen.“

Die unendlichen Weiten Russlands waren dünn besiedelt und bei einer Tageskilometerleistung von durchschnittlich 20 km wurde von den Einwanderern nicht jeden Tag eine Ortschaft mit Brunnen erreicht. Wasser war bei dieser Reise die größte Kostbarkeit. So gesehen war es gut, dass das Jahr 1809 kein sehr trockenes Jahr war und viel Regen fiel, der jedoch wiederum das Vorwärtskommen behinderte. Die Menschen konnten sich ihr Wasser rationieren, das Vieh jedoch, das sie mit sich trieben und worauf sie auf Gedeih und Verderben angewiesen waren, verlangte sein Recht und blieb ohne Wasser einfach stehen. Keine leichte Aufgabe für Jakob, die Wasservorräte einzuteilen und gerecht zu verteilen.

Bedenkt man ferner, dass diese Menschen schon in der Heimat ein bescheidenes Leben führten, bei ihrer Ernährung wahrlich nicht verwöhnt waren und sich nun auf dieser beschwerlichen,

2 000 km langen Reise noch mehr einschränken mussten, so können wir, die wir im Vergleich zu damals in einer unvorstellbaren Überflußgesellschaft leben, nur den „Hut von ihnen ziehen“.

Dabei ist mit großer Sicherheit anzunehmen, dass sie neben den Poststraßen möglichst einen der sogenannten Tschumakenwege benutzten, deren es mehrere gab und die immer in den Süden nach Perekop am Schwarzen Meer führten. Dort wurde aus dem Meerwasser, das einen extrem hohen Salzgehalt aufwies, Salz in so großen Mengen gewonnen, so dass von hier aus fast ganz Russland damit versorgt werden konnte. Die Tschumaken waren die Fuhrleute, die dieses Salz in alle Teile Russlands beförderten. Ihre Karren waren einfach, aber robust konstruiert, mit vier bis sechs Ochsen bespannt und sollen mit bis zu zwei Tonnen Salz beladen gewesen sein. (?) Im Frühjahr starteten sie, mit Gütern beladen, die sie in den Städten am Wege ablieferten, in Richtung Süden und kehrten im Herbst, mit Salz beladen, in den Norden zurück.

Der Tschumakenweg war bis zu zwei Werst breit. Er bestand aus dem eigentlichen Fahrweg und einem breiten Rasengürtel auf jeder Seite. Nur darauf durften sie ihre Zugtiere weiden lassen. Hielten sich die Tschumaken nicht daran, gab es Ärger mit den Bauern oder den Gutsbesitzern, auf deren Wiesen die Tiere mehr und besseres Futter finden konnten.

Sie reisten immer in Kolonnen von zwanzig bis vierzig Fuhrwerken und bildeten in den Ruhepausen eine viereckige Wagenburg, um sich so besser gegen Überfälle zu schützen.

So war es nur logisch, dass unsere Auswanderer diesen Umweg über Grodno weit im Norden auf sich nahmen, bessere und ebenere Wegeverhältnisse hatten als die übrigen Auswanderer, die den Weg über Sachsen und Südpolen wählten. Anders als diese hatten sie in Südrichtung weniger Flußläufe zu überqueren. Die Aussicht auf ein besseres Leben am Zielort in der neuen Heimat ließ sie die Strapazen leichter ertragen. Hätten sie jedoch gewußt, was sie dort erwartete, sie wären auf der Stelle umgekehrt und in ihre Heimat zurückgegangen.

(Übernommen von meinem Buch „Lebendige Ahnen S. 51)

 

Die Mutterkolonien

Als Mutterkolonien werden die deutschen Dörfer im Schwarzmeergebiet bezeichnet, die von den etwa 50 000 eingewanderten deutschen Kolonisten in der Zeit von 1800 bis 1818 in den verschiedenen Siedlungsgebieten gegründet worden waren.

In dieser Karte aus dem Jahre 1816 sind alle diese Dörfer, etwa 200 an der Zahl, eingezeichnet.

Darin ist deutlich erkennbar, dass das am dichtesten besiedelte Gebiet an der Molotschna liegt. Dort wurden 44 mennonitische und 22 ev. – kath. deutsche Kolonistendörfer gegründet.

 

Privilegien

Am 20. Februar 1804 wurde das Manifest des Zaren Alexander I. veröffentlicht, in dem ausländische Siedler ins Land gerufen werden sollten, um das neu eroberte Gebiet Südrusslands, der heutigen Ukraine, Krim und Kaukasus, zu besiedeln, das dünn besiedelt war. In dem Manifest wurden den Siedlern Vergünstigungen wie Religionsfreiheit, Befreiung vom Militärdienst, Zuteilung von 60 Hektar Land, Unterstützung zur Anschaffung von landwirtschaftlichen Geräten, zum Bau von Häusern usw. Die Ansiedler sollten der einheimischen Bevölkerung „in ländlichen Beschäftigungen und Handwerken als Beispiel dienen“.

Diesem Manifest gingen Richtlinien voraus, die der Generalgouverneur Richelieu unter Beteiligung und Beratung von Contenius dem Zaren vorlegte, denen dieser zustimmte und damit wurde die Grundlage für das Edikt des Zaren geschaffen, das im Erscheinungsjahr 1804 dann die große Einwanderungswelle auslöste.

Das Expose von Richelieu/Contenius beginnt mit folgenden Sätzen:

„Die Berufung von Kolonisten geschah und geschieht bis jetzt auf Grund des Manifestes von 1763. Dies enthält keine Beschränkung darüber, was für Leute anzunehmen sind, sondern bezieht sich im Allgemeinen auf jeden Beruf und Stand. Deshalb kamen anfangs auch viele schlechte und größtenteils sehr arme Wirte, welche dem Staat bis jetzt wenig Nutzen gebracht haben. Die Saratowschen und einige der neurussischen Kolonien bestätigen die Wahrheit dessen. Soweit man urtheilen kann, sind auch die jetzigen Einladungen durch Ziegler und Escher ohne Auswahl erfolgt . Aus den Beschreibungen der durch Ersteren gebrachten Kolonisten ist ersichtlich, dass sich unter ihnen viele unnöthige Handwerker, Hinfällige, Schwächliche, alleinstehende und sogar mit veralteten Krankheiten Behaftete befinden, wobei hinzuzufügen ist, dass der größere Teil von ihnen äußerst arm ist.“

Im Hauptstaatsarchiv Stuttgart findet sich ein Originalexemplar einer Werbeschrift aus dem Jahre 1803, also noch ein Jahr vor der Bekanntmachung des Manifestes des Zaren. Der oben erwähnte Kommissar Ziegler residierte in Ulm und ließ wahllos auswanderungswillige Untertanen in den deutschen Fürstentümern anwerben. So hatte er z.B. in Cannstatt bei Stuttgart drei Unteragenten, die für ihn agierten und Auswanderer anwarben. Diese drei wurden denunziert, jedoch in der Nacht vor dem Verhör bei der Polizei in Waiblingen (bei Stuttgart), obwohl sie eidesstattlich versichert hatten, dort zu erscheinen und deshalb nicht verhaftet worden waren, verschwanden sie auf Nimmerwiedersehen. Einer der drei, der Wagner Friedrich Widmann, hat es geschafft und ließ sich in Odessa nieder.

 

Privilegien der Kolonisten, die in den südlichen Provinzen des Russischen Reiches angesiedelt sind

1. Glaubensfreiheit in allen Stücken.

2. Von Abgaben und allerley Behörden auf zehn Jahre befreyt.

3. Nach Verlauf dieser zehn Jahre sind sie denen russischen Untertanen, wo sie angesiedelt sind, gleich, sowohl in Ansetzung der Abgaben als auch allen Beschwerden, denen diese letzteren unterworfen sind ausgenommen der Einquartierung der Truppen, welcher sie nur in dem Fall unterworfen sind, wenn die Militärkommandos durchmarschieren müssen.

4. Niemand wird wider seinem Willen weder in Kriegs - noch in Zivildienste genommen, es ist aber einem jeden erlaubt, freiwillig in Kronsdienste zu treten, dennoch befreyet ihn dies nicht von der Bezahlung seiner Schulden an die Hohe Krone.

5. Die Bezahlung der von der Krone zum Vorschuß ausgezahlten Gelder wird nach Verlauf der Freyjahre auf folgende zehn Jahre verteilt.

6. Bey ihrem Etablissement ist es ihnen erlaubt, ihre Güter, sie mögen bestehen aus was sie wollen, ohne Zoll in das Reich zu bringen und ausserdem einmal für allemal kann jeder Familie (darunter wird ein Mann und eine Frau mit Kindern oder zwei erwachsenen Arbeitern oder vier Weibspersonen verstanden) Waren im Verkauf auf 300 Rubel an Werth zollfrei einführen.

7. Einem jeden steht es frey, zu jeder Zeit nach Belieben wieder aus dem Russischrn Reich zu reisen mit der Bedingung aber, dass er außer den Kronsschulden die Abgaben von drei Jahren auf einmal in die Kronskasse entrichten muss.

8. Es ist den Colonisten erlaubt, Fabriken anzulegen und andere nöthige Gewerbe zu treiben, den Handel zu führen, sich in Gilden und Zünfte einschreiben zu lassen und im ganzen Reich ihre Produkte zu verkaufen.

 

Anmerkung

Alle ausländischen Kolonisten erhalten bei ihrem Etablissement Kronsland unentgeltlich in verschiedenen Proportionen in Rücksicht der Zahl Desjatinen auf jede Familie nämlich von 30 bis zu 80 Desjatinen, ausserdem schießt man ihnen Geld zur Reise und zum Etablissement vor. Die Abgabe aber, die sie nach Verlauf der Freyjahre zu entrichten haben, bestehen im Grunde nemlich 15 bis 20 Kopeken jährlich per Desjatine, außerdem müssen sie alsdann noch die gewöhnlichen Lands -Polizey - Beschwerden mittragen.

1. Ein Rubel thut achtzehn Batzen.

2. Ein Desjatin ist ein Morgen Land.

3. Ein Kopek macht weniger als einen Kreuzer, dann 100 Kopeken thun achtzehn Batzen.

Commissair F. Ziegler

Außerdem findet in diesem Zusammenhang sich im Hauptstaatsarchiv Stuttgart ein „Auszug der Beschreibung des Ansiedlungslandes“, wohl in Zusammenhang mit den Werbebemühungen von Ziegler.

„Die Ansiedlungsgegend liegt zwischen 46 und 48 Grad nördl. Breite am Dnjestrfluß und heißt Botholien - vormals Polnisch - und grenzt von Mitternacht an den Bogfluß, von Mittag an den Dnjestrfluß, von Morgen an den See Teliglol und gegen Oczakow hin an den Dnjestrfluß, von der Abendseite her aber an Wolinien, hat hinlänglich Wasser und Waldung, bringt alle Arten von Getreide hervor. Der fruchtbare Baum kommt gut fort, wenn solcher gepflanzt wird, insoderheit aber bringt das Land guten Tabak, Melonen, Wein und Safran hervor, hat große und gute Schafe, an Pferden und allerlei Hornvieh ist kein Mangel, hat auch allerlei Wildbret und Vögel, sehr viele Bienen und wer den Tabakbau, Wein - oder Rebenbau gut versteht und mit der Bienenzucht gut umzugehen weiß, kann viel Geld gewinnen. Die Luft wird immer durch die Morgenwinde rein und gesund erhalten.

Fidem copie (Getreue Abschrift) Friederich Justizoberamtmann zu Waiblingen.

 

Staatsrat Contenius, Wohltäter der deutschen Kolonisten in Neurussland

Hätte es einen Contenius nicht gegeben, wer weiß, was aus den deutschen Kolonien in Russland geworden wäre. Er war der richtige Mann an der richtigen Stelle.

In Westfalen im Jahre 1850 geboren, nahm Samuel Contenius nach seinem Studium eine Stelle als Hauslehrer bei einer reichen adligen Familie in Russland an. Im Alter von 37 Jahren trat er im Jahre 1785 in den russischen Staatsdienst, arbeitete sich nach oben und wurde bei der Gründung des „Vormundschaftskontors für die ausländischen Ansiedler in Jekaterinoslaw“ im Jahre 1800 mit dessen Leitung beauftragt. Sein Titel war Oberrichter und Staatsrat. Vorher schon hatte er die bereits bestehenden deutschen Kolonien bereist, inspiziert und beraten, die nach der Vertreibung der Türken auf dem Gebiet der heutigen Ukraine, damals Neurussland genannt, gegründet worden waren und dabei Erfahrungen gesammelt, die für ihn in seinem neuen Amt von unschätzbarem Wert waren. Er hatte Gelegenheit, die Entwicklung der Kolonien an der Wolga zu verfolgen, um die es in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens nicht zum Besten stand. Dies war der Grund, daß eine seiner ersten Tätigkeiten in Zusammenarbeit mit anderen die Erstellung der „Instructionen“ war, einem eigenen Gesetzeswerk für die deutschen Kolonisten, mit dem Zweck, die bisher begangenen Fehler in den neu zu besiedelnden Gebieten zu vermeiden und um die innere Ordnung und die Selbstverwaltung der neuzugründenden Kolonien zu gewährleisten.

Es ging dann Schlag auf Schlag, ab dem Jahre 1803 kamen allein über 50 00 deutsche Einwanderer, deren Ansiedlung organisiert werden mußte. Contenius war ununterbrochen unterwegs, leitete diese Ansiedlungen in den verschiedensten Gebieten, die oft Hunderte von Kilometern auseinander lagen, persönlich. Dies allein war schon wegen der damaligen Wegeverhältnisse eine enorme Leistung. Er sorgte für das Fortkommen der Kolonien, indem er sie in allen Lebensbereichen beriet. Die ziemlich einheitlichen Dorfanlagen mit breiten Straßen sind auf seine Anordnung zurückzuführen (oft zeichnete er die Dorfpläne selbst) ebenso wie die Einrichtung von Reserveland, das meist als Schäfereiland verpachtet wurde, mit dessen Einnahmen in späteren Jahren für die Versorgung der Nachkommen in anderen Gebieten Russlands Land angekauft werden konnte. Auf seine Initiative geht die Bestimmung zurück, daß die Wirtschaften (so nannte man die Bauernhöfe) nicht geteilt werden durften. Er ließ in jedem Dorf ein Waldstück anlegen, denn er hatte erkannt, daß viel Wald das Klima günstig beeinflussen kann und dadurch vor allem mehr Regen fiel. Er sorgte für den Baumsamen, hatte aber viel Mühe mit den Bauern, denen die Baumzucht zu mühsam und zu langwierig war. Für die Schafzucht, die mit neuen Rassen einen gewaltigen Aufschwung nahm, war er ebenso verantwortlich wie für die Seidenzucht, die in einigen Gebieten für zusätzliches Einkommen sorgte. Er ließ verschiedene Getreidesorten ausprobieren, die ertragreichsten wurden verteilt, so war z. B der Winterweizen darunter. Die Dreifelderwirtschaft geht auf seine Veranlassung zurück. Düngung kannte man nicht, der anfallende Dung, mit Stroh vermischt, wurde zum Heizen gebraucht. Daß er die Selbstverwaltung der Kolonien durchsetzte, ist unstrittig. Es herrschte darin ein relativ einfaches demokratisches System. Es wurden nur die tüchtigsten und angesehensten Wirte zu Schulzen und Oberschulzen gewählt. Zu deren Versammlungen erschien er oft persönlich zum Erfahrungsaustausch. Die Liste seiner vorausschauenden Anordnungen könnte beliebig fortgeführt werden, nachzulesen sind sie im „Heimatbuch der Deutschen aus Russland 1958“ und einem sehr aufschlußreichen Buch von Albert Mauch: „Staatsrat Samuel Kontenius“. (Das einzige verfügbare Exemplar ist in der Universitätsbibliothek Tübingen zu finden).

Contenius konnte seine für die deutschen Kolonisten so segensreiche Tätigkeit bis zum Jahre 1818 fortführen. In diesem Jahr wurde das „Vormundschaftskontor“ umorganisiert und umgetauft in „Fürsorgekomitee für ausländische Ansiedler“. Contenius schied auf eigenen Wunsch und aus gesundheitlichen Gründen aus, sein Nachfolger wurde General Inzow. Auf Wunsch des Zaren Alexander I., der ihm den höchsten Orden, den Russland zu vergeben hatte, verlieh, blieb Contenius enger Berater von Inzow bis zu seinem Tode im Jahre 1830. In seinem Testament hinterließ er eine Stiftung von 15 000 Rubel zur Ausbildung von Lehrern und Geistlichen. Sein Andenken bewahrte die Kolonie Josephstal mit einem Denkmal und in Taurien wurde ein deutsches Dorf nach ihm benannt: Konteniusfeld.

Gerhard Walter

 

Kontenius

Das Original befindet sich im Heimatmuseun des Rayons Odessa.

In Öl gemalt von Johannes Niederhaus, einem Landsmann.

Das Grabdenkmal von Kontenius, fotografiert von Dr. Stumpp

Es war abgebrochen worden und verschollen.

Erst vor einigen Jahren wurde ein Teil davon durch dem Studenten, der auf dem obigen Foto abgebildet ist, im Schilf des Dnjepr wiedergefunden.

Es steht jetzt im Museum.

Bericht über die Auswanderung nach Russland im Jahre 1809 und die schwere Zeit der Ansiedlung im Schwarzmeergebiet

Im Jahre 1809 machten sich Tausende Familien auf die lange, beschwerliche Reise nach Russland in eine ungewisse Zukunft. Sie wollten den in ihrer Heimat herrschenden Zuständen wie Missernten, erhöhte Steuerabgaben, Kriegen, Fürstenwillkür u. a. entfliehen und vertrauten den Versprechungen und Lockungen, die im Auftrag des Zaren von Russland von Werbern verbreitet wurden.

Der Verlauf der gut 2 000 km langen Reise wäre immer im Dunkel der Vergangenheit verborgen geblieben, hätte es nicht einen Chronisten gegeben, der diese Reise mitgemacht und die anschließende Ansiedlung samt deren Entwicklung miterlebt hatte und dann anschaulich und präzise in einem langen Bericht veröffentlichte. Dieser schlummerte fast 150 Jahre lang in den Archiven in Russland und wurde dort wieder entdeckt und ich kann ihn jetzt zum ersten Mal in voller Länge veröffentlichen, nachdem ich ihn in meinem Buch gekürzt wiedergegeben hatte.

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Der Verfasser dieses Berichtes ist Ernst Walther, der Sohn von Jakob Walther, der im Jahre 1809 aus Baden mit seiner Familie nach Russland auswanderte, an der Molotschna 1810 gleich zum ersten Oberschulz bestimmt wurde und dessen Tätigkeit sowie gleichzeitig die erste Zeit der Ansiedlung ich anhand von Dokumenten aus den Archiven in der Ukraine anschaulich in meinem Buch beschreiben konnte. Ernst Walther war bei der Auswanderung vier Jahre alt. Es ist erstaunlich, wie er bei den damaligen Schulverhältnissen in Russland solch ein Gefühl für die deutsche Sprache entwickeln konnte, das ihn befähigte, diesen nachstehenden Bericht und weitere andere, die in dieser Webseite folgen werden, zu schreiben und zu veröffentlichen.

Zur näheren Erklärung müssen wir hier einen Zeitsprung von vierzig Jahren machen.

Im Jahre 1848 erließ der damalige Vorsitzende des Fürsorgekomitees, Staatsrat v. Hahn, einen Aufruf an alle Schulzen der deutschen Kolonien in Südrussland, in dem er von ihnen einen Bericht über die Entstehung, Entwicklung und gegenwärtigen Stand ihrer Gemeinden erbat. Es waren zu dieser Zeit etwa 200 an der Zahl und fast alle schickten ihre Berichte ein.

Nur ein Teil dieser „Gemeindeberichte“ wurde veröffentlicht, denn v. Hahn wurde bald darauf von seinem Posten abberufen und in ein Ministerium nach Moskau versetzt.

Ernst Walther verfaßte nicht nur alle Gemeindeberichte der Molotschnaer Kolonien (so nannte man das den Auswanderern um Jakob Walther später zugewiesene Ansiedlungsgebiet), sondern schrieb darüber hinaus die umfangreiche „Beschreibung des Molotschner Kolonistenbezirks“, die im Jahre 1849 im damaligen „Unterhaltungsblatt für deutsche Ansiedler im südlichen Russland“ veröffentlicht wurde.

Er beginnt mit einem Gedicht als Einleitung, die darauf folgenden ersten Absätze des Textes sind in einem für den heutigen Leser ungewohnten pathetischen Stil geschrieben, sollen aber ihrer Originalität wegen nicht verdrängt werden. Die damals übliche, für uns altertümlich anmutende Orthografie wurde bewusst beibehalten.

 

Beschreibung des molotschner Kolonistenbezirkes.
Zueignung

Euch, die mit thränenden Augen scheiden vom Lande der Väter,
bessere Tage zu suchen fern vom französischen Heer,
Hoffend, daß ihr dort entgeht der Verarmung schleichendem Gifte,
oder vom Unglück verfolgt, fliehet das heimische Land.
Euch zum erhebenden Trost, in freudig stiller Ergebung,
begleite mein betendes Lied, tief im Herzen gefühlt.
Ihr, die ihr im Vaterland nichts mehr habt zu verlieren,
Sucht in den Steppen Südrusslands, was euch die Heimat versagt;
Dort in Sicherheit nichts mehr fürchtet, nur hoffet vom Leben.
Oder auch ihr, die Tage der Noth sich schufen durch eigene Schuld,
Auszulöschen die Schande, abzubüßen den Vorwurf,
Reuig euch werft auf die Steppe, besserer Entschließung voll.
Jenen, die zum muthigen Streben; diesen, zur Sühnung und Gnade,
Erflehe mein Lied: jede beglückende Gabe des Himmels.

 

I. Auswanderung nach Südrussland i. J. 1809.
Ankunft und gastfreundliche Aufnahme in Russland.

Die Freiheitskriege der Franzosen hatten seit dem Jahre 1796-1805 die Rheinländer Deutschlands mehrmals mit ihren Siegespanieren (Fahnen überzogen), Einquartieren, durchmarschieren, rekrutieren, exekutieren (durch militärischen Zwang eintreiben), einkassieren, illuminieren (beleuchten), disponieren (verfügen), füsilieren (erschießen), - waren die schönen, hochklingenden Worte, die in den friedlichen Gauen Deutschlands angestaunt wurden.

Da uns von den Siegern versichert wurde, daß in diesen neuen Wörtern Glück, Weisheit, Aufklärung, mit einem Worte, die ganze Bestimmung des Menschen, ja der Himmel auf Erden enthalten sei, machten wir gutmüthig die Augen zu und sperrten den Mund um so weiter auf.

...Aufklärung, mit einem Worte, die ganze Bestimmung des Menschen, ja der Himmel auf Erden enthalten sei, machten wir gutmüthig die Augen zu und sperrten den Mund desto weiter auf. Es schüttelten wohl einige „Griesgrämer“ die Köpfe und wollten die Sache verdächtigen, weil die hohen Worte mit „iren“ endigten, erkühnten sich sogar Unglück aus denselben zu prophezeihen. Allein wir gaben unseren glänzenden Siegern mit Vergnügen Brot, Kleidung, Wein, ja sogar das Hemd vom Leibe für die schönen Versprechungen. „Brauchen wir doch nicht mehr“ hieß es, „unser ganzes Leben uns abmühen, Glück uns Seligkeit suchen.“ O! Solange wir noch was hatten, hörten wir oft: „Ah! Die Deutsch is sik ein braver Mann! Nur schad, daß nit aufgeklärt, aber wir maken bald ein klug Volk von die Deutsch.“ Um aber uns diesen Himmel zu öffnen, mußte die alte deutsche Reichsverfassung in ihren Grundfesten erschüttert werden und endlich, nach der Schlacht bei Austerlitz, wurde unter dem Schutze Frankreichs allen deutschen Albernheiten, wie man es nannte, der Garaus gemacht und dieselben auf immer des Landes verwiesen, die denn auch gutmütig, wie ein dienstloser Lehrer, ihr Bündel schnürten und, einer besseren Zeit harrend, in den Winkel krochen.

Der Frieden gab uns nun Zeit, auszuruhen und uns den Franzosenhimmel anzuschaun, allein die Siegesgöttin prangte längst in Paris in Gesellschaft ihrer würdigen Schwestern. Die Schuppen fielen uns allmählich von den Augen, von der neunkörnigen Nuß blieben uns nur viere: Einquartieren, rekrutieren, einkassieren und illuminieren (anzünden). Durch solche traurigen Folgen der uns vorgespiegelten Freiheit wurden viele Tausende in der Blüte der Jahre dahin gerafft, das stille häusliche Glück der Familien gestört und auf immer zerstört.

Die Auswanderungen nach Amerika, Preußen und Österreich hatten schon längst begonnen, aber Unbemittelte konnten so etwas nicht wagen. Da erscholl nach dem Frieden bei Tilsit in den deutschen Rheinlanden auf einmal eine Stimme aus dem fernen Osten, die rief: „Kommet her, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch eure Last erleichtern. Kommet her, die ihr hungrig seid, ich will mein Brot mit euch teilen. Kommet her, die ihr betrübt seid, ich will euch trösten. Kommet zu mir alle, die ihre Kinder lieben, ich will sie euch erhalten. Kommet und empfanget den Segen, womit der Herr mich gesegnet hat.“

Diese Stimme, wer von uns kann sie je vergessen, kam von der Majestät des Kaisers Alexander Pawlowitsch, dem Engel des Vaterlandes, dem Friedensengel Europas. Die letzten, sinkenden Kräfte wurden neubelebt. Als strahlender Himmelsbote trat der Aufruf des menschenfreundlichen Monarchen vor die Hütte der Armuth, die Stätte des Elends, die frohe Botschaft zu verkünden, welcher wir mit Freudentränen zujauchzten. „Ach Gott, wenns nur auch wahr ist,“ seufzte die Armuth mit ungläubigem Kopfschütteln, wir wären längst in die entfernteste Wüste gewandert, wie viele unserer Brüder, wenn es uns nicht an Kraft gebräche“.

Der Kaufmann Bethmann in Frankfurt am Main hörte mitleidig dem Gespräch seiner armen Landsleute zu und sprach: „Seht, liebe Leute! Diese Nacht ist Euch von Osten dieser Trost zugegangen.“

„Was ists, was?“ fragte die Neugier hastig. „Ein Papier, gedruckt in deutscher Schrift aus Russland“ war die zauberisch klingende Antwort.

Wie waren die da entzückt und mit welcher Begeisterung lasen wir die in Russland deutsch gedruckten Worte:

Allgemeine Reglements: Die Aufnahme fremder Kolonisten in Russland betreffend.

1. Die zur Aufnahme der Kolonisten bestimmte Gegend, ist die Provinz Russland, welche aus den Gouvernements von Cherson, Taurien und Jekaterinoslaw besteht und sich vom Dnjepr bis an das Schwarze Meer erstreckt.

2. Diese Niederlassungen sollen ausschließlich von Leuten gebildet werden, welche in jenen Ländern nützlich sein können. Dergleichen sind gute Ackersleute, erfahrene Weinbauern; Leute, welche die Baum - und Viehzucht verstehen, und die mit einem Worte, von allem, was die Landwirtschaft in sich begreift, gründliche Kenntnisse besitzen. Ferner, die auf dem Lande nöthigen Handwerker, als: Zimmerleute, Schreiner, Müller, Weber, Maurer, Wagner usw. Andere Handwerker und Künstler, die nicht von anerkanntem und entschiedenem Nutzen sind, und die sich also nicht leicht in den Dörfern ernähren können, sollen nicht zugelassen werden.

3. Da es Grundsatz ist, keine anlockende Mittel anzuwenden, so wird man keine besonderen Kommissäre aufstellen, um die Kolonisten einzuladen, sich in Russland niederzulassen. alle diejenigen, welche diesen Wunsch hegen, können sich bei den Ministern, Residenten, Geschäftsträgern oder Konsulen Sr. Majestät im Auslande melden, welche ihnen, nach eingeholten Erkundigungen über ihre Umstände und Aufführung, die nötigen Reisepässe nach der russischen Grenze erteilen werden, wo ihnen vermittelst derselben freier Eingang gestattet ist.

4. Jeder Fremde, der als Kolonist sich nach Russland zu begeben entschlossen ist, und sich bei einem auswärtigen Agenten Sr. Majestät meldet, ist gehalten, durch ein gerichtliches Zeugnis zu beweisen, daß er ein guter Landwirt ist, und die auf ihm haftenden Lasten und Schulden berichtiget hat; Ohne diese Formalität soll niemand zugelassen werden.

5. Wenn mehrere Familienväter übereingekommen sind, sich zusammen in Russland zu etablieren (niederzulassen), so ist es ihnen erlaubt, eine oder mehrere Personen aus ihrer Mitte vorauszuschicken, um das für sie bestimmte Land und dessen Eigenschaften zu beaugscheinigen und zu untersuchen.

6. Die Minister, Residenten, Geschäftsträger oder Konsulen Sr. Majestät sollen niemanden Geldvorschüsse machen, im Gegenteils sollen sie

7. diejenigen Perssosnen, welche sich bei ihnen melden, dazu anhalten, daß sie durch glaubwürdige Attestate oder annehmbare Bürgschaft ein Vermögen von wenigstens Fl. 300.-- in barem Gelde oder Waren, die sie mit sich nehmen, aufweisen. Diese Bedingung ist unerlässlich, denn die Erfahrung hat gelehrt, daß die Ansiedlung von Leuten, welche nicht etwa eigenes Vermögen mitbringen, nur sehr langsam und mit wenigem Erfolge von Statten gehet.

8. Sie sollen ferner darauf sehen, daß die Kolonisten, welche einwandern, Familienväter seien, und keine ledigen Personen zulassen, wenn sie sich nicht an eine Familie anschließt, die sie, als ihr angehörend, annimmt.

9. Da es einer Familie, die bloß aus Mann und Frau besteht, schwer fällt, sich zu ernähren und bis zu einem gewissen Grade von Wohlstand zu gelangen, wenn sie sich nicht besondere Arbeiter halten kann, so ist zu wünschen, daß solche Leute sich nicht in Russland niederlassen, sie müßten denn etwas eigenes Vermögen mit sich bringen.

10. Die Ausländer, welche unter diesen Bedingungen nach Russland auswandern, werden alle Rechte und Privilegien genießen, welche überhaupt den Kolonisten in den neurussischen Provinzen zugestanden sind, und namentlich folgende Vortheile als:

•  Freiheit der Religion

•  Befreiung von allen Abgaben und Lasten während der ersten zehn Jahre. Nach dem ablaufe und in den zehn folgenden Jahren sollen sie

•  der Krone jährlich eine Abgabe von 15 bis 20 Kopeken für die Desjatine Landes entrichten. Nach dieser zweiten zehnjährigen Zeitfrist werden sie die nämlichen Lasten tragen, welche allen denjenigen, welche in jener Gegend Kronsgüter besitzen, auferlegt sind. Nach Ablauf der Freijahre werden sie gleich allen russischen Unterthanen, unter denen sie wohnen, für ihren Theil zur Unterhaltung der ländlichen Polizei-Anstalten, als der Wege, der Posten usw. beitragen. Von militärischen Einquartierungen bleiben sie auf immer verschont, den einzigen Fall von Truppendurchzügen ausgenommen. Jeder Familie werden unentgeltlich 60 Desjatinen Ackerlandes und Wiesen (ungefähr 180 rheinländische Morgen) verliehen.

•  Befreiung vom Militär - und Zivildienst, wobei es ihnen jedoch frei steht, freiwillig dergleichen zu suchen und anzunehmen. Dieses spricht sie aber von denen der Krone schuldigen Steuern, noch der Rückzahlung von derselben erhaltenen Vorschüsse frei.

•  Die Rückzahlung wird in den zehn Jahren, welche auf die zehn gänzliche Freiheitsjahre folgen, stattfinden.

•  Von dem Tage der Ankunft der Kolonisten an der russischen Grenze, bis zu ihrer Ankunft an dem Orte ihrer Bestimmung, wird jeder erwachsenen Person täglich zehn, und jedem Kinde sechs Kopeken Zehrgeld verabreicht werden, dessen Rückzahlung nur von denen gefordert wird, welche allenfalls nach ihrem Vaterlande zurückkehren wünschen sollten.

•  Von ihrer Ankunft in der Kolonie bis zur ersten Ernte wird dieses Zehrgeld fortbezahlt, jedoch mit dem Unterschiede, daß die Empfänger gehalten sind, solches nebst den sonstigen Vorschüssen, die man ihnen im Fall sein wird, auf die oben erwähnte Weise zurückzuzahlen.

•  Zum Bau der Häuser, Ankauf des Viehs und der Ackergeräthschaften ist jeder Familie ein Vorschuß von 300 Rubeln bewilligt. Diese Summe wird bei denjenigen, welches eigenes Vermögen besitzen und die zu irgend einer nützlichen Unternehmung um Unterstützung nachsuchen, noch verstärkt werden.

•  Den Kolonisten ist er erlaubt, außer der zollfreien Einfuhr von Effecten, auch noch Waren für den Wert auf 300 Rubel auf die Familie, frei einzubringen. Unter einer Familie versteht man Mann und Frau mit den unerzogenen Kindern, oder zwei erwachsene Mannsleute oder vier Frauenspersonen.

k) Sollte ein Kolonist das Land zu verlassen wünschen, so steht es ihm frei, wenn er außer den Geldern, die er der Krone oder sonstigen schuldig ist, eine dreijährige Abgabe gemäß seinem Stande entrichtet.

l) Es ist jedem Kolonisten erlaubt, Fabriken anzulegen, nützliche Handwerke und Gewerbe zu treiben, sich in die Kaufmannsgilde oder Handwerkszünfte einschreiben zu lassen und seine Produkte im ganzen Reich zu verschließen.

m) Es ist dem Fremden erlaubt, in den Gouvernements von Neurussland Güter eigentümlich an sich zu kaufen und zu besitzen, ohne andere Auflagen davon zu bezahlen als diejenigen, so der vorige Eigenthümer nach den bestehenden Verordnungen entrichtete. Jeder Fremde aber, der dergleichen Güter gekauft hat, ist verbunden, wenn er sich wieder aus dem Lande begeben will, solche an Jemanden, der im Lande bleibt, zu verkaufen oder abzutreten.

n) Im Fall auswärtige Kolonisten sich in anderen Gouvernements auf Gütern niederlassen wollen, welche Particuliers (Privatpersonen) zugehören, so steht es ihnen frei und es ist solchen Gutsbesitzern erlaubt, sie nach willkürlich abzuschließenden Übereinkünften aufzunehmen, diese Kolonisten bleiben dem ungeachtet im Besitz ihrer obengenannten Privilegien und werden keine anderen Auflagen zu tragen haben als diejenigen, so ihre Grundherren, im Verhältnis dessen, was sie für ihre älteren Bauern zahlen, für sie an die Krone entrichten.

11. Um den Kolonisten alle Vortheile genießen zu lassen, ist für sie eine besondere Aufsicht unter dem Namen Vormundschafts - Kontor für Fremde, verordnet, welches für ihre Niederlassung eigens Sorge zu tragen verpflichtet ist.

12. Im Falle sich ein Kolonist des Ungehorsams gegen seine Oberen oder eines sonstigen Vergehens schuldig macht, soll er, nachdem eralles, was er der Krone schuldig ist, zurückbezahlt hat, über die Grenze gebracht werden.

Der gute Herr v. Bethmann in Frankfurt am Main hatte Tag und Nacht zu tun mit der Erteilung dieser Reisepässe nach Südrussland, Dank ihm! Es war ihm keine Mühe zuviel und er machte den Armen keine überflüssige Stunde Aufenthalt.

Begleitet von seinen Glückwünschen betraten wir, in Kolonnen geteilt, hoffnungsvoll den Weg, wie uns der Zufall zusammenführte. Wer kein Fuhrwerk hatte, lud seine Habe auf einen Schubkarren. Die Mutter band ihren Säugling oben darauf und spannte sich selbst mit einer Zugleine vor den Karren, während ein kleiner, 7-8jähriger Knabe, sich am Rock der Mutter haltend, nebenher trabte und dieselbe mit den Worten tröstete:„Mutter, muscht nit heule, komme mer bald zum Russema, der hot viel Brot und Salz. Gelt Mutter, dort finde uns d‘Franzosa nit, der Russema stoht vor de Thüre na un laßtse nit rei, derno derfemer unser eins selber esse!“

Jenseits Offenbach bei Frankfurt am Main, am sog. Wäldel, sah man unter dem Schatten der Bäume alltäglich mehrere Reisefertige gelagert, Fußgänger zu Fußgängern, Karrenschieber zu Karrenschiebern und Fuhrwerke zu Fuhrwerken gruppierten sich gesellschaftlich zusammen. Man sah Württemberger, Badener, Hessen, Pfälzer und Elsässer ein gemeinsames Ziel verfolgen. Jede Stunde erschallten die Begrüßungen hinzukommender und sich dem Zuge anschließender, alle von Herrn v. Bethmann mit Pässen versehener Auswanderer: Woher? Wohin? Schließen wir uns euch an, um mit euch unsere Hoffnungen zu theilen. Wischt den Staub aus den Augen und laßt uns gemeinschaftlich ziehen. Holla! Holla! Vorwärts!

Grodno war von den Bemittelten in mehreren Transporten wohlgemuth und bald, von den Armen aber mühselig und etwas später erreicht. Der freundschaftlichste Empfang von dem russischen Beamten, mit Darreichung der uns bestimmten Nahrungsgeldern bis Jekaterinoslaw, war höchst wohlthuend. Für unsere Armen und Kranken wurde besonders gesorgt: Fuhren für dieselben von einem Gouvernemente zum anderen wurden auf Rechnung der Hohen Krone gemiethet, um sie wohlbehalten nach Jekaterinoslaw zu bringen.

Unser Aufenthalt in Grodno ist und bleibt unvergeßlich. Freies Quartier, Reisegelder, die beste Behandlung, tägliche Besuche von verschiedenen hohen Herrschaften, die uns teils mehr Mut einflößten, teils reichlich unsere Armen unterstützten. Dank sei Dir, edler Geschäftsträger deines Vaterlandes. Dank den anderen edlen Seelen, die ihr uns liebreich aufnahmet.

Ja, in den Mauern Grodnos erst kamen wir zum Bewußtsein, zum Gefühl einer wehmütigen frohen Überzeugung, daß unsere Auswanderung einen Zweck haben müßte. Dankbar für den Geber alles Guten hielten wir im Auffahrtshofe bei Iwan Kulikowski ein Dankfest. Und nachdem wir unter Hinbringung eines fröhlichen Abends die Gesundheit Seiner Majestät, des Selbstherrschers aller Reußen ausgebracht, begannen wir des andern Morgens unsere Einwanderung.

Getheilt in Kolonnen, wovon jede ihren Anführer oder Obmann hatte, erreichten wir im Herbste des Jahres 1809, Im Verlaufe der Monate September, Oktober, November die Stadt Jekaterinoslaw. Einzelne Nachzügler, die auf der Reise durch Krankheiten oder Sterbefälle aufgehalten worden waren, trafen wohl auch noch einen oder mehrere Monate später ein. Die für uns zum Empfang und zur Ansiedlung bestimmte Behörde hatte hier ihren Sitz in der Eigenschaft eines Vormundschafts-Komptoirs für ausländische Ansiedler. Es läßt sich leicht denken, in welchem Zustande die an Reisen nicht gewöhnten und der Sprache unkundigen Leute in Jakaterinoslaw eintrafen. Manche hatten aus Unkenntnis des Geldkurses ihre paar Thaler eingebüßt, Anderen war ihr bischen Barschaft von polnischen Juden gestohlen. In vielen Familien hatte der Tod entweder die Mutter oder den Vater oder auch mehrere Kinder als Opfer gefordert. Krankheit und Tod betraf mehrenteils solche, die dem Einflusse ungewohnter Lebensweise unterlagen, denn die Bemittelten litten durchschnittlich am wenigsten. Die Kolonialverwaltung legte daher ihr Augenmerk hauptsächlich darauf, die Ankömmlinge in bestmögliche Einquartierung zu bringen. Die schon vor Ablauf des vorigen und im Anfange dieses Jahrhunderts eingewanderten und bereits angesiedelten Kolonistendörfer wurden zu unserer Aufnahme bestimmt als: Josefstal, Rybalsk, Großweide, der Chortitzer und Molotschnaer Mennonitenbezirk sowie auch einige Kolonien erster Ansiedlung molotschner Kolonisten, wobei die Vorsicht beachtet wurde, die früher Angekommenen nach den entfernteren Kolonien zu weisen, um die ärmeren Nachzügler in später Jahreszeit in der Nähe von Jekaterinoslaw unter der unmittelbaren Aufsicht des Komptoirs unterbringen zu können.

Unsere Armen fanden während der Winterquartiere nebst der von der Hohen Krone erhaltenen Unterstützung Gelegenheit, sich noch nebenbei einen kleinen Verdienst zu suchen und sich mit den nötigsten Orts – und Sprachkenntnissen zu bereichern, so wie auch manche Bekanntschaften zu machen, was für dieselben, beiläufig gesagt, sich später von nicht geringem Nutzen erwiesen hat. Die Bemittelten hatten Muße, die hier gebräuchlichen Wirtschaftsgeräthe zu prüfen, sich dieselben nach ihren Ansichten verfertigen zu lassen und Zugvieh anzukaufen, um mit dem Anfange des Frühlings die Ansiedlung mit Nachdruck zu beginnen.

Die durch Sterbefälle entstandenen Lücken wurden zwischen Witwern, Witwen und Jungfrauen größtenteils aufgefüllt, so daß in eigentlichem Sinne sehr wenig Verwaisete übrigblieben.

 

II. Erste Ansiedlung im Jahre 1805, die zweite in den Jahren 1809 und 1810

„Die schon im Jahre 1804 aus Preußpolen und Pommern eingewanderten etwa 250 Familien bestanden größtenteils ursprünglich aus Nassau-Usingern, Württembergern. Badenern und Rheinbaiern, die sich nur kurze Zeit, ja manche kaum ein Jahr, in Preußen niedergelassen hatten. Die damaligen Kriegsunruhen veranlaßten viele, sich vom Schauplatze der französischen Waffentätigkeit noch weiter zu entfernen. In größter Armuth hier angekommen, war es für die damalige Kolonialbehörde keine kleine Aufgabe, diese Leute in der damals noch öden Gegend zu erhalten und anzusiedeln. Ein großer Theil dieser Einwanderer waren in ihrem Vaterlande nicht Ackerbauern, sondern teils Winzer, teils herabgekommene oder schlechte Handwerker, einige gar Militärflüchtige und sonst unstät Umherziehende. Zu allem kam noch, daß sie einige Jahre mit Aus- und Einwandern zugebracht hatten, wodurch viele dem Einflusse des Müßigganges mit unbegreiflicher Sorglosigkeit unterlagen.

Der Herr Oberrichter des Jakaterinoslawschen Vormundschaftskomtoirs, der wirkliche Staatsrath Kontenius, gab sich alle mögliche Mühe mit diesen Leuten. Mehr durch väterliche Ermahnungen als durch Strenge wirkend, ließen seine Exzellenz dieselben in 8 Kolonien getheilt, sich ihrem Wunsche gemäß anbauen, nämlich Monthal, Neudorf und Rosenthal am rechten Ufer der Tschingul, Molotschna, Hoffental, Nassau, Weinau und Wasserau am rechten Ufer der Molotschna und verordnete, daß in drei dieser Dörfer zu einer Windmühle, in Molotschna aber eine Schmiede zum Besten der Ansiedler gebaut werde.

Die zweite, aus etwa 600 Familien bestehende Einwanderung vom Jahre 1809, traf diese erste Ansiedlung in einem höchst ärmlichen und größtentheils entmuthigenden Zustand an. Unter vorurteilsvollen Einbildungen brachten diese ersten Ansiedler uns später Ankommenden die sonderbarsten Klagen über das Klima und die Lage der Gegend vor. Viele derselben waren nicht ungeneigt, bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit weiter zu ziehen (und wenn es auch in die Türkei gewesen wäre), um ihren Begriffen gemäß ein Paradies zu finden, in welchem Milch und Honig fließt. Denn der Milchfluß, die Molotschna enthielt ja auch nur Wasser.

Es fehlte bei dieser gelähmten Geistesstimmung nicht an Betrügern, die unter dem Scheine wichtiger Geheimniskrämerei auf Unkosten der geblendeten Armen lebten. Auch unter den Neuangekommenen gab es leider mehrere, die von dieser Denkungsart angesteckt wurden und diesen Unsinn noch weiter ausdehnten. Hexen, Gespenster und Schätzegraben sollten endlich die Mittel liefern, um einen Zweck zu erreichen, den eigentlich niemand kannte. Man glaube nicht, daß diese Lächerlichkeiten zu jener Zeit von keiner Bedeutung waren oder von der Obrigkeit stillschweigend geduldet worden sind.

Unter den Neuangekommenen war der in Deutschland schon wegen schlechter Streiche entwichene Gottlieb Löffler der Hauptbetrüger. Durch diesen bekam der Glaube an Schätzegraben usw. einen solchen Einfluß auf viele Ansiedler, daß er die Aufmerksamkeit der obgedachten Bezirksverwaltung und des unlängst aus St. Petersburg angekommenen Herrn Pastors Söderholm auf sich lenkte. Der damalige Oberschulz J a k o b W a l t h e r, ein junger Mann von geläuterten Grundsätzen und richtigen Ansichten über die Bestimmung eines Ansiedlers als Christ und Untertan, hielt nach geschehener Untersuchung ein vielleicht zu strenges Gericht über mehr als 60 zunächst beteilige Personen: 2 – 4 Monate Zuchthausstrafe, Ruthenhiebe, gemeinschaftliche Arbeit, mit Androhung der Verschickung über die Grenze, bei Frauenspersonen Kirchenbuße, sollte dieses unsittliche, zum Müßiggange lockende Gespensterthum verscheuchen. Was auch zum Theil gelang, denn von dort an lebte dasselbe nur noch bei einigen Personen in der Verborgenheit.

Unter den neu eingewanderten Badenern, Württemberger und Elsässern waren viele Leute, die mit gutem Willen richtige Begriffe von der Landwirtschaft verbanden. Viele, die im Ausland theils eigene Landwirtschaften besaßen, teils als Knechte oder als Tagelöhner solche betreiben halfen. Die noch etwa mitgekommenen Holzschuhmacher, Korbflechter, Mäkler und sonstige Glücksritter waren an Zahl und Einfluß zu gering, als daß sie ihre Arbeitsscheu auf die größere und bessere Anzahl hätte übertragen können. Während der Zeit des Winterquartiers schlossen sich die Einwanderer aus verschiedenen Ländern einander näher und machten dadurch eine allgemeine Angleichung des Ansiedlungswesens möglich.

Auf Befehl des Komptoirs erwählten sich je 30 – 40 Familien eine Obmann, unter dessen Anführung sie im Frühling nach vollkommen freier Wahl sich die Plätze zu ihren künftigen Niederlassungen an dem ihnen angewiesenen rechten Ufer der Molotschna gen Westen, von den unbebauten Kronsländern selbst wählten. Dann wurde ein Bezirksvorsteher unter dem Namen Oberschulz gewählt und jeder Obmann tauschte seine Benennung gegen die eines Schulzen ein.

Die Bildung einer Gemeinde geschah meistens, wie der Zufall die Leute auf der Reise oder in den Quartieren zusammengeführt und befreundet hatte. Niemand dachte an Landsmannschaft oder an Religionsunterchied. Pfälzer, Elsässer, Badener, Württemberger, Hessen, mitunter einige Ungarn und Böhmen, Lutheraner Katholiken, Calvinisten hatten nur einen Zweck, den, sich nur bald in Besitze eigenen Landes zu sehen und man befolgte willig die Worte des seligen Kontenius an die Ältesten. Bei der Erwählung seines Ansiedlungsortes darf niemanden, aus irgend einem Grunde, ein Zwang angelegt werden. Ein jeder wähle selbst, wo es ihm gut däucht und beschuldige, wenn er einen Mißgriff getan hat, nachher niemanden.

Der Inspektor, Baron v. Üxcüll, welcher die im Jahre 1804 eingewanderten Ansiedler bisher beaufsichtigte, starb, und seine Stelle wurde dem Tierarzte Herrn Sieber übertragen.

Das nöthige Bauholz für die neue Ansiedlung war bereits angekauft, um mit Beginn des nächsten Frühjahrs auf Ort und Stelle befördert zu werden. Der Landmesser des Komptoirs, August Haustek, war zur Stelle, und in Gemeinschaft mit den Ältesten wurde die Lage des den Kolonisten angewiesenen Landes zunächst untersucht, um die zur Anlage der Dörfer sich eignenden Stellen zu ermitteln.

Der Inspektor, das Bezirksamt und der Landmesser hatten ihren Sitz in Prischib, wo von der ersten Ansiedlung her sich nur vier Wirte niedergelassen hatten. Nach einer Rathssitzung wurde mit Genehmigung von Herrn Kontenius, Excellenz, beschlossen, Prischib zum Hauptorte des neuen Kolonistenbezirks zu bestimmen, mit Wirtschaften der neuen Ansiedler zu vermehren und denselben nach dem Flusse Molotschna zu benennen, Die Bezirksschäferei aber im nordwestlichen Winkel des Bezirks am Popwaja balka zu dem Zwecke zu begründen, die Ansiedler alljährlich mit den nötigen Sprungböcken zur Veredlung ihrer Landschafe zu versehen und dadurch die Zucht edler Schafe möglichst zu erleichtern.

 

III. Örtliche Beschreibung des molotschner Kolonistenbezirkes

Der Fluß Molotschna wird zunächst durch die Tokmak gebildet, welche 125 Werste östlich von hier im nordwestlichen Theile des mariupoler Kolonistenbezirkes, in mehreren Verzweigungen entspringt, ihren Lauf in unbedeutenden Krümmungen westlich wendet, und durch eine Menge kleiner Nebenthäler die sich in dieselbe münden, bereichert, einige Werste oberhalb ihrer Mündung drei Wassermühlen in nassen Jahrgängen oft 8 Monate lang speiset. Am Fuße des westlichen Thalufers bei der Kolonie Molotschna, nimmt sie die ihr in entgegengesetzter Richtung begegnende Tschingul auf , wodurch der Milchfluß (die Molotschna) gebildet wird, welche in südlicher Richtung durch ein 2 bis 4 Werst breites, in üppigem Pflanzenwuchse stehendes Tal sich schlängelt und nach einem Laufe von 70 Werst unweit des Asowschen Meeres als ein Steppenfluß sich im Sande verläuft.

Seine Überschwemmungen werden nur dann gefährlich, wenn bei vielem Schnee dieser in den Thälern Tokmak und Tschingul bei plötzlich eingetretenem Tauwetter schnell schmilzt. Oft aber geschieht es, daß das Schneewasser der Tschingul bei plötzlich eingetretenem Tauwetter und Molotschna schon abgeflossen ist, ehe die weiter entfernten Gewässer durch die Tokmak in die Molotschna fließen und unerwartet Überschwemmungen verursachen, die um so gefährlicher sind, je weniger man darauf rechnete und vorbereitet war. Längs des Thales der Molotschna auf der rechte Seite eine halbe Werst vom Flußbette entfernt, erstreckt sich das 300 Fuß hohe Thalufer, von dessen Gipfel an die Ebenen der Steppen des molotschner Kolonistenbezirks beginnt. Einige hundert, stellenweise kaum hundert Faden von dieser Anhöhe, spendet diese Ebene ihr Schnee - und Regenwasser schon nicht mehr der Molotschna, sondern führt dieselbe vermittelst der Konka, in welche es durch die Indekorin und die Thäler bei Blumenthal, Heidelberg und Grünthal fließt, in die etwa 50 - 60 Werst entlegen Thalfläche des Dnjepr. Es bestätigt sich auch hier eine in ganz Europa gemachte Bemerkung, daß Flüsse, die ihren Lauf von Nord nach Süd, Südwest oder Südost nehmen, in der Regel auf der rechten Seite ein hohes, steil aufsteigendes Ufer bilden, auf der Linken aber sich weit vom Lande her in sanfter Abdachung bis zum Flußbette neigen, während bei Flüssen, sie ihren Lauf von Süd nach Nord, Nordost oder Nordwest nehmen, der entgegengesetzte Fall eintritt, nämlich das rechte Ufer flach, das linke erhaben ist.

Das hohe Thalufer ist vom jetzigen Ufer des Flußbettes bisweilen eine Werst entfernt, doch sind deutliche Spuren wahrzunehmen, daß einst der Fluß sich dicht an jenem hingewunden hatte, und nur durch das, infolge vieljähriger Überschwemmungen herbeigeführte Flöz von seinem eigenen sandigen Ufer abgeleitet und zwischen beiden eine schöne, fruchtbare Thalfläche hervorgebracht wurde, welche durch das stete Zurücktreten des asowschen Meeres in ihrem Entstehen noch mehr begünstigt ward.

Die östliche Seite des molotschner Kolonistenbezirkes wird durch die Nebenflüsse Kukurlak und Tschingul und den Hauptfluß Molotschna begrenzt. Die Kukurlak entspringt am nördlichen Ende in mehreren Zweigen unter verschiedenen Namen auf dem Lande das Kronsdorfes Tokmak und vereinigt sich 15 Werst südlich bei der Kolonie Altmontal mit der Tschingul, welche in derselben Richtung nach 5 Wersten bei der Kolonie Molotschna anlangt, dort in einem gebogenen Winkel sich östlich wendet und etwa 400 Faden weiter am nördlichen Ende derselben Kolonie, sich mit der Tokmak vereinigt. Letztere verfolgt in derselben Richtung nach Süden ihren Lauf unter dem Namen Molotschna in unbedeutenden Krümmungen und bildet von dem Orte ihres Ursprungs an die natürliche Grenze zwischen dem Mennonitenbezirke an dem linken und dem Kolonistenbezirke an dem rechten Ufer. Nach dem Laufe von etwa 15 Wersten verläßt sie bei der Kolonie Durlach diesen Bezirk und bildet in derselben Richtung die Grenze zwischen dem Mennonitenbezirke linker und den früher hier wohnhaft gewesenen Duchoberen rechter Seite, dann bezeichnet sie die Grenze zwischen den Nogaiern auf dem linken, den russischen Kronsbauern und der Kreisstadt Melitopol auf dem rechten Ufer, bis sie sich nach einem Laufe von 70 Wersten unweit des Gutes Mordwinowka im ausgeworfenen Sande des asowschen Meeres verliert, gleichsam als wolle sie, ihrer milden Benennung eingedenk, sich nicht mit jenem salzigen Wasser vereinen. Nördlich grenzt dieser Bezirk an den Steppenfluß Kupanie, welcher westlich auf dem Lande der Frau Generalin Popow in die Konka mündet, an die Ländereien des Kronsdorfes Orechow, ehemals Sitz der Kreisbehörde, an das Gut Wasiliewka; der ganzen westlichen Länge nach, etwa 35 Werste, an die Grenze des Kronsdorfes Michailowka (welches ebenfalls in den Jahren 1809 und 1810 durch Einwanderer aus Klein - und Altrussland angesiedelt wurde), südlich etwa 25 Werste an die Ländereien der Duchoberen, heute von russischen Kronsbauern bewohnt. Dieses lange Viereck enthält 72 177 Desjatinen Landes, von welchen der Molotschna entlang der Gutsbesitzer Dubinski etwa 6 500 Desjatinen besaß, aber für die Deutschen der hohen Krone überließ und dafür eine andere Strecke Landes an der Tschtschomak zur Entschädigung erhielt. Mit wenigen Ausnahmen hat der Boden im ganzen Bezirke dieselbe Beschaffenheit. Die Unterlage besteht aus gelbem Lehm, der an einigen Stellen in aufrechtstehenden Geschieben, auf anderen gelagert, vorkommt und sich mit stellenweisen Ausnahmen bis auf den 15 bis 35 Fuß tiefen Wasserspiegel gleich bleibt. Daselbst, wo dieser Lehm auf er Wasserschicht eine hellere oder gar weiße Farbe annimmt und lettenartig (dem Töpfertone gleich von Sand, Kalk und Eisenteilen frei) wird, ist in der Regel das Wasser weniger salz - und salpeterhaltig, ja zuweilen dem aus Gebirgen entspringenden Quellwasser ähnlich. Die Oberfläche des Landes ist mit einer 1 ½ Arschin mächtigen Schicht schwarzer, meistenteils sandfreien, fruchtbaren Gartenerde bedeckt, welche durch das Verfaulen der im Verlaufe vieler Jahrhunderte gewachsenen und größtenteils unbenützt gebliebenen Pflanzen entstanden ist. Der Wuchs und die Gattungen des Grases sich im ganzen Bezirk beinahe gleich. Auf erhabenen Stellen zeigt sich ein kürzerer und dünnerer Wuchs als auf geeigneten Flächen und in Tälern. Die Hauptrolle spielt der Bocksbart, ein gutes und gesundes Weidegras für alle Viehgattungen, in Tälern stark unterwachsen mit der Quecke, die gemengt mit jenem oder auch für sich allein das beste Heu liefert. In feuchten Jahren findet sich öfter eine Art Steinklee mit gelber Blume, an Gestalt, Kraft und Wohlgeschmack der Luzerne ähnlich, als häufiges Zwischengras, welches dem zur rechten Zeit gewonnenen Heu einen besonderen Wert gibt. Es würde sich der Mühe lohnen, den Samen dieses in günstigen Jahren wildwachsenden Klees zu sammeln und zu künstlichen Wiesen zu benützen.

Arzneikräuter wachsen hier folgende: Süßholz, Wermuth, Rheinfarre, Engelsüß, Bittersüß, Thymian, Hauswurz, Feldkamillen, Johanniskraut, Wollblume (Königskerze), Schafgarbe, Eibisch oder Klatschrose. Sauerrampfer, Kletten, Quatten, Salbei, Beifuß, Enzian, Krauseminze, Pfefferminze, Tausendgüldenkraut, Feldkümmel, Wilder Meerretich u.a. von denen mehrere bei der Ansiedlung angewendet werden. Die sechs letztgenannten sind aber sind seit einigen Jahren beinahe ganz verschwunden.

Unter den hier wachsenden Giftpflanzen zeichnen sich besonders aus: Das Bilsenkraut, der Stechapfel, der Stierling. Der den Schafen so nachteilige Hahnenfuß ist hier selbst bei nassen Jahrgängen und in Niederungen eine seltene Erscheinung, während er in anderen Gegendenin lettenartigem Lehme selbst auf Anhöhen sehr häufig vorkommt und den Schaftbesitzern nicht selten große Verluste verursacht.

„Die Einwanderer trafen den Bezirk wild und öde an. Die Thalfläche der Molotschna war mit 1 Faden hohem Schilfrohr und anderen mächtigen Wasserpflanzen und Dornen (Schlehen) bewachsen. Ein schicklicher Wohnort für Wölfe, die damals noch die Gegend beherrschten und in nächtlicher Stille ein fürchterliches Geheule anstimmten, so daß es für einzelne Menschen nicht ratsam war, sich weit von den Wohnungen zu entfernen. Zur Nachtzeit, nicht selten auch am Tage, holten sie sich ihre Speise vom Gehöfte der Ansiedler. Es geschah zuweilen, daß ein Wolf auf dem Dache der Erdhütte zum Kamin hinein der Hausfrau zuschaute, wie sie dem abwesenden Manne das Abendbrot zubereitete.

 

IV. Die ersten Jahre der Niederlassungen

Die Steppe über dem Talufer war gänzlich unbewohnt und wurde nur von umherziehenden tartarischen Hirten (Nomaden) jährlich einige Male besucht, die den üppigen Wuchs des Grases nicht hemmten.

Noch bei der zweiten Ansiedlung haben solche Schäfer die Gegend besucht und mit Verwünschungen über Pflug, Grabscheit und Baumzucht durchzogen. Nach ihrem Bedürfnis ist ihnen eine lange Reihe von Jahren diese Gegend vom Urgroßvater her als ein Paradies vererbt gewesen und nun erschien ein in ihren Augen abscheuliches Volk, dessen Sprachlaute ihre Ohren widerlich berührte, um in „gesegneten Lande“ das Unterste nach oben zu kehren. Weder ihre Gebete noch ihre Verwünschungen wurden erhört, der Pflug zog Grenzen und zur Ansiedlung wurde im Frühjahr 1810 noch rasch geschritten.

Jeder Familie wurden 60 Desjatinen zugeteilt und von Seiten der Behörde ein Vorschuß bezahlt zur Anschaffung zweier Pferde, eines Wagens, einer Kuh und für Saatfrucht, die zum Theil aus weiter Ferne geholt werden mußte.

Damals kaufte man für 200 Rubel mehr als heute für 600 (1848). Bauholz zu einem 8 Faden (ca 15 m) langen und 4 Faden(ca 7,5 m) breiten Wohngebäude zur Stelle geschafft, bestand im Werthe von etwa 150 Rubeln.

Die im Frühjahr 1811 geringe und in Folge sehr schlechter Ackergeräthe bei der Wildheit des Bodens unvollkommen bestellte Aussaat traf noch obendrein ein trockener Sommer, so daß kaum der fünfte Theil der Ansiedler das Brot erntete.

Der in der Volkssage unter dem Namen „der französische“ bekannte Winter des Jahres 1812 war eben nicht geeignet, den noch größtenteils in Erdkellern wohnenden, solcher Ereignisse ungewohnten Ansiedlern Muth einzuflößen.

Ein bis sechs Wochen unausgesetztes Schneegestöber, abwechselnd mit 20° bis 26° Kälte, gegen welche ein deutscher Zwillichkittel nicht zu schützen vermochte, machte manchen vor der Zukunft erzittern. Die Mehrzahl wurde in ihren Hütten eingeschneit, so daß ein Ausweg nur durch das Kamin möglich war.

Das Getreide wurde im Ermangelung von Mühlen zum Theil roh gegessen. Der Frühling erfolgte spät. Aber unser Feind hatte bei Moskau sein Ende gefunden und in diesem Gedanken lag für uns eine Art wohltuender Entschädigung für die ausgestandenen Mühseligkeiten. Frisch ans Werk für Gott, den Kaiser und für das neue Vaterland war unsere Losung.

Das erste Jahrzehnt verging mit Entwicklung der dem Klima entsprechenden Kräfte und im Kampfe gegen die Einflüsse desselben. So gesund auch das hiesige Klima überhaupt sich bisher erwiesen, hatten doch die meisten Einwanderer eine mehr oder minder schwere Krankheit zu überstehen, wobei mancher erlag und früh ins Grab sank.

Die geringen landwirtschaftlichen Erzeugnisse der folgenden Jahre fanden selten einen einigermaßen die Baukosten deckenden Absatz, denn die ganze Gegend brachte zu wenig Erzeugnisse hervor, um damit Käufer anzulocken. Daher war man aus Mangel an Geld mehr auf den Tauschhandel angewiesen. Man gab zum Beispiel für ein Maß Kalkerde ein Maß Roggen, mengte deshalb oft Roggenmehl unter den Kalk zum Tünchen der Wohnungen. Für ein Pud (1 Pud =16 kg) Salz gab man 2 Pud Weizen usw. man fuhr 100 – 200 Werst, um ein Pud Weizenmehl für den hohen Preis von 1 Rubel zu verkaufen.

 

V. Das zweite Jahrzehnt war mit seltenen Ausnahmen dasselbe

Die Ackergeräthe waren in einem elenden Zustande. Pflüge und Wagen waren zuweilen von der lächerlichsten Zusammensetzung. Zum Beispiel ein kleinrussischer Unterpflug auf einem deutschen Karren, sogenannte Tschumakenräder am deutschen Wagengestell und umgekehrt. Die neuen Geräthe waren teils aus Übereilung, teils aus Mangel an geschickten Handwerkern, schlecht gerathen. Am besten waren noch die von den Mennoniten erhandelten Ackergeräthe. Weil dieselben aber alt und abgängig waren, veranlaßten sie bald eine zweite Auslage. Jedoch muß man gestehen, daß hinsichtlich des Ackerbaues die Kolonisten von den Mennoniten manchen Handgriff erlernt und vielseitige Hilfe erfahren haben. Daß jene theils schon vor Ablauf des vorigen und bei Beginn dieses Jahrhunderts als geschlossene und bemittelte Brüdergemeinden auf noch günstigere Vorrechte hin aus Preußen eingewanderten Leute, reich an mancherlei Erfahrungen, waren zu jener Zeit schon an Wirthschaftsgeräthe und Gebäuden so vorteilhaft eingerichtet, daß die Wünsche eines armen, ja so zu sagen vereinzelt dastehenden Kolonisten sich nicht von Ferne erkühnten, einst diesen Standpunkt erreichen zu können.

 

VI. Die gemeinschaftliche Schäferei befördert den Wohlstand der Ansiedler

Der Herr Oberrichter Contenius errichtete aus sieben derjenigen Wirte, welche sich in der Schafzucht auszeichneten, einen Verein zur Beförderung dieses wichtigen Erwerbszweiges. Welcher Verein unter dem Vorsitze eines Bezirksältesten sich jeden Monat auf der Hauptschäferei versammelte und mit dem Schafmeister sich über die Veredelung der gemeinschaftlichen und der den Ansiedlern gehörigen Schafe beratschlagten. Zu welchem Zwecke dem Vereine ein Leitfaden gegeben, sowie eine Sammlung der besten in deutscher Sprache erschienenen Werke über Schafzucht angeschafft wurde.

Schwierig war die Einführung feinwolliger Schafe. Die Mehrzahl der Einwohner hatte keinen Sinn dafür, besonders weil die Veredelung gemeiner Landschafe durch veredelte Sprungböcke mehrere Jahre erfordert, bevor die Nachzucht eine Wolle hervorbringt, welche um einige Rubel das Pud (ca. 16 kg) teurer verkauft werden konnte als die der gemeinen Schafe. Auch glaubte man, das edle Schaf werde in dieser Gegend entweder nicht gedeihen oder keine feine Wolle geben.

Nur einige bemittelte Wirte ließen sich bewegen, den Anfang zu machen und das mehr aus Gefälligkeit gegen ihre hohen Vorgesetzten als aus Überzeugung, daß es ihnen vorteilhaft sein werde. Als aber in den Jahren 1814, 1815 und 1816 die einigermaßen gekräuselte Wolle zu 40, 50 bis 60 Rubel Banko von der Tuchfabrik aufgekauft wurde, fand die Einführung edler Schafe keine Gegner mehr, denn der mächtige Hebel Gewinn spornte jetzt alle Kräfte an, so daß es in diesem Bezirke im Jahre 1820 keinen Landwirt mehr gab, der nicht mehr oder weniger veredelte Schafe gehabt hätte.

Der Erlös aus der Wolle war nicht der einzige Vorteil, den die Ansiedler von der Schafzucht bezogen. Die Felle der gefallenen (denn derselben zu schlachten hätte man für einen unverzeihlichen Mord gehalten)gaben eine warme, dauerhafte und nach damaligen Verhältnissen kostbare Kleidung, um die man sich beneidete. Und wer in einem vollständigen Pelzkleide einherschreiten konnte, hatte Ansprüche, die gegenwärtig eine teure Tuchkleidung sich nicht einfallen lassen darf.

Als im Jahre 1827 die veredelte Wolle beinahe ganz ohne Nachfrage blieb oder zu Spottpreisen verkauft wurde, entstand eine allgemeine Entmutigung, weshalb auf Verfügung Sr. Exzellenz des Herrn Contenius im Jahre 1828 von den beiden Molotschner und Chortitzer Bezirke zu 30 Pud, in allem 90 Pud rückengewaschener Wolle über St. Petersburg nach London an Herrn Ahlen geschickt und dort dass Pud um 22 Kopeken Banko höher geschätzt wurde als die spanische Wolle. Die Beschaffenheit der Wolle wurde sehr belobt, aber eben so sehr die Wäsche getadelt.

In Folge dieser Ereignisse nahmen seine Exzellenz die Gelegenheit, mit den versammelten Schulzenämtern der gedachten Bezirke erschöpfend über diesen Gegenstand zu sprechen unter andern: “Es ist leicht möglich, daß ihr für die Zukunft niemals oder sehr selten hohe Preise erhalten werdet und zwar schon aus dem Grunde, weil die Schafe bei euch größtenteils durch beengte Stallung unrein gehalten sind, wodurch die Wolle ein dem Käufer nachteiliges Gewicht erhält, so daß ein Pud Schweißwolle in der Fabrikwäsche kaum 14 Pfund liefert, während die Gutsbesitzer eine für den Bedarf hinreichende Wolle erzeugen, welche bis 18 Pfund vom Pud in jener Wäsche gibt.

Daraus geht hervor, daß eure Wolle auch bei zunehmender noch niedrig im Preise sein wird. Deshalb ist mein Rat: weniger Schafe zu halten und denselben eine bessere Pflege angedeihen zu lassen, um dadurch mit vermindertem Kostenaufwand von 60 Schafen eine ebenso starke und dabei gewissere Einnahme zu sichern, als bisher von 100 Stück geschehen ist.

Eure Bevölkerung wächst, aber nicht das euch zugeteilte Land, seid deshalb jetzt schon auf andere, vorteilbringende Erwerbszweige bedacht, gegen welche nicht ein jeder zu Eurem Nachteil im Großen arbeiten kann.

Der Getreideanbau muß durch Einführung der Brache einer Sicherheit unterworfen sein. Ihr kommt bald dem Zeitpunkte nahe, wo ihr zu 30 Desjatinen Landes unter dem Pfluge haben und davon 10 Desjatinen abwechselnd schwarz brachen, Rindvieh und Pferde aber auf die Hälfte oder gar ein Drittel der gegenwärtigen Anzahl und zwar auf Stallfütterung beschränken müßt und nur die Schafe und das Jährlingsvieh noch auf die Weide gehen lassen dürfet.

Maulbeerbäume und derlei Hecken solltet ihr jetzt schon anpflanzen, wo sich nur Raum und Gelegenheit dazu darbietet, damit in einigen Jahren mit geringer Mühe und ohne großen Kostenaufwand ein jeder so viel oder noch mehr an Seide gewinnen kann, als es bisher mit weit mehr Gefahr des Verlustes bei den edlen Schafen der Fall war.

Tüchtige Handwerker, überhaupt Gewerbsamkeit ist notwendig. Die Umgegend erwacht aus ihrem Schlummer, seht um euch her. Rund um in der ganzen Gegend ist alles rege, tätige Hände bebauen die öden Steppen, mit den Erzeugnissen wachsen die Bedürfnisse. Ihr werdet nach Maßgabe davon Vorteil ziehen in so fern ihr danach strebt, fremde Bedürfnisse zu befriedigen.“

Diesen klaren Blick des seligen Contenius in die Zukunft hat die Zeit hinlänglich gerechtfertigt und viele von der Nützlichkeit ja Unerläßlichkeit der Vorschläge überzeugt, aber mit der Ausführung hinkt es noch an vielen Orten. Denn so lange die Obrigkeit mit Leidwesen uns zu unserem Besten zwingen muß, wird nicht der zehnte Teil der Vorteile erreicht, welche bei gutem Willen erzielt werden könnten, ja oft schlägt das mit Widerwillen gemachte ganz fehl und gerne möchte man damit die Möglichkeit der Ausführung widerlegen.

Sogar das nächtliche Weiden der Pferde ist in vielen Kolonien noch nicht eingestellt. Man schlage den Schaden, welcher den Feldfrüchten entsteht und nicht vermieden werden kann, nicht hoch an, aber auf den Wiesen um so höher und den durch das binnen 24 Stunden sechsmalige Aus - und Eintreiben der Pferde verursachten Nachteil am höchsten an. Rechne noch dazu die von der Nachhut entlaufenen und gestohlenen Pferde, so beläuft sich der Schaden im Verlaufe der letzten Jahre leicht auf eine Million Rubel Banko. Diese Million, die ist dahin durch den Hans Schlendrian.

Die gemeinschaftliche Schäferei hat ihren Zweck vollkommen erreicht und nur derselben haben es die Ansiedler dieses Bezirks zu verdanken, daß sie im Laufe der Zeit zu einigem Wohlstande gelangt sind. Ungerechnet sind die bedeutenden Summen, welche nach Abrechnung der gemeinschaftlichen Bauten und der Unterhaltung der gemeinschaftlichen Anlagen (Plantagen) in der Kasse der gemeinschaftlichen Schäferei noch im Überschusse sind, leistet dieselbe durch jährliche unentgeltliche Abgabe der Sprungstöre an die Kolonisten denselben eine durchschnittliche Ersparnis von 20 000 Rubel Banko. Auch haben wir es nur dieser Schäferei zu verdanken, daß die veredelte Wolle aller Schafe unserem ganzen Bezirke von gleichförmiger Beschaffenheit geworden ist und der bei uns nun einheimischen Schafrasse der Name hochedle Metis mit Recht beigelegt werden kann.

Als in den Jahren 1823 und 1824 Schwärme von Heuschrecken erschienen und nicht allein die Feldfrüchte, sondern auch den Rasen bis auf die Narbe verzehrten, die Gegend einem Brachfelde gleichmachte und die Strohbedachung der Wirtschaftsgebäude zum Futter des noch in geringer Anzahl erhaltenen Rindviehs dienen mußte, waren die Besorgnisse des seligen Contenius größer als die der Ansiedler.

Aber auch diese Ereignisse blieben nicht ohne Nutzen. Die Ansiedler lernten dadurch den Wert des Getreides auch bei wohlfeilen Preisen besser schätzen und zugleich die schon eingeführte allgemein eingeführte edle Schafzucht mehr zu würdigen. Denn nur der Erlös aus Metiswolle gewährte die Möglichkeit, die notwendigsten Bedürfnisse anzukaufen und der Besitz solcher Schafe erhielt allein den allgemeinen Kredit (das Vertrauen auf Zahlbarkeit).

Auf die Anordnung des Herrn Oberrichters Contenius wurde schon im Jahre 1806 zwischen den Kolonien Altnassasu und Weinau am Ufer der Molotschna eine solche Anlage begonnen und im Jahre 1810 mit dem neu angekommenen Gärtner Wilke besetzt, welcher durch seine Kenntnisse dazu fähig war und nach Bedürfnis vom Bezirksamte unterstützt wurde, um die schon vorhandenen Bäume in besseren Stand zu bringen und die Anlage zu erweitern. Der Hauptzweck dieser Anlage war, Baumschulen anzulegen, um die Ansiedler zu geringen Preisen oder auch umsonst mit veredelten Obstbäumen versorgen zu können.

Der eingangs genannte Begründer genoß schon im Jahre 1815 die Freude, bei seiner Anwesenheit im Augustmonate, die ersten reifen Äpfel und Birnen eigenhändig abzunehmen.

Eine jede landbesitzende Familie muß alljährlich mit einer Person 2 Tage daselbst unter Leitung des Gärtners arbeiten. Sittliche Vergehen werden ebenfalls mit Arbeiten in derselben Anlage belegt. Auf diese Weise haben die Leute Gelegenheit, die Baumpflanzung zu erlernen und um billigen Preis wohlgedeihliche Baumsetzlinge zu bekommen. Für das Gedeihen dieser Anlage verdanken wir dem Gärtner Wilke sehr viel.

Indessen ging es mit der Baumpflanzung weit langsamer, als mit als mit der Schafzucht, denn im ersten Jahrzehnt hatten die Ansiedler für des Lebens Nahrung und Nothdurft zu sorgen, daher weder Zeit noch Lust, für einen weit in der Zukunft liegenden Gewinn oder die Verschönerung ihrer Wohnorte bedacht zu sein, auch fehlte es an hinreichender Einfriedung der Bäume.

Der an Erlebnissen reiche Scharfblick des seligen Contenius hatte solches wohl eingesehen und deshalb durch väterliche Ermahnungen zunächst nur die Bemittelten aufgefordert, die Baumpflanzungen im Kleinen zu beginnen. Der Zweck wurde langsam aber sicher erreicht, denn es gab bald Leute, welche aus eigener Überzeugung auch andere überzeugten.

Es muß jedoch, leider, eingestanden werden, daß sowohl diese als andere vielseitige Bestrebungen Sr. Exzellenz um das Wohl seiner Untergebenen lange Zeit verkannt wurden. Eine solche Undankbarkeit könnte kaum eine Entschuldigung finden, wenn es nicht überhaupt eine gewöhnliche Erscheinung wäre, daß der unter viele geteilte Dank eine Last ist, wovon ein jeder glaubt, er habe nicht nötig, seinen Anteil zu entrichten.

Ungeachtet aller Hindernisse, welche Menschen, Zeit und Umstände in den Weg legten, erlebte der Greis noch manch frohe Stunde. Im Hinblick auf teilweise gelungene Bemühungen und bei alljährlicher Bereisung der Kolonien erntete er von manchem Ansiedler aufrichtigen Dank. Doch gereicht es uns zum Vorwurf, daß wir dem dahingeschiedenen Vater der Pflanzer in unserem Bezirk noch kein Denkmal errichtet haben.

Durch die Fürsorge der Behörde, der Ämter und der Gärtner Wilke, Böhm und Wunsch wurde unsere gemeinschaftliche Baumanlage auf eine alle Erwartungen übertreffenden Standpunkt gebracht und hat für die Verbreitung des Obstbaues und der Baumzucht überhaupt ebenso wohltätig auf die Ansiedler gewirkt, als die gemeinschaftliche Schäferei durch die Einführung und Verbreitung der veredelten Schafzucht.

 

VII. Die Kirche

Doch nicht allein für das äußere Wohlergehen der Ansiedler war die Kolonialverwaltung besorgt, auch das geistige Wohl der derselben lag ihr am Herzen, weil Polizei und Kirche, mit einem anderen Ausdrucke: Gesetz und Evangelium Hand in Hand gehen mußten, um diese, man möchte beinahe sagen etwas verwilderten Einwanderer nicht nur zu tüchtigen Landwirten, sondern auch zu Menschen und Christen heranzubilden.

Zu diesem Zwecke traf auf die Verfügung der Kolonialbehörde schon der Herr Pastor Sederholm aus St. Petersburg in der Molotschna ein. Das bereits angefangene Pfarrhaus wurde auf Rechnung der Regierung im Sommer 1813 beendigt und der Grundstein zu einer evangelischen Kirche gelegt, welche ebenfalls auf Kosten der Krone gebaut, aber erst im September 1822 eingeweiht wurde. Während dessen hatten die Ansiedler zur Erhöhung der Feierlichkeit auf eigene Kosten eine Orgel angeschafft. Im Jahre 1833 erforderte die Kirche eine außerordentliche Ausbesserung und an Stelle der früheren Holzbedachung wurde dieselbe mit Eisenblech gedeckt, wozu der selige Contenius in seinem Testamente ein Geschenk von 500 Rubel Banko vermacht hatte.

 

VIII. Handel und Gewerbe.
Wohlstand des Bezirkes.

Von diesem ist bis zum Jahre 1824 wenig zu sagen. Wo die Mittel kaum hinreichen, die nötigsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen, da kann Handel und Gewerbsamkeit nicht ins Leben treten. Diese Bedürfnisse werden größtenteils von den Krämern und Handwerkern der Mennoniten bezogen, von welchen sich mit der Zeit mehrere dadurch bereichert haben, weil dieselben nicht allein klugerweise Warenverkäufer, sondern wohltätig zugleich auch Abnehmer landwirtschaftlicher Erzeugnisse waren und noch sind. Während bei den Kolonisten die Eigentümer einiger seit mehreren Jahren errichteten Krambuden ruhig zuhause sitzen und abwarten, bis sich Käufer mit barem Gelde einfinden. So sehr auch der Mennonit die Bequemlichkeit liebt, ist er doch in vieler Hinsicht dem Kolonisten in Handelberechnungen weit überlegen.

In neuerer Zeit, so benenne ich die letztverflossenen 13 Jahre, hat sich der Zustand der Dinge ganz anders gestaltet. Vieles ist erwacht von dem man noch nicht wußte, daß es schläft.

Der sichere Absatz des Weizens in dem seit einigen Jahren in der Nähe errichteten Seehafens Berdjansk hat alle Kräfte dem Ackerbau zugewendet und der Betriebsamkeit einen unerwarteten Schwung gegeben. Bei dem Landwirte sind Bedürfnisse eingetreten, welche ihre Rückwirkung auf die Gewerbe wohltätig äußern. Als Getreidelieferanten haben einzelne sich im Laufe der Jahre schnell bereichert und sich, als Emporkömmlinge, nicht selten in gewagte Handelsunternehmungen eingelassen. Man könnte sagen, die Handelsberechnung hat sich vielleicht zu weit verstiegen.

An die Einrichtung einer zweckmäßigen sog. Schwarzen Bude im Hauptorte Molotschna, welche die nötigsten landwirtschaftlichen Bedürfnisse teils gegen bare Bezahlung, teils gegen Abnahme landwirtschaftlicher Erzeugnisse befriedigt, ist noch nicht ernstlich gedacht worden und wir beziehen deshalb immer noch für viele Tausende von Rubeln solche Gegenstände teils aus Tokmak von den Russen, teils von den Mennoniten. Wie es scheint, werden wir noch lange fortfahren, andere zu bereichern, und selbst aber dabei zurückzusetzen.

Auch an tüchtigen Handwerkern fehlt es uns noch. Nur Schmiede und Wagner mit wenigen Ausnahmen verdienen eine ehrenvolle Erwähnung. Dieselben entsprechen zwar nicht an Zahl, aber an Tüchtigkeit dem Bedürfnisse der Zeit und stehen denen der Mennoniten in keinem Falle nach, ja sind jenen bezugsweise noch überlegen, so daß die Auswanderung des Geldes für Ackergeräte und Fuhrwerke sich bedeutend vermindert hat.

Sonderbar genug ist es, daß, obgleich in jetziger Zeit so viele zum Teil kostspielige Gebäude errichtet werden, dennoch sich niemand dazu hergibt, das Maurerhandwerk zu erlernen.

Man kann annehmen, daß dieser Bezirk im Verlaufe einiger Jahre allmählich 45 000 Rubel Silber auf Bauten verwendet, davon erhalten:

Maurer 5 000

Arbeiter in den Ziegelhütten 3 000

Tischler und Zimmerleute 10 000

Schmiede 3 000

Für Holz wird verausgabt 16 000

 

Brennmaterial zu den Ziegeln 2 500

 

Für die Eigentümer der Ziegeleien 2 500

 

Für Nägel und sonstige 3 000

 

Zusammen 45 000 Rub. S.

 

Ferner bezieht unser Bezirk:

 

Handarbeitswaren, Leinwand,

Zwirn, verschiedene Haus - und Küchengeräte 60 000

Für wollene Waren 30 000

 

Für Stricke, Teer, Nägel und an-

dere aus der sog, Schwarzen Bude

nötige Bedürfnisse 40 000

für Unterhaltung der Bauten und

Wirtschaftsgeräte und Anschaff-

ung neuer Geräte 50 000

Für Schneider 6 000

 

Für Schuster 8 000

 

Überhaupt für 239 000 Rub. S.

 

Von diesen Summen bleiben im Bezirke:

 

Für Zimmerleute und Tischler 9 000

Für Schmiede und Wagner 30 000

Für Schneider 3 000

Für Schuster 5 000

Für die Eigentümer von Ziegeleien 2 500

Für Nägel und sonstige Bedürfnisse 5 000

Für Krämer 25 000

Zusammen 77 000 Rub. S.

 

Folglich gehen für den Bezirk verloren

162 000 Rub.S. welche Summen bis auf die von Holz und Eisen bei gehöriger Entwicklung der Gewerbsamkeit alle im Bezirk bleiben könnten.

 

Ländereien:

 

Der Bezirk hat in 24 Kolonien 897 landbesitzende Familien oder sog. Ganze Wirte, 109 Freisassen, mit allem 1 096 Familien mit 10 432 Seelen beiderlei Geschlechts. 7 237 Seelen mehr oder dreimal so viel wie bei der Einwanderung.

 

Dieselben besitzen:

 

1. Zur Ansiedlung angewiesene Kronsländereien:

Brauchbare 54 360 Desj.

Unangesiedelte befinden sich noch zwischen Heidelberg und Blumenthal 2 587 Desj.

Auf Nr. 15 u. Nr. 16 8 864 Desj.

In verschiedenen Kolonien unbrauchbares und unter Wegen 4 498 Desj.

Zur Bezirksschäferei gehörig 8 945 Desj.

Kirchenland 3 60 Desj.

In allem 81 041 Desj.

 

2. Von mehreren Kolonisten angekauftes Land 26 600 Desj.

 

3. Von den Kolonisten bei Grundbesitzern und der Krone zeitweise gepachtete Ländereien 35 746 Desj.

Überhaupt 173 387 Desj.

 

Die im Bezirke ansässigen Wirte besitzen zum 1. Januar 1849 :

 

Pferde 6 033

Rindvieh 6 252

Schafe 202 570

Wagen 1 573

Pflüge 2 016

Eggen 1 861

In der Bezirksschäferei sind Mutter-

Schafe und Hammel 9 023

Zuchtsstöhre (Böcke) 3 897

Im Jahre 1848 sind an der Viehseuche

gefallen: Kühe 1 632

 

Auf 23 000 Desjatinen werden jährlich ausgesät:

Tschetwert

Wintergetreide 2 000

Sommergetreide 10 000

Kartoffeln und anderes Gemüse 2 000

In allem 14 000 Baumpflanzungen

Zum 1. Januar 1849 sind vorhanden:

In den Gärten der Ansiedler

tragbare Obstbäume 129 082

Weinreben 1 700

In den Waldanlagen, Waldbäume,

Maulbeerbäume 137 059

In den Hecken, Maulbeerbäume 93 113

In den Schulen Maulbeerbäume 97 711

Waldbäume 16 315

andere Pflanzen 12 217

Zusammen 655 910

 

In der gemeinschaftlichen Pflanzung

(Bezirksplantage)

Obstbäume tragbare 4 211

Obstbäume junge 1 051

Maulbeerbäume 30 222

Waldbäume 120 074

Weinreben 1 975

Zusammen 139 533

In der Pflanzschule derselben Anlage:

Fruchtbäume 19 175

Maulbeerbäume 6 587

Waldbäume 130 771

In allem 1 199 658

 

Wohlstand der Ansiedler:

Dieselben haben eingenommen:

i. J. 1847 1848

Rubel Silber

Für verkauftes Rindvieh,

Pferde u. Schafe 39 415 28 504

Für Butter und Käse 11 458 3 980

Für Schafwolle 110 525 65 352

Für Getreide 200443 18 504

In allem 361 841 116 340

 

Unter 192 Vormundschaften stehen zum 1. Januar 1849 Waisen beiderlei Geschlechts 513, deren bares Vermögen im Bezirke auf Zinsen steht mit 43 718 Rub. Silb.

Ihr sonstiges Vermögen beträgt 2 660 Rub. Silb.

Zusammen 45 378 Rub. Silb.

 

In den Vorratsfruchtböden befinden sich:

Roggen 4 756 Tschetwert

Gerste 1 204 Tschetwert

 

Im Bezirke befinden sich:

Windmühlen 3

Grützmühlen 1

Pferdemühlen 2

Ölmühlen 5

Ziegeleien 19

 

Solche Handwerker, welche ihr Gewerbe in den Kolonien und zwar ohne ein Nebengeschäft betreiben:

Wagner 10

Schmiede 38

Tischler und Zimmerleute 43

Drechsler 2

Schuhmacher 46

Schneider 22

Töpfer 7

Schlosser 1

Die dritte Gilde bezahlende Krämer, 8

Welche Gewerbsleute alle mit Vorteil beschäftigt sind.

Wohngebäude:

Von Feldsteinen erbaute: 13

Von gebrannten Ziegeln 164

Von Luftziegeln 608

Von Wellerbau, dog. Gestampfte 292

Davon sind im Jahre 1848 neu

gebaut worden 111

 

Unter denselben von gebrannten

Ziegeln 67

In den 19 Ziegeleien wurden Ziegel verfertigt

im Laufe des Jahres 1848: 2 500 000

Welche kaum zum eigenen Bedarfe gereicht haben

IX. Gesellschaftlicher und sittlicher Zustand bei der Ansiedlung.

„Die aus so verschiedenen Gegenden und unter mannigfachen Lebensverhältnissen zusammengekommenen Ansiedler waren auch noch in Mundart, Ansichten und herkömmlichen Gebräuchen weit voneinander verschieden und nur die gebieterische Notwendigkeit konnte eine aus so fremdartigen Bestandteilen entstandene Masse zu einem gemeinschaftlichen Zwecke befreunden. Vorerst fanden die beschwerlichsten Feinde der Gesellschaft, Mißgunst und Neid, mit Habsucht gepaart, noch zu wenig Raum. Es gab weder Neider noch Beneidenswertes. Nach wenigen Jahren aber, als schon bereits in jeder Gemeinde sich einzelne fanden, welche sowohl in der Viehzucht als auch im Ackerbau auffallende Fortschritte gegen die Mehrheit gemacht hatten, erwachten jene allmählich.“

„So wurde diese wohlthätige Neuerung mit persönlichen, vielleicht aus früherer Zeit stammenden Reibungen gepaart, der erste Anlaß von vielen verdrießlichen Auftritten. Mißgunst, Neid und Starrsinn sprachen sich nirgends deutlicher aus als bei versammelter Gemeinde. Wenn ein Gegenstand des allgemeinen Wohls beraten werden sollte. Wenn ein erfahrener Mann für das Gemeindewohl brauchbare Vorschläge machte, so stand schon, wie verabredet, eine Partie bereit, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, ohne Gründe anzuhören oder anzugeben, den gemachten Vorschlag durch Überschreien zu entkräften, bloß deshalb, weil er von einem ihnen verhaßten Mitgliede gemacht worden war. So löste sich nicht selten unter persönlichen Beleidigungen die Versammlung willkürlich auf, ohne daß der Gegenstand, um deß willen man versammelt war, fernerhin auch nur erwähnt wurde. Die Bemittelten borgten den Unbemittelten nichts mehr ohne Vortheil, drangen auf Verbesserung des Gemeindegutes, welche Auslagen erforderte und fingen an, Bäume zu pflanzen, Feldbedüngung und Brache einzuführen. Nicht selten mit der Nebenabsicht, den Ärmeren zu zeigen, wieviel noch zu leisten übrigbleibe, bevor sie ihnen gleich stehen. War auch der Zankapfel der unmittelbare Vorbote einer besseren Zukunft in landwirtschaftlicher Beziehung, so wirkten dagegen die Reibungen nachteilig auf den sittlichen und gesellschaftlichen Zustand der Gemeinden.

Arbeitsscheue Träumer, die ihre Wirtschaften vernachlässigten und schließlich ihrer verlustig gingen, verfielen schließlich auf grobe Betrügereien und gar Diebereien. Bekanntschaft mit fremdem Volke führte zu Schleichhandel mit Branntwein und Pferdediebstähle wurden häufiger, denn die eingeborenen Diebe der Umgegend fanden unter den Ansiedlern leider auch Helfer und Hehler. Die Besseren bestrebten sich zwar, solche Leute zu entdecken, wurden aber selbst von denen nicht selten bestohlen. Selbst noch das Jahrzehnt von 1820 bis 1830 war reich an solchen Ereignissen, bis einige darin begriffene Kolonisten in Verbindung mit russischen und tatarischen Nachbarn auf der Tat betroffen und theils auf lebenslängliche Festungshaft, theils nach den nördlichen Gegenden des Reiches auf eine neue Ansiedlung verwiesen wurden. Seitdem sind in diesem Bezirke keine Diebstähle vorgekommen, bei denen auch Kolonisten begriffen gewesen wären.“

Wirft man einen Blick auf das Ganze und erwägt die Umstände, unter denen die Kolonisten einwanderten und, arm an Mitteln, während beinahe zwei Jahrzehnten hinbrachten, so wird man sich nicht wundern, warum es nicht früher besser geworden ist, sondern eher darüber, wie es zuging, daß es noch so gut werden konnte wie es gegenwärtig ist.

Aber diese Möglichkeit erklärt sich durch die von dem seligen Contenius eingeführten, von ihm selbst oder unter seinem Einflusse ausgeführten Verwaltungsgrundsätze. Und man muß gestehen, daß es eines solchen schöpferischen Geistes bedurfte, um die unter den erwähnten Verhältnissen begründete Niederlassung in kurzer Zeit zu solchen Gedeihen zu bringen. Betrachtet man die Schwierigkeiten, die zum Beispiel bei der Einführung der feinwolligen Schafe gemacht worden sind, sowie die Undankbarkeit der meisten Menschen für alle das gemeinschaftliche Wohl und nicht bloß den Eigennutz des Einzelnen bezweckende Bemühungen, so kann man sich nicht enthalten, ihm, Contenius, als einen Wohltäter der Menschheit, Hochachtung und dankbare Liebe auch nach seinem Tode noch zu zollen.

 

X. Gegenwärtiger gesellschaftlicher und sittlicher Zustand

Gegenwart findet uns auf einer mehr geordneten Bahn und mit einem berechnenden Fleiße, der über die schwierigste Arbeiten der Landwirtschaft Herr geworden ist und mit Beharrlichkeit Hindernisse beseitigt, welche früher unüberwindlich schienen. Es fängt aber die Gegenwart an, aus den Schranken der Bescheidenheit zu treten und bildet sich zu viel ein auf ihre gemachten Fortschritte ohne zu bedenken, daß das jetzige Geschlecht seinen Wohlstand auf dem Grunde langjähriger Kämpfe der Vorfahren mit Armut, Unerfahrenheit und Vorurteilen aller Art gebaut hat. Es richtet daher die Neuzeit zu streng und mit zu wenig Dankbarkeit gegen die Vorfahren (bei vielen gegen die Eltern), die ihnen doch teils mittelbar, teils unmittelbar die Gegenwart teuer erkauft haben.

Unser jetziger geordneter Zustand ist mehr der unermüdlichen Fürsorge der Kolonialverwaltung, ja der hohen Regierung selbst, als den Zeitgenossen zu verdanken. Unter den Entbehrungen der früheren Zeit ist die Gegenwart aufgewachsen, reich an Erlebnissen und Erfahrungen, wodurch sie bei besserem Wohlstande leicht die alten Fesseln abwerfen konnte, welche Fesseln größtenteils nur in der Werkstätte der Armut geschmiedet waren und nicht, wie die Gegenwart glaubt, nur bloß in Vorurteilen, Trägheit, Verschwendung und Unsittlichkeiten bestanden. Diese lieblosen Beschuldigungen treffen jene Zeit zu hart und man möchte sagen, die heut zu Tage herrschende Selbstsucht ist der Entwicklung wahrer christlicher Bildung nicht minder nachteilig als die Vorurteile der Einwanderer es waren. Trägheit und Verschwendung jenen vorzuwerfen, kann ebenfalls nicht in einem so strengen Sinne genommen werden, den wo nichts war konnte auch nicht viel verschwendet werden. Versuchs einmal, Heutiger! Fahre ein Fuhre Weizen nach Tokmak zum Verkauf und erlöse dafür so viel, daß du eben einen Brunnenstock, einige Quart Teer (Wagenschmiere) und noch etwa ein Pud Salz dafür kaufen kannst, wie das tut! Bei Kindtaufen und Hochzeiten ging es zwar toll zu, das ist nicht abzuleugnen, aber das rührte mehr von dem Wirrwarr der zusammengebrachten herkömmlichen Gebräuche her. Wenn je die Lustbarkeiten eine sittenverderbliche Richtung nahmen, so lag der Fehler an der Roheit einzelner entarteter Tonangeber.

Bei dergleichen Gelegenheiten bewegte sich alles in einer vollkommenen Gleichheit, denn die Pelzhosen des einen waren keinen Groschen mehr wert als die des anderen, ihre Hemden waren weit gröber als ihre Sitten, aber sie hatten dieselben, sie waren selbst gesponnen.

Mit einigen Quart Branntwein und etlichen Eimern Bier bei - einem Hirsebrei, jubelte man drei Tage auf einer Hochzeit. Wer keine Schuhe hatte, tanzte barfuß. Das neue Ehepaar schlug sein Lager in einem Stubenwinkel auf einem Mauervorsprung auf, dort ist das jetzige Geschlecht geboren. Jene Zeitgenossen leben noch, obwohl alt und schwach und schütten bedenklich ihr Häupter über die Ansprüche der neuen Zeit, welche hundert und aber mal hundert Bedürfnisse hat, weil der größte Teil der jetzt lebenden im Stande ist, solche früher unerhörte Ansprüche zu befriedigen, denn der Wohlstand erzeugt Üppigkeit und Aufwand (Luxus). Die erhöhten Ausgaben aber spornen zu neuer Gewerbstätigkeit an.

Äußerlich ist in unserer Zeit zwar alles schöner, der zunehmende Wohlstand hat die frühere Roheit und Derbheit bedeutend abgeschliffen und einen schönen Anstand geboren. Das öffentliche Benehmen ist durchschnittlich gesitteter, aus Scheu vor dem Urteil der Gesellschaft oder wenn man will, vor dem Richterstuhl der Sittlichkeit, was freilich dem jetzigen Geschlechte unverkennbare Vorzüge vor dem früheren gewährt, welche Vorzüge aber mit demutsvollem Danke gegen die Vorsehung und nicht mit Eigendünkel anzuerkennen sind.

Zwar ist das Kirchen - und Schulwesen ohne Vergleich heute weit besser als vormals, aber das häusliche Leben, nämlich das Verhältnis zwischen Ehegatten, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern, trägt leider heute noch in vielen Haushaltungen das Gepräge der alten, teils mitgebrachten, teils angewöhnten rohen Sitten, ein sonderbares Gemenge Lieblosigkeit, Selbstsucht und Affenliebe. Was helfen da die angestrengten Bemühungen der Herren Geistlichen und Lehrer, wenn die Eltern ihren Kindern schon im zehnten oder zwölften Jahr die volle Ungebundenheit gestatten, das ihnen von Gott verliehene elterliche Ansehen gewissenlos preisgeben?

Da, wo noch betrübende Zwiste und schlechte Kinderzucht keine seltene Erscheinung sind, da sollte wohl das strenge Urteil über die Gebrechen der Alten billig verstummen.

Hiermit will man jedoch, wie mancher vermuten könnte, die Schwächen der Vorfahren nicht verwischt oder bemäntelt wissen oder gar sagen, daß solche keinen nachteiligen Einfluß auf die Abkömmlinge ausgeübt hätte. Nein, es wird hier bloß das unnachsichtige richten der früheren Mängel unserer Vorgänger getadelt, weil es in vielem Betrachte ebenso widersprechend erscheint als wenn einer, der stolpert, über seine eigenen Füße schimpfen wollte. Denn daß die alten Mängel und Gebrechen in gesellschaftlicher und häuslicher Beziehung sich von der Vergangenheit in unsere Zeit hinübergeschleppt haben und noch in vielen Haushaltungen sich in ihrer anfänglichen Gestalt äußern, kann nicht geleugnet werden.

Man betrachte zum Beispiel den Widerspruch zwischen der häuslichen Erziehung der Kinder und der Schulbildung. Manche Schullehrer führen mit vollem Recht oft bittere Klagen, daß trotz ihrer rastlosen Bemühungen dennoch so viele ihrer Schulkinder sowohl in ihrem Geistes - und Gemütsleben als auch in ihrem äußeren sittlichen Benehmen nicht nur wenig erfreuliche Fortschritte zeigen, sondern mit zunehmendem Alter, besonders, wenn sie einmal aus der Schule entlassen sind, eher rückwärts als vorwärts kommen. Ist aber ein solches noch als ein Wunder anzusehen, wenn man sieht, wie die Affenliebe zu ihren Kindern manche Eltern so blind macht, daß sie sich nicht scheuen, in deren Gegenwart den Lehrer oft lieblos tadeln, besonders wenn das liebe Söhnchen oder Töchterchen mit weinenden Augen von der Schule nach Hause kommt und die Leichtgläubigkeit seiner Eltern benutzend, mit den lebhaftesten Farben schildert, wie ungerecht es von dem Lehrer bestraft worden ist, während andere Schüler reicher oder beliebter Eltern, obgleich sie schuldig waren, verschont geblieben seien! Wie mancher Vater und wie manche Mutter bricht nicht in die rohesten Schmähungen gegen den Lehrer aus, anstatt die Kinder zurechtzuweisen, dieselben zur Hochachtung gegen den Lehrer anzuweisen und sich mit dem letzteren über die von den Kindern geführte Klage unter vier Augen ruhig und gelassen zu besprechen. Jeder Unbefangene wird zugeben, daß unter solchen Verhältnissen, wenn die Eltern das gewaltsam wieder einreißen, was der Lehrer aufzubauen bemüht ist, die Schule nicht den erwünschten Erfolg auf eine sittliche Bildung der Jugend haben kann, vielmehr die Jugend diese Geringschätzung der Lehrer in reiferen Jahren auf die Eltern übertragen wird, welche sie darin unterstützt oder gar angeleitet haben.

Doch genug solcher traurigen Tatsachen, Gott sei es gedankt, daß alles was hier gesagt wurde, nur den geringeren Teil unseres jetzigen Geschlechts betrifft.

Das gute Beispiel des größeren Teils wird hoffentlich auch auf diesen beklagenswerten Teil unserer Bevölkerung wohltätig einwirken und, Gott gebe es, in nicht ferner Zeit den gesellschaftlichen und sittlichen Zustand der Ansiedler auf die Bildungsstufe führen, auf welcher sie im Vergleich mit ihrem gewerbsamen Zustande schon stehen sollten und auf welcher sie zu sehen der Wunsch eines jeden Menschenfreundes ist.

 

Drum, liebe Brüder, wenn Ihr der Fehler eurer Vorfahren gedenkt, so richtet sie nicht ohne den festen Entschluß: Eure eigenen Mängel mit Gottes Hilfe immer mehr zu verbessern und

 

Danket dem Herrn zunächst, der seine barmherzigen Engel
In den Tagen der Angst und Entbehrung euern Väter gesendet,
der schützend sie führte nach Reußens milden Gefilden,
wo ihr nun sicher geborgen, die köstlichen Früchte des Fleißes
ruhig erntet und, nicht mehr fürchtend die Schmach der Väter,
beschützt von milden Gesetzen, freudig ausübt der Väter Glauben
und jedwede Not stillet am eigenen Herd!

Kolonist der Kolonie Kostheim im molotschner Kolonistenbezirke
Ernst Walther

 

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